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Perfekter Adventsausflug: Zum Christkindelmarkt nach Görlitz
Der Budenzauber in der pittoresken Neiße-Stadt ist die schlaue Alternative für alle, denen Dresden zu voll ist
Hach, Advent: Draußen lässt der Wind den Schnee durch die Lausitz wirbeln, an der Scheibe an der gut gefüllten Regionalbahn zerrinnen die Flocken, während der Odeg-Zug Richtung Görlitz rattert. Eine Fahrt ins Adventwochenende und der Wettergott spielt mit: Die östlichste Stadt Deutschlands liegt unter einer Zuckerdecke von Pulverschnee! Eigentlich kann nichts schiefgehen auf diesem Wochenendausflug zum Schlesischen Christkindelmarkt. Oder?
Schon der Spaziergang vom Görlitzer Bahnhof in die Innenstadt bringt erste Gewissheit für all jene, die an diesem Freitagabend in bester Glühweinstimmung Richtung Obermarkt schlendern: Trotz des Schneefalls funkelt und glitzert es schon auf der eher schmucklosen Berliner Straße weihnachtlich. Alle paar Meter hängen Lichterketten mit jeweils zwei riesigen Herrnhuter Sternen über dem Asphalt.
Herrnhut: Jene Brüdergemeine, in deren Internatsstuben vor fast 200 Jahren die ersten papiernen Exemplare der legendären Weihnachtssterne aufgehängt wurden. Die Kleinstadt liegt nur 30 Kilometer entfernt von Görlitz. Von dort aus werden die Sterne heute in alle Welt verschickt. Der Görlitzer kauft seinen Stern in der Comenius-Buchhandlung, die der Herrnhuter Gemeine gehört. Die Sternendichte in der Görlitzer Altstadt ist hoch: Was dem Erzgebirger der Schwibbogen, ist dem Oberlausitzer der Herrnhuter Stern. Und seit ein paar Jahren auch der »Schlesische Christkindelmarkt zu Görlitz«, der jedes Jahr immerhin geschätzte 100 000 Besucher in die 57 000-Einwohner-Stadt zieht.
Zu Görlitz! Anders als der altertümliche Name glauben machen soll, hat der Markt zu Görlitz gar keine zu große Tradition aufzuweisen: Erst seit 1994 gibt es den Christkindel-Budenzauber mit Bethlehemshof, Jurte, Krippentieren, Lesezelt und Eisstockschießen.
- Anreise: Von Berlin-Ostkreuz mit der Regionalbahn in zweieinhalb Stunden nach Görlitz, Umstieg in Cottbus.
- Christkindelmarkt: Schnell noch hin! Weil 2024 der vierte Advent der 24.12. ist, schließt der Schlesische Christkindelmarkt schon an diesem Sonntag (17. Dezember). Geöffnet am
Sa. 11–21, So. 11–20 Uhr. - Übernachten: Beispielsweise in den hellen Kreuzgewölbe-Zimmern des familiär geführten Viersternehotels Paul Otto am Nikolaiturm (DZ ab 90 Euro).
www.hotelpaulotto.de - Essen: Versteckt in der Schwarzen Gasse, wo früher die Drucker arbeiteten, liegt das gemütliche, vor allem auch von Einheimischen gern besuchte »Salü«, wo bei wechselnder Wochenkarte frisch gekocht wird.
www.salue-goerlitz.de
Etwas am Stadtrand mit schönem Blick auf die Neiße gibt’s in der Obermühle regionale Spezialitäten und hausgebrautes Bier.
www.obermuehle-goerlitz.de - Turmaufstieg: Von März bis Dezember von Mittwoch bis Sonntag jeweils zur vollen Stunde von 11–17 Uhr (letzter Aufstieg). Treffpunkt an der Rathaustreppe auf dem Untermarkt. (Erwachsene: 5 €, Kinder 1,50 €).
https://www.goerlitz.de/angebot/detail/295-Individualreise-Aufstieg-auf-den-Rathausturm - Allgemein: Informationen, Stadtführungen und Möglichkeiten zur Buchung auf
www.goerlitz.de/Tourismus.html oder
www.sachsen-tourismus.de
Dennoch ist der Christkindelmarkt weit über Sachsen hinaus bekannt. Weil Görlitz sich in den 33 Jahren seