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Atomare Rüstungskontrolle: Kann das Wettrüsten beendet werden?
Die Möglichkeit eines Atomkriegs wurde seit den 1970er Jahren durch internationale Rüstungskontrolle eingehegt. Und wie steht es heute darum?
Im Sommer 2023 hat der Start des Blockbuster-Films »Oppenheimer« die Erinnerung an einen der wichtigsten Atomphysiker des 20. Jahrhunderts wiederbelebt. Robert Oppenheimer war ab 1942 Leiter des US-amerikanischen »Manhattan«-Projekts in Los Alamos, das zum Bau der ersten Nuklearwaffe führte. Im August 1945 wurden in Hiroshima und Nagasaki Atombomben abgeworfen und zeitigten verheerende Auswirkungen für die dortige Bevölkerung, woraufhin Oppenheimer zu einem der engagiertesten Warner vor der neuen Zerstörungstechnologie wurde. Er setzte sich für internationale Kontrollen und Begrenzungen von Atomwaffen ein, wurde jedoch während der McCarthy-Ära kommunistischer Sympathien verdächtigt und diskreditiert. Auf sowjetrussischer Seite war Andrej Sacharow maßgeblich am Bau der ersten Wasserstoffbombe des Landes beteiligt, die 1953 gezündet wurde. Auch er erkannte später die unabsehbaren Risiken des damit eingeleiteten Wettrüstens der beiden Großmächte und sprach sich für eine Verständigung zwischen ihnen aus. Diese Position, wie sein wachsendes Engagement für Menschenrechte, brachten ihm eine jahrelange Verbannung nach Sibirien ein. Beide Atomphysiker waren ihrer Zeit weit voraus.
Was Oppenheimer und Sacharow gefordert hatten, wurde erstmals 1972 in einem Abkommen zwischen den USA und der UdSSR festgeschrieben – und dies ungeachtet der anhaltenden und erbitterten Systemkonfrontation der Supermächte im sogenannten Kalten Krieg. Wie war es dazu gekommen?
Wettrüsten nach dem Zweiten Weltkrieg
Der dominante geopolitische Konflikt in den Jahrzehnten nach 1945 war der Kalte Krieg. Die Gründungen der Bundesrepublik und der DDR ließen die Allianz der Kriegspartner und späteren Siegermächte endgültig zerbrechen. Gleichzeitig hatten sich die politischen Gewichte auch auf anderen Ebenen verschoben. Politisch am bedeutsamsten war, dass Mao Zedong im Oktober 1949 die kommunistische Volksrepublik China ausgerufen hatte; rüstungstechnisch, dass die USA seit 1950 nicht mehr die einzige Atommacht der Erde waren, da es der Sowjetunion nun erstmals gelang, ebenfalls eine Atombombe zu zünden. In der Folge berief Präsident Truman unter der Leitung von Paul Nitze eine Kommission ein, die Grundlagen für die zukünftige außenpolitische und militärische Strategie der USA entwerfen sollte. Ergebnis war das Geheimdokument NSC 68, das die Politik der beiden folgenden Jahrzehnte bestimmte. Die Nitze-Kommission malte ein apokalyptisches Bild, wonach die Koexistenz von zwei Großmächten mittel- oder längerfristig undenkbar sei. Die »freie Welt« müsse alles daran setzen, die Sowjetunion in die Schranken zu weisen und ihren Dominanzansprüchen vor allem militärisch zu begegnen. Das geforderte Aufrüstungsprogramm wurde in der Folge konsequent umgesetzt und fand vor allem großen Anklang beim Militärisch-Industriellen Komplex (MIK), der Zweckgemeinschaft von Militär, Verteidigungsministerium und Rüstungsindustrie.
