Systemfrage gestellt

EU-Parlament fordert mehr Mitsprache bei Wahl zum EU-Kommissionsvorsitz

  • Marion Bergermann, Straßburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Das EU-Parlament fordert bei der Wahl des Kommissionschefs mehr Transparenz.
Das EU-Parlament fordert bei der Wahl des Kommissionschefs mehr Transparenz.

Ein erprobtes Verfahren soll bei den Europawahlen mehr Bedeutung bekommen. Deshalb mischt sich ein sperriges deutsches Wort derzeit in der EU-Politik immer wieder in die Gespräche auf Englisch oder Französisch: Spitzenkandidat. Hinter dem abstrakten Begriff steckt ein Vorschlag des Europaparlaments, wie die Entscheidung über den nächsten Vorsitz der EU-Kommission ablaufen soll. Denn mit den Wahlen in sechs Monaten geht auch die Entscheidung über die neue Präsidentin oder den neuen Präsidenten der mächtigen EU-Kommission einher.

In dem Zusammenhang forderten die EU-Parlamentarier am Dienstag in Straßburg, dass für den nächsten Kommissionsvorsitz das Spitzenkandidatensystem angewendet wird. Die europäischen Parteien sollen also jeweils einen Spitzenkandidaten oder eine -kandidatin für den Posten des Kommissionsvorsitzes ernennen. Nach den Wahlen soll sich das EU-Parlament unter diesen auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt als seinen Vorschlag verständigen. Und der Rat als Gremium der Mitgliedstaaten soll diese Personalie mindestens in Betracht ziehen.

»Dieses Mal wollen wir eine Situation verhindern, in der einige Regierungschefs Hinterzimmer-Deals abschließen«, sagte der CDU-Europaabgeordnete Sven Simon nach der Abstimmung in Straßburg. Er war einer der Federführenden der Vorlage.

Genau solch ein »Hinterzimmer-Deal« hatte bei den letzten Europawahlen 2019 für viel Empörung gesorgt. Die europäischen Parteienfamilien hatten Spitzenkandidatinnen und -kandidaten benannt und mit diesen Wahlkampf gemacht. Besonders der CSU-Politiker Manfred Weber von der konservativen EVP und der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans rechneten sich Chancen aus, an die Spitze der EU-Kommission zu gelangen. Als die Staats- und Regierungschefs um Angela Merkel die Personalfrage besprachen, lehnte der französische Präsident Emmanuel Macron Weber ab und brachte stattdessen Ursula von der Leyen (CDU) ins Spiel. Die sagte natürlich nicht Nein zu dem einflussreichen Posten, auch wenn sie gar nicht kandidiert hatte. Das EU-Parlament war sauer. Trotzdem gab es der damaligen deutschen Verteidigungsministerin die nötige Mehrheit bei der entscheidenden Abstimmung.

Damit sich so etwas nicht wiederholt, fordern die Abgeordneten, dass man sich 2024 an das Spitzenkandidatensystem wirklich hält. Wobei das zwar den Ablauf transparenter gestalten wird, es in Brüssel aber bereits jetzt als recht sicher gilt, dass erneut von der Leyen den Posten bekommt. Sie dürfte sich als EVP-Spitzenkandidatin aufstellen lassen.

Ob das Spitzenkandidatenprinzip kommt oder nicht, ist für die Präsidentin unerheblich. Bereits zu Beginn ihrer Amtszeit hatte sie versprochen, dieses zu stärken. Passiert ist das nicht. Das EU-Parlament kritisierte am Dienstag, dass Kommission und Rat »in diesem Bereich seit 2019 keine Fortschritte erzielt haben«. Und ob die Mitgliedstaaten die Forderungen des EU-Parlaments umsetzen, ist unklar. »Wir können die Staats- und Regierungschefs nicht zwingen, dieser Linie zu folgen. Wir können nur einen leichten Druck auf sie ausüben«, räumt der Abgeordnete Simon ein. Der Linke-Europaabgeordnete Helmut Scholz fordert von den Mitgliedstaaten, »endlich den notwendigen Mut aufzubringen, ihre allein national ausgerichtete machtpolitische Sicht« abzulegen.

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Bei den Debatten um das System mit dem deutschen Namen geht es dem EU-Parlament nicht nur um mehr Mitspracherecht für sich. Die Wähler*innen sollen sich wieder mehr einbezogen fühlen, indem sie während der Kampagnen bereits sehen, wer als Kommissionschef infrage kommt. Wie 2014, als der EVP-Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker anschließend den Posten erhielt.

Seit Langem bemühen sich die EU-Einrichtungen darum, mehr Interesse für die Europawahlen zu wecken und die Wahlbeteiligung zu erhöhen. In ihrer Entschließung forderten die Abgeordneten deshalb unter anderem die Ausweitung der Briefwahl. Die ist derzeit nur in 13 von 27 Mitgliedstaaten möglich. Und wie viele der jüngsten Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben, wird sich in Deutschland am 9. Juni zeigen, wenn dort erstmals schon 16-Jährige wählen gehen dürfen.

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