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»Eine feministische Brille ist hilfreich«

Die Juristin Theresa Tschenker hat zu den Möglichkeiten politischer Streiks in Deutschland geforscht

  • Interview: Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie haben politische Streiks aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive untersucht. Wie kamen Sie dazu?

Als ich mit meiner Promotion anfing, habe ich mit Blick auf die feministischen Streiks zum 8. März recherchiert, was legal ist und was nicht. Dabei habe ich festgestellt, dass die Diskrepanzen zwischen den Streikforderungen und dem rechtlich Erlaubten groß sind, gerade weil das feministische Bündnis, das zum Streik aufrief, die Arbeit auch über Lohnarbeit hinaus denkt. Da mich das Thema interessiert hat, habe ich mich dann viel mit prekären frauenspezifischen Arbeitsverhältnissen, etwa in der Gesundheitsbranche, beschäftigt. Die haben gemeinsam, dass sie vormals unbezahlt waren und im Laufe der Zeit über den Sozialstaat organisiert und finanziert wurden. Der Staat beeinflusst die Arbeitsbedingungen unmittelbar, indem er bestimmte Finanzierungsmechanismen festlegt. Mir erschien es widersprüchlich, dass Streiks den Staat aber nicht betreffen dürfen. Da stellt sich die Frage, wo es rechtliche Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Für welche Zwecke dürfen Frauen in diesen Branchen streiken? Und greift das Streikrecht nicht zu kurz?

Zu welchem Schluss sind Sie gelangt?

Interview

Theresa Tschenker (34) ist promovierte Juristin und hat zum Streikrecht in Deutschland geforscht. Aus einer rechtshistorischen Perspektive zeigt ihre Studie »Politischer Streik«, dass die Trennung zwischen politischen und tarifbezogenen Streiks nicht haltbar ist.

Es gibt in Deutschland eine Konstruktion im Streikrecht, die unterscheidet zwischen legalen Streiks, die sich auf Tarifverträge beziehen, und politischen Streiks, die darüber hinausgehen. Diese Unterscheidung ist aus meiner Sicht nicht haltbar. Das hat auch damit zu tun, dass es in Deutschland keine feste legale Definition dafür gibt, wann unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck Streiks stattfinden dürfen. Es gibt keine gesetzliche Grundlage dafür, die über eine allgemeine Garantie im Grundgesetz hinausgeht. Und selbst die ist ja von ganz bestimmten Personen in einem bestimmten historischen Kontext, nämlich zur Gründung der Bundesrepublik 1949, festgeschrieben worden.

Wie ist es dann geregelt?

Das Streikrecht in Deutschland ist Richterrecht. Das bedeutet, dass Richter*innen dieses Recht in ihren Urteilen auslegen. Dieser Prozess ist einem ständigen Streit und Wandel unterworfen. Das zeigt auch die Entwicklung der Rechtsprechung in den letzten 70 Jahren. Insofern ist die Trennung zwischen legalem tarifbezogenen und verbotenem politischen Streik nicht in Stein gemeißelt. Dabei ist es mir ein Anliegen, historisch zu argumentieren, was in den Rechtswissenschaften zu wenig gemacht wird. Es gibt wenig Bewusstsein dafür, wo das Streikrecht eigentlich herkommt und dass es schon immer Teil kämpferischer Auseinandersetzungen war. Mir ist es wichtig, heute eine Diskussion über die Spielräume zu führen, die das Grundgesetz hergibt.

Verfolgen Sie damit einen neuen Ansatz?

Grundsätzlich ist die Frage nach politischen Streiks so alt wie das bundesrepublikanische Streikrecht selbst. Ein Großteil der heutigen Argumente geht auf die Urteile zum Zeitungsstreik im Jahr 1952 zurück. Die haben einen konservativen Hintergrund, der wenig hinterfragt wird. Und in den 80er Jahren gab es kluge Rechtswissenschaftler, die sinngemäß gesagt haben: »Überall dort, wo der Staat Arbeitgeber ist und wo man in den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge kommt, ist der Staat in der Doppelrolle.« Da ging es um Lehrer*innen, und man hat festgestellt, dass der Staat nicht nur Arbeitgeber ist, sondern derjenige Akteur, der die Branche ins Leben gerufen hat und sie stark gestaltet.