Die strategische Orientierung dieser Jahre zielte im Sinn von NSC 68 auf die klare nukleare Überlegenheit der USA. Die UdSSR, die auf der konventionellen Ebene nach wie vor ein enormes Potenzial aufbieten konnte, sollte durch Atomwaffen in Schach gehalten werden: Auch ein begrenzter konventioneller Angriff sei nuklear mit »Massiver Vergeltung« zu beantworten. Die Priorisierung von Atomwaffen wurde der Regierung gegenüber auch damit begründet, dieser Waffentyp sei besonders kostengünstig. Wie Eisenhowers Verteidigungsminister Charles Erwin Wilson es salopp formulierte, bekäme man »more bang for the buck«. Was die Entwicklung und Erprobung von Nuklearwaffen damals und später kosteten, blieb letztlich geheim und, da Hunderte von militärischen Stellen daran beteiligt waren, auch kaum zu überblicken. Erst eine umfangreiche Studie der Brookings Institution enthüllte 1998, dass die in den 50er Jahren in Politikerkreisen zirkulierende Zahl von drei Prozent des Verteidigungsbudgets eine krasse Untertreibung darstellte. Der Verteidigungshaushalt und das ungeheuer teure nukleare Arsenal expandierten seit Anfang der 50er Jahre in atemberaubendem Tempo. Im Jahr 1950 verfügten die USA über 299 atomare Sprengköpfe, 1960 bereits über 18 638 und 1970 über 26 008.
Die Stimmung schlägt um
Seit 1965 war das Land in den Vietnam-Krieg eingestiegen und die wachsenden Militär-Ausgaben gingen mit hoher Inflation, steigenden Konsumpreisen und Zinsen einher, ließen den Wohnungsbau stagnieren und Innenstädte verfallen. All dies führte zu einem gravierenden Meinungsumschwung in der Bevölkerung, die den Krieg zunächst mehrheitlich befürwortet hatte. Zu den horrenden Kosten kamen militärische Schlappen, eine brutale Kriegsführung, Nachrichten über Gräueltaten und eine harsche Praxis der Einberufungen. Die Protestbewegung, die ihren Ausgangspunkt in den Universitäten und in der Hippie-Bewegung hatte, erfasste das ganze Land. Mit Unterstützung von Christen, Veteranen und Prominenten kam es zu spektakulären Aktionen und Massendemonstrationen. Die bisherige keynesianische Wirtschaftspolitik wurde in der Folge aufgegeben, aber es wurden auch Truppen aus dem Vietnam-Krieg zurückgezogen und der Verteidigungshaushalt abgesenkt. Im Jahr 1978 machte er prozentual halb so viel aus wie 1958.
In der Sowjetunion ging die starke Militarisierung der Gesellschaft noch weiter zurück als in den USA. Bereits die Gründung des sowjetischen Staates im Jahr 1922 stand von Anfang an vor der Herausforderung, dass dieser nicht nur durch die konterrevolutionäre Weiße Armee, sondern ebenso durch ausländische Mächte militärisch infrage gestellt wurde. Im Jahr 1924 forderte der Militärhistoriker Michail W. Frunse, sämtliche wirtschaftliche, kulturelle und sonstige Maßnahmen müssten dahingehend überprüft werden, inwieweit sie der Landesverteidigung zugutekämen. Diese Doktrin wurde von der politischen Führung übernommen, und daraus entwickelte sich – analog zum US-amerikanischen MIK, aber auch mit eigenen Besonderheiten – eine noch stärkere Verflechtung zwischen der Rüstungsindustrie, der Kommunistischen Partei, verschiedenen staatlichen Institutionen und der Gesellschaft allgemein. Sie betraf insbesondere Forschung und Entwicklung und kam unter anderem darin zum Ausdruck, dass zahlreiche Ministerien und staatliche Betriebe dem Namen nach zivile Zwecke verfolgten, tatsächlich aber teilweise oder gänzlich dem Militär dienten – so etwa das Ministerium für mittleren Maschinenbau, in dem Nuklearsprengköpfe hergestellt wurden. Vor allem bei Kernwaffen machte die sowjetische Aufrüstung einen riesigen Sprung nach vorne. Im August 1949 wurde die erste Atombombe gezündet, 1975 kam die Sowjetunion bereits auf 19 235 Sprengköpfe.
In der Sowjetunion gab es keinerlei Chance für eine kritische Öffentlichkeit, in der die militarisierte Gesellschaft und der ungeheure Aufwand für die Rüstung allgemein und insbesondere für die Nuklearwaffen infrage gestellt worden wären. Die Wachstumsraten flachten seit den 60er Jahren allmählich ab, die wirtschaftlichen Engpässe sowie die Alltagsmängel waren offensichtlich und zeigten sich unter anderem in der üblichen Schlangenbildung vor Geschäften und in extrem beengten Wohnverhältnissen, aber die Ausgaben für Rüstung waren unverändert hoch. Nur einige wenige Einzelkämpfer wie Andrej Sacharow widersetzten sich dieser verhängnisvollen Entwicklung. Sein zunehmend radikales Engagement für Rüstungskontrolle und internationale Verständigung machte ihn für den KGB allerdings bald zum »Staatsfeind Nr. 1«.
