- Politik
- Frankreich
Migrationsgesetz in Frankreich: Schlappe für Macron
Nationalversammlung lehnt Einwanderungsgesetz ab
Bevor die für Montagabend angesetzte Debatte in der Nationalversammlung Frankreichs über das neue Ausländergesetz überhaupt begonnen hatte, war sie schon zu Ende. Ein von der Partei der Grünen eingebrachter Antrag, die Debatte und damit den Gesetzentwurf abzulehnen, wurde mit 270 zu 265 Stimmen angenommen.
Das Geschehen am Montagabend war eine ungewöhnliche politische Konstellation, die es seit mehr als 20 Jahren nicht mehr gegeben hat. Alle Oppositionsparteien, vom linken Bündnis Nupes über die rechtsbürgerlichen Republikaner bis zum rechtsextremen Rassemblement National, stimmten gemeinsam. Angesichts dieser beispiellosen Schlappe hat Innenminister Gérald Darmanin noch am Abend seinen Rücktritt angeboten, der aber von Präsident Emmanuel Macron nicht angenommen wurde.
Das Regierungslager hat sofort hektisch begonnen, nach Möglichkeiten zur Rettung des Gesetzes zu suchen. Dafür gäbe es verschiedene Möglichkeiten. So könnte der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, nach der bereits erfolgten ersten Lesung sofort eine zweite anschließen. Doch ob ein nur vom Senat verabschiedetes Gesetz angesichts des Verzichts der Nationalversammlung als rechtsgültig angenommen gelten kann, ist unter Staatsrechtsexperten umstritten.
Außerdem ist dieser Weg für die Regierung nicht unproblematisch, weil der Senat, in dem die Republikaner die Mehrheit stellen, den Gesetzentwurf bereits gründlich umgeschrieben hat. Die Regierung könnte das hinnehmen, weil sie seit der Wahl vom Juni 2022 nicht mehr über die Parlamentsmehrheit verfügt und für die Annahme von Gesetzen auf Stimmen der rechten Oppositionspartei der Republikaner angewiesen ist.
Quadratur des Kreises
Eine zweite Variante wäre der Rückgriff auf den Paragrafen 49.3 der Verfassung, indem die Abstimmung über das Gesetz mit der Vertrauensfrage verbunden wird. Doch diesen Griff zur »politischen Keule«, mit der die Regierung von Elisabeth Borne in kaum mehr als einem Jahr bereits 19-mal operiert hat, um die Rentenreform und diverse Budgetgesetze durchs Parlament zu bringen, will man nach Möglichkeit vermeiden. Es wäre ein zu großes Eingeständnis für fehlenden Rückhalt.
Indes hat sich die Regierung für eine dritte Lösung entschieden, gab ihr Sprecher Olivier Véran Dienstagmittag bekannt. Der Gesetzentwurf wird einer paritätischen Kommission aus sieben Abgeordneten der Nationalversammlung sowie sieben Senatoren übergeben. Diese handeln bei Gesetzestexten, die in beiden Kammern mit Unterschieden im Text angenommen wurden, einen Kompromiss aus, der dann gewöhnlich problemlos vom Plenum bestätigt wird. Ob das auch hier gelingen kann, ist offen. »Das käme einer Quadratur des Kreises gleich«, meint zweifelnd ein langjähriger Parlamentsjournalist.
Querfront der Opposition
Um eine verfahrene Situation zu vermeiden, wie sie sich jetzt ergeben hat, hatte Innenminister Darmanin nach Kräften versucht, die Spaltung der Opposition zu vertiefen. Zu den Rechtsextremen ging er auf möglichst große Distanz. Entsprechend haben diese jetzt mit der Forderung reagiert, die Regierung solle zurücktreten und der Präsident solle das Parlament auflösen und Neuwahlen anberaumen.
Dagegen setzte der Minister seine Politik der ausgestreckten Hand gegenüber den möglichen Mehrheitsbeschaffern von der rechtsoppositionellen Partei der Republikaner fort. Das linksoppositionelle Parteienbündnis versuchte er dadurch politisch zu lähmen, dass er provokativ behauptete, dass »Nupes mit Madame Le Pen kungelt«. Doch er hat sich gründlich verrechnet. Die Ablehnung der Politik von Präsident Macron und seiner Regierung war letztlich größer als die politischen Differenzen zwischen den verschiedenen Gruppierungen der Opposition.
»Ich bin für Sterben in Würde«, sagt ein Senator der sozialdemokratischen PS ironisch mit Blick auf die für Anfang Januar anstehende Parlamentsdebatte über Sterbehilfe, »und darum rate ich der Regierung, ihr Ausländergesetz in den Papierkorb zu werfen«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.