Die Grenzen dessen, was als legaler Streik gilt, können also verschoben werden?

Durchaus. Also ich bin auf eine gute Art neugierig und naiv an das Forschungsprojekt rangegangen und habe mich gefragt: Wo kommt diese Trennung zwischen politischen und tarifbezogenen Streiks eigentlich her? Je mehr ich dazu gelesen habe, desto deutlicher wurde mir die Konstruktion dieser Trennung, und umso angebrachter fand ich es, die zu kritisieren. Dafür braucht man nicht per se eine feministische Brille. Aber um Konstruktionen im Recht erkennen zu können, ist sie – wie so oft – sehr hilfreich.

Sie betonen, dass die Kooperation von feministischen Bündnissen und Gewerkschaften die Grenzen des Streikrechts ausreizen kann. Wie meinen Sie das?

Die klassischen tarifrechtlichen Themen sind Arbeitszeit und Lohn. Insofern ist die Auseinandersetzung um Entlastungstarifverträge in den Krankenhäusern etwas Neues. Denn sie regeln, wie viel Personal auf jeder Station eingesetzt werden muss, um eine gute Versorgung zu gewährleisten. Daraus folgt das Problem, dass die Entlastungsregeln teils nicht umgesetzt werden können, weil nicht genug Beschäftigte vorhanden sind. Es gibt einen enormen Fachkräftemangel im Gesundheits- und Pflegebereich, der wiederum auf die schlechten Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen zurückzuführen ist. Konsequenterweise richtet sich die nächste Forderung darauf, das Finanzierungssystem zu ändern.

Welche Rolle spielt da der Staat?

Die Frage, wie das Geld akquiriert und verteilt wird, muss die Gesetzgebung beantworten. Diese politischen Forderungen wurden bislang nicht Gegenstand eines Streiks, aber Gewerkschaften und Arbeitnehmer*innen wissen um diese Zusammenhänge. Sie fragen: An welchen Stellschrauben müssen wir drehen, um nachhaltig und fundamental an dieser prekären Versorgung etwas zu ändern? Ich fand es zum Beispiel sehr gelungen, dass die letzten Streikrunden in den Krankenhäusern unter dem Motto »Mehr von uns ist besser für alle« liefen. Wir müssen alle mal ins Krankenhaus, und darum haben wir als Gesellschaft ein Interesse daran, dass dieser Versorgungsbereich gut organisiert ist.

Welche strategischen Perspektiven ergeben sich aus juristischer Sicht daraus?

Man müsste die Rechtsprechung zum Verbot des politischen Streiks herausfordern. Dazu bräuchte es einen bundesweiten Krankenhausstreik in einer gewissen Größenordnung, der das Problem flächendeckend sichtbar macht. Es müsste klar werden, dass alle Beschäftigten dafür streiken, dass die Finanzierung geändert wird, damit im Sinne der Entlastungstarifverträge mehr Personal eingestellt werden kann. Dann ist es glasklar, dass die Frage der Finanzierung unmittelbar die Arbeitsbedingungen betrifft. Ein solcher Streik wäre mit Blick auf das Völkerrecht rechtmäßig. So ein Fall könnte vor Gericht die Rechtsprechung ändern. Momentan sehe ich aber noch nicht, dass die Gewerkschaften gezielt so einen Streik einsetzen würden, um die Rechtsprechung herauszufordern. Ich glaube, da stehen wir am Anfang der Diskussion.

Mit Blick auf diese Debatte: Wie ist die Resonanz auf Ihre Studie bislang?

Ich habe von Gewerkschaften und von rechtshistorisch interessierten Jurist*innen gute Rückmeldungen bekommen. Aber die Arbeitsrechtswelt ist sehr gespalten. Vom arbeitgebernahen Lager habe ich bislang nur eine inoffizielle Rückmeldung im Sinne von: »Ich habe das gelesen, aber wir sind halt anderer Meinung.« Daneben habe ich einen interessanten Workshop mit Richter*innen an Arbeitsgerichten geleitet, die für meine Argumentation sehr offen waren.

Am 14.12.2023 spricht Theresa Tschenker auf einer Diskussionsveranstaltung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) über ein Recht auf politischen Streik. Mehr zur Veranstaltung hier.

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