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Herzerkrankungen im Radsport sorgen für Unruhe im Peloton
Immer wieder fallen Profis einfach vom Rad. Grund sind Erkrankungen, die auch schon zum Tod führten
Nicht lange ist es her, da führte eine Häufung von Todesfällen im Radsport zu großer Aufregung. Das war in den Jahren 2016 bis 2020. Zuletzt kamen die alten Sorgen wieder hoch: In diesem Jahr durch den Verkehrsunfall des belgischen Profis Nathan van Hooydonck aufgrund eines plötzlichen Herzstillstandes oder den Zusammenbruch des italienischen Europameisters Sonny Colbrelli bei der Katalonienrundfahrt 2022.
Das Ungewöhnliche, kaum Fassbare daran war, dass einfach immer wieder Fahrer vom Rad fielen – ohne dass irgendein Hindernis der Grund war. Dann lagen sie auf dem Asphalt oder in der Böschung. Und obwohl Rennärzte und Sanitäter alles versuchten, was an Wiederbelebungsmethoden möglich ist, wachten in jenen Jahren zwischen 2016 und 2020 einige junge Männer nicht wieder auf. Der damals 23-jährige Michael Goolaerts starb 2018 bei seinem Debüt beim Kopfsteinpflasterklassiker von Paris-Roubaix: Etwa 100 Kilometer hatte er zurückgelegt, stürzte plötzlich, blieb liegen – und die Ärzte konnten nur noch Tod durch Herzstillstand diagnostizieren.
Goolaerts belgischer Landsmann Daan Myngheer erlebte noch nicht einmal seinen 23. Geburtstag. Zwei Wochen vorher starb er 2016 beim Criterium International auf Korsika: Er verspürte offenbar Probleme und ließ sich aus dem Hauptfeld zurückfallen. Als er dann anhalten wollte, kippte er einfach um. Ein Herzinfarkt wurde bei ihm als Todesursache angegeben. Beide Profis fuhren für den damaligen belgischen Nachwuchsrennstall Verandas Willems. Topstars wie Wout van Aert oder Tim Merlier erlernten dort das Radsporteinmaleins und fuhren in derselben Saison wie Goolaerts in diesem Team.
In früheren Jahren fiel der Rennstall auch durch Doping auf. Der belgische Profi Leif Hoste wurde etwa 2012 mit verdächtigen Werten beim Blutpass überführt und anschließend gesperrt. Im Jahr zuvor sorgte Teamkollege Stefan van Dijk mit der verbotenen Ozontherapie seines entnommenen und wieder zugeführten Blutes für Schlagzeilen. Inwieweit Doping ein Mitauslöser der späteren Todesfälle gewesen sein könnte und ob Myngheer und Goolaerts überhaupt gedopt hatten, wurde allerdings nie ermittelt. Einen Zusammenhang zwischen Doping und Herzstillstand kann es aber geben. »Doping ist auf jeden Fall ein ganz wichtiger Faktor, der zum plötzlichen Herztod führen kann«, erklärt Sportmediziner Dierk-Christian Vogt gegenüber »nd«. Vogt ist Kardiologe, er betreut auch Leistungssportler im Handball, Eishockey und Wasserball. Zu den Substanzen, die Herzprobleme auslösen können, zählt er auch die Dopingklassiker Epo und Steroide.
Als monokausale Erklärung taugt der Dopingverdacht allerdings nicht. Der plötzliche Herztod trifft auch die Normalbevölkerung. Und generell leben Tour-de-France-Teilnehmer sogar länger als ihre Altersgenossen, die keine Frankreich-Rundfahrt bestritten haben. Das zumindest ergab vor zehn Jahren eine Auswertung für alle französischen Tour-Teilnehmer von 1947 bis 2012.
Eine besondere Häufung von Todesfällen durch Herzerkrankungen im Radsport konnte auch Kardiologe Vogt nicht feststellen. »Allerdings gibt es dazu auch keine systematischen Untersuchungen. In keinem Land der Welt haben wir ein Register, in dem Herzerkrankungen oder Todesfälle bei Sportlern gemeldet werden müssen«, schränkt er ein. Es gebe einige freiwillige Register, die betreffen aber hauptsächlich Freizeitsportler. Die statistische Lage ist also eher dürftig.