»Goldene Ära« der Rüstungskontrolle
In der Sowjetunion fehlten kritische Stimmen gegenüber der Aufrüstungspolitik fast gänzlich, in den USA traten sie erst im Zuge des Vietnam-Krieges in den Vordergrund. Dennoch hatte es bis dahin da und dort auf Regierungsebene Ansätze gegeben, dem permanenten Ausbau der Vernichtungspotenziale Einhalt zu gebieten. Präsident Eisenhower hielt 1953, kurz nach Stalins Tod, eine Rede, in der er Begrenzungen der Rüstungsausgaben sowie internationale Kontrollen der Herstellung von Atomenergie für »friedliche Zwecke« vorschlug. Auch Chruschtschow setzte damals auf »friedliche Koexistenz« und im Sommer 1960 sollte in Paris eine Friedenskonferenz stattfinden. Sie musste abgesagt werden, weil ein US-Spionage-Flug über die Sowjetunion bekannt wurde.
Wie sich im Fall von Kuba zeigen sollte, war Chruschtschows Beschwörung der »friedlichen Koexistenz« allerdings widersprüchlich. Fidel Castro hatte dort mit seiner revolutionären Bewegung den von den USA protegierten Diktator Batista vertrieben, woraufhin dessen frühere Schutzmacht alles daran setzte, das neue Regime zu stürzen. Gleichzeitig ließ die Sowjetunion seit dem Sommer 1962 in großem Umfang Kampftruppen, Kurzstreckenraketen und atomare Sprengköpfe nach Kuba bringen. Die US-Regierung reagierte mit einer Seeblockade Kubas und die Luftstreitkräfte wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Der gewaltige Truppenaufmarsch verlief zum Teil chaotisch und Missverständnisse oder Fehlinformationen über die Manöver der Gegenseite häuften sich. Der hochriskante militärische Poker brachte die beiden Länder an den Rand des Abgrunds und der Konflikt konnte nur in letzter Minute beigelegt werden. In der Folge vereinbarten die USA und die UdSSR 1963 die Einrichtung eines »Heißen Drahtes«, um zu verhindern, dass ein nuklearer Angriff durch Kommunikationspannen von einer der beiden Seiten »versehentlich« ausgelöst wurde. Aber auch darüber hinaus erwies sich die Kuba-Krise als Wendepunkt für den bisherigen ungehemmten Wettlauf der Atomrüstung. Im selben Jahr wurde ein Vertrag unterzeichnet, mit dem Nuklearwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser verboten wurden. Zunehmend setzte sich die Einsicht durch, dass ein Atomkrieg nicht führbar war. Da und dort beriefen sich die »Falken« zwar weiterhin auf die Logik des Erstschlags, gleichzeitig verstärkten sich aber die Bemühungen, die extrem kostspielige Aufrüstung einzugrenzen und kontrollierbarer zu machen.
Als wegweisend für die Bemühungen der folgenden Jahre um die Begrenzung von Atomwaffen gilt der Salt-I-Vertrag von 1972 (Strategic Arms Limitation Treaty), der aus zwei Teilverträgen bestand. Der eine begrenzte die Zahl der landesweiten Verteidigungsanlagen gegen Angriffe mit Atomraketen, der andere die Zahl der Interkontinentalraketen und der U-Boot-gestützten ballistischen Raketen. Dieses erste große Abkommen bildete den Auftakt zu einer Serie von weiteren Vereinbarungen in den folgenden drei Jahrzehnten, die zusätzliche Waffengattungen betrafen oder mit denen Lücken und Schlupflöcher der bisherigen Verträge geschlossen werden sollten. Sie zielten auf das Testen, die Stationierung, den Einsatz oder die Weiterverbreitung von Nuklear- oder anderen Massenvernichtungswaffen. Dazu gehörten: Salt II (1979), INF (Intermediate Range Nuclear Forces, 1987), CFE (Conventional Forces in Europe Treaty, 1990), Start I (Strategic Arms Reduction Treaty, 1991) und Start II (1993). Die atomare Rüstung erreichte 1986 mit einem weltweiten Bestand von 40 159 Sprengköpfen ein Maximum und sank seither. Darüber hinaus wurden weitere wichtige Verträge zu biologischen und toxischen Waffen abgeschlossen und mit dem CFE-Abkommen auch die konventionelle Rüstung in Europa begrenzt.
