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Gleisdreieck: Über 24 000 Unterschriften gegen »Urbane Mitte«
Dem seit 2005 bestehenden Bebauungsplan für die sieben Hochhäuser tritt ein Aktionsbündnis entgegen
Er wird auch der »Park der 1000 Stimmen« genannt: Der Kreuzberger Gleisdreieckpark, welcher an die Stadtteile Schöneberg und Tiergarten grenzt, ist durch eine ungewöhnlich hohe Bürger*innenbeteiligung entstanden. Noch vor seiner Eröffnung im Jahr 2011 wurden Parkteile 2005 vom Bezirk verkauft. Sieben Hochhäuser für Gewerbe- und Bürofläche will der jetzige Luxemburger Investor auf dem Gelände bauen. Seit 2021 wehrt sich dagegen ein Aktionsbündnis und versucht den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nun mit Unterschriften davon abzuhalten, Baurecht zu erteilen.
Matthias Bauer ist Architekt und seit 1980 »Spaziergänger am Gleisdreieck«. Er ist Teil des Aktionsbündnisses gegen die Bebauung am Gleisdreieckpark und hofft auf einen »Neustart der Planung« durch den Bezirk. Dieser solle sich an zeitgemäßen sozialökologischen Zielrichtungen orientieren.
Es klingt wie ein aus der Zeit gefallenes Projekt aus jenen Tagen, in denen es noch viele freie Flächen für Investoren in Berlin gab. Sieben Hochhäuser sollen im Rahmen des Bebauungsplans zur »Urbanen Mitte« am Rande des Gleisdreieeckparks entstehen – auf einem schmalen Streifen nördlich und südlich des U-Bahnhofs Gleisdreieck in der Nähe des Technikmuseums. Zwei davon sollen 90 Meter hoch sein. Insgesamt soll auf 119 000 Quadratmetern Raum für Sport, Kunst und Kultur, aber in erster Linie für Büros entstehen.
Keine einzige Wohnfläche soll durch das Projekt »Urbane Mitte« umgesetzt werden – vor dem Hintergrund, dass der Senat bereits im zweiten Jahr in Folge sein Ziel von 20 000 neuen Wohnungen verfehlt. Des Weiteren hagelt es Kritik nicht nur vonseiten des Aktionsbündnisses, sondern auch von zahlreichen Umweltverbänden. Eine Umsetzung des jetzigen Bebauungsplans würde nicht nur den Park verschatten, sondern sie würde auch eine wichtige Frischluftschneise im dicht bebauten Gebiet in der Nähe des Potsdamer Platzes vernichten, welche ursprünglich genau zu diesem Zweck angelegt wurde.
Die Verkaufsgeschichte der Baufläche im Gleisdreieckpark hat das Aktionsbündnis mit diversen Quellen gut dokumentiert auf ihrem Blog nachgezeichnet. Entscheidend ist hierbei, dass in einem Vertrag zwischen dem damaligen bundeseigenen Käufer Vivico, dem Land Berlin und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Land Verpflichtungen eingegangen ist, die es eigentlich nicht hätte eingehen dürfen. Seit 2007 ist der Eigentümer privatisiert und heißt CA Immo Deutschland. 2020 ging das Grundstück dann in einem Anteilskauf an einen Luxemburger Investor.
Diesen Sommer beauftragten das Aktionsbündnis Gleisdreieck und die Naturfreunde Berlin ein rechtliches Gutachten unter Berufung auf das Baugesetzbuch zur Prüfung des Bebauungsplans, aber auch zum Rahmenvertrag des Verkaufs. Dieses ergab, dass eine Gemeinde nicht per Vetrag dazu verpflichtet werden könne, einen Bebauungsplan aufzustellen. Stattdessen brauche es ein Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Argumente waren so stichhaltig, dass es zum Stopp des Planverfahrens Ende August kam.
Stimmen aus Senat und Bezirk beziehen sich seitdem auf mögliche Entschädigungszahlungen an den Investor, sollte der Bebauungsplan so nicht umgesetzt werden. Zuletzt hatte Bausenator Christian Gaebler (SPD) eine Summe von 150 Millionen Euro als Entschädigung in den Raum geworfen. Auf eine Anfrage des »nd«, mit welcher Entschädigungszahlung sie rechne, antwortete die Bausenatsverwaltung mit Verweis auf den eigenen Prüfbericht zum Rahmenvertrag: »Die Projektträgerin geht hierfür vor dem Hintergrund der Lage des Projekts, der Projektgröße und der im Rahmenvertrag vorgesehenen Art und Maß der baulichen Nutzung von einem dreistelligen Millionenbetrag aus.« Das Rechtsgutachten des Aktionsbündnisses argumentiert hingegen, dass es nicht Aufgabe des Landes sei, Spekulationsgewinne abzusichern.
Bauer zeigt sich trotz des mächtigen Gegners und der Ausflüchte des Senats optimistisch. Er berichtet von Runden Tischen zwischen Bezirk, Bürger*innen und Kapitalseite, welche mit großer Unterstützung des Publikums für das Bündnis stattfanden: »Die Investoren machten Gesichter wie auf einer Beerdigung«, erzählt er und hofft auf eine ebenfalls starke Beteiligung zur Unterschriftenübergabe am Mittwochabend. Das Aktionsbündnis wolle zeigen, dass »hinter den Unterschriften Menschen stehen, deren Befürchtungen sich durch Gutachten bestätigen« lassen. Der Bezirk solle keine Angst haben, dass der Senat den Plan an sich ziehe. »In dem Fall gehen wir vors Abgeordnetenhaus.«
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