Sterben Sportler am plötzlichen Herztod, ist auch nicht eine übermäßige Belastung die Ursache. Sie ist schlimmstenfalls der Auslöser. »Nur ein vorher erkranktes Herz kann durch Sport in lebensgefährliche Situationen gebracht werden«, betont Vogt. Ausnahmen sieht er lediglich bei Athletinnen und Athleten, die jahrzehntelang am oberen Limit Sport treiben wie etwa die Profis im Triathlon auf den Langdistanzen. »Wer das 20 bis 30 Jahre macht, kann etwas mehr Herzrhythmusstörungen bekommen als die Normalbevölkerung. Das ist mittlerweile relativ gut untersucht. Aber das ist nicht lebensgefährlich«, klärt er auf. Und auch die übergroßen Ausdauerherzen, die Radsportler während ihrer Karriere ausbilden, sind laut Vogt kein Grund für Infarkte: »Das ist Ausdruck eines besonders leistungsfähigen Herzens und nicht eines kranken Herzens.«
Kritisch wird es allerdings, wenn Menschen mit Vorerkrankungen Leistungssport treiben. Dann können auch nur 13 Kilometer wie bei Niels De Vriendt zum Tode führen. Der damals 20-jährige Radsportler starb ausgerechnet in der Anfangsphase eines Nachwuchsrennens, das als allererstes nach Lockerung der Pandemiebedingungen in Belgien 2020 ausgetragen wurde. Voruntersuchungen sind daher das A und O.
Herzspezialist Vogt legt dabei nicht nur Wert auf Technik. »Das Wichtigste ist wie immer in der Medizin ein genaues Gespräch. Denn es passiert fast nie etwas, ohne dass vorher schon mal Symptome auftraten.« Also fragt er ab, ob jemandem schon mal schwindlig wurde beim Sport, ob Herzrasen oder Bewusstlosigkeit auftraten. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Familienumfeld müssen geklärt werden. »Das meiste, das gerade bei jungen Leistungssportlern zum Todesfall führen kann, sind angeborene Störungen, die in der Familie in irgendeiner Form wahrscheinlich auch schon mal aufgetreten sein müssen. Da redet keiner so spontan darüber, das ist auch schambelegt.«
Ebenso wichtig sind die körperlichen Untersuchungen, bei Leistungssportlern empfiehlt Vogt ab dem 12. Lebensjahr diese regelmäßig. Bei Radprofis sind Gesundheitschecks seit Langem mit der Erteilung und Erneuerung der Profilizenz verbunden. Die Herzfrequenz wird täglich gemessen, kaum ein Profi trainiert mehr ohne diese Equipments. Trotzdem wird selbst im Daten versessenen Radsport unserer Tage nicht alles erkannt. Van Hooydonck etwa hatte seinen letzten Check im Dezember 2022. Da war laut seiner Aussage alles okay. Trotzdem setzte bei der Autofahrt im September 2023 plötzlich sein Herz aus. Wiederbelebt wurde er durch Rettungskräfte, im Krankenhaus wurden dann Herzrhythmusstörungen diagnostiziert und ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt.
Noch heute rätselt Van Hooydonck, was mit seinem Körper geschah. »Ich frage mich das immer wieder: Habe ich vielleicht zu hart trainiert? Aber niemand kann mir sagen, wie sich die Anomalien binnen neun Monaten vom letzten Check her entwickelt haben können«, sagte er im Herbst. Als mögliche Gründe führt er auch die intensiveren Rennen an. »Früher fuhren wir die letzten zwei Rennstunden richtig hart, jetzt beginnt es schon drei Stunden vor dem Ziel«, meinte er.
Als gute Entwicklung kann man festhalten, dass die Rennfahrer zuletzt nicht mehr starben, sondern wie im Falle Van Hooydonck oder auch Colbrelli gerettet werden konnten. Sie tragen jetzt Herzschrittmacher. Ihre Karriere ist zwar zu Ende. Aber sie leben.
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