Druck von unten und oben
In den westlichen Ländern war als Reaktion auf die amerikanischen Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki eine starke Bewegung entstanden, die – lange vor den studentischen Anti-Vietnamkrieg-Protesten – vor den Gefahren eines Atomkrieges warnte. Sie wurde getragen von Prominenten wie Bertrand Russell und Albert Einstein, in den USA auch durch Demonstrationen von überwiegend bürgerlichen Frauen, die in ihrer Eigenschaft als Mütter forderten: »End the Arms Race not the Human Race«. In späteren Rückblicken auf die Genese der Verträge zur Rüstungskontrolle wurden im Allgemeinen die militärstrategischen Überlegungen in den Vordergrund gestellt. Die Frage der ausufernden Kosten spielte dann eine Rolle, wenn öffentlicher Druck sie zum Thema machte. In den USA führten eine Wirtschaftskrise und eine wache Öffentlichkeit dazu, die Aufrüstungsbestrebungen der Regierung für mehr als ein Jahrzehnt zu dämpfen und machten diese bereit, über die Begrenzung von Atomrüstung zu verhandeln.
Anders sah es in der Sowjetunion aus. Hier war es keine kritische Öffentlichkeit, die der kostspieligen militaristischen Politik Einhalt geboten hätte, sondern Reformen von oben, die eine Abkehr von ihr einleiteten. Michail Gorbatschow bot den USA die vollständige nukleare Entwaffnung an: eine einmalige historische Chance, die der Westen in seinem Triumphalismus über die eigene Überlegenheit mutwillig verspielte. Gleichwohl reduzierte die sowjetische Regierung die Zahl der Atomwaffen ab 1986 um mehr als zwei Drittel und senkte auch die Militärausgaben insgesamt. Sie betrugen 1997 in Russland ein Zehntel derjenigen der sehr viel größeren UdSSR von 1988.
Die 90er Jahre gelten als die Zeit der »Friedensdividende«. In der Tat sanken auch in den USA die militärischen Ausgaben von 1990 bis 2000 erheblich und die Zahl der Atomsprengköpfe ging zurück. Um die Jahrtausendwende kehrte sich der Trend der sinkenden Verteidigungsausgaben jedoch um und das Atomwaffenarsenal wurde modernisiert. Dies geschah im Zuge der Reaktion auf die Anschläge durch die islamistische Terrororganisation Al-Qaida am 11. September 2001, die die US-Regierung veranlassten, den »Krieg gegen den Terror« auszurufen. Der Kampf gegen die »Achse des Bösen« hatte im selben Jahr die Invasion in Afghanistan und 2003 die Invasion in den Irak zur Folge. Nicht nur hier, auch in Russland – dem wichtigsten Nachfolgestaat der auseinandergebrochenen Sowjetunion – kam das Absenken der Militärausgaben an sein Ende. Seit Wladimir Putin an seiner Spitze stand, engagierte sich das Land in mehreren Kriegen gegen »abtrünnige« frühere Sowjetrepubliken: 1999 in Tschetschenien, 2008 in Georgien, 2014 und 2023 in der Ukraine. Neben Israel, Katar und Saudi-Arabien gehört Russland inzwischen zu einem der weltweit am stärksten militarisierten Länder. Dabei gilt die Aufmerksamkeit des Regimes ganz besonders der Atombewaffnung und auch hier wird die Modernisierung der Bestände betrieben.
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Sind Rüstungskontrollen nun »tot«?
Angesichts dieser Entwicklungen klingen Einschätzungen zu aktuellen Chancen für Abrüstung und zu Vereinbarungen für Rüstungskontrolle meist eher pessimistisch und solche Abkommen gelten vielen als »tot«. Der US-Senat ließ 1999 ein neues Abkommen zu Atomtests scheitern, Start II wurde nicht ratifiziert und die USA traten aus dem INF-Vertrag aus. Auf der anderen Seite verletzte Russland den INF-Vertrag dadurch, dass neue Mittelstreckenraketen stationiert wurden und das Land sich schrittweise aus dem CFE-Abkommen zurückzog. Dennoch wurden solche Vereinbarungen zwischen den USA und Russland nicht gänzlich aufgegeben. Im Jahr 2010 wurde der New-Start-Vertrag zur Begrenzung der Zahl der strategischen Waffen abgeschlossen. Die nach zehn Jahren fällige Verlängerung scheiterte zwar unter Präsident Trump, erfolgte dann aber durch die Präsidenten Biden und Putin 2021.
Die geopolitische Situation hat sich seit dem Zusammenbruch des Ostblocks grundlegend verändert. Die USA haben ihre früher einzigartige wirtschaftliche und politische Vormachtstellung eingebüßt. China und andere wirtschaftlich aufstrebende Länder haben bei atomarer wie konventioneller Rüstung nachgezogen. Die so entstandene multipolare Ordnung würde es demnach erfordern, dass neue Abkommen diesen Machtverhältnissen entsprechen, zumindest also trilateral abgeschlossen werden. Entsprechend sind international ausgerichtete Initiativen entstanden, so etwa auf Initiative Mexikos bereits seit 1967 die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone der lateinamerikanischen Länder. Auf dieser Grundlage haben 122 Uno-Mitgliedsstaaten 2017 den Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) initiiert, der sich auf sämtliche Stufen der Entwicklung und Nutzung von Atomwaffen bezieht und die Verpflichtung enthält, die Opfer von Atomwaffentests oder -einsätzen zu unterstützen sowie die beschädigte Umwelt zu sanieren. Im Übrigen hat sich auch gezeigt, dass weithin geteilte Normen – wie der Verzicht auf atomare Tests – oftmals selbst von den Staaten eingehalten wurden, die entsprechende Verträge nicht unterschrieben haben. Nur ein einziges Land hat solche Tests seither durchgeführt: Nordkorea.
Entscheidend bei den bisherigen Erfolgen von Maßnahmen der Rüstungskontrolle hat sich immer wieder eine starke Mobilisierung der öffentlichen Meinung durch Initiativen der Friedensbewegung erwiesen. Sofern staatliche Systeme – ob kapitalistische oder nicht-kapitalistische – nicht aufgrund massiver interner Funktionsmängel zusammenzubrechen drohen und damit auch den militärischen Komplex infrage stellen, ist angesichts zunehmender Aufrüstungsbestrebungen nach wie vor auf den Druck durch international vernetzte Bewegungen zu setzen, um eine kritische Öffentlichkeit für den Verzicht auf bestimmte Waffen oder für generelle Abrüstung herzustellen.
Die Friedensbewegung hat sich in den letzten Jahrzehnten allerdings stark verändert. Weniger als früher wird sie von couragierten Einzelpersonen geprägt, und auch große Friedensdemonstrationen sind eher selten geworden. Die drohende US-Invasion in den Irak brachte im Februar 2003 Millionen von Protestierenden in 75 Ländern auf die Straße, doch nach der russischen Invasion in die Ukraine waren es Anfang März 2022 sehr viel weniger, weltweit insgesamt einige Hunderttausend. An die Stelle von sozialen Bewegungen und ihren zeitweilig erfolgreichen Massenmobilisierungen sind die Aktivitäten von Forschungsinstituten und NGOs getreten, die professionell arbeiten, und nicht nur durch Spenden, sondern auch durch Zuwendungen staatlicher oder überstaatlicher Organisationen finanziert werden. Immer wieder gelingt es ihnen, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, etwa im Rahmen der Uno. Ihnen gegenüber steht allerdings der wachsende und zunehmend wirkungsvolle Lobbyismus jener Kreise, die auf anhaltende Militarisierung setzen. Ob im Rahmen dieser Strukturen Mobilisierungen wie in früheren Zeiten möglich sind und breite öffentliche Resonanz finden können, ist derzeit eine offene Frage. Die endgültige Ächtung von nuklearen und anderen Waffen bleibt ein brennendes und ungelöstes Problem, sollte aber nicht aufgegeben werden.
Dorothea Schmidt hat an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin bis 2013 Wirtschafts- und Sozialgeschichte unterrichtet und ist Mitglied in der Redaktion der »PROKLA«.
Der Beitrag ist ein gekürzter Abdruck aus »PROKLA 213: Wie viel 1973 steckt in 2023? 50 Jahre Brüche und Kontinuitäten«. 53. Jg., Heft 4. Bertz + Fischer 2023, 204 S., 15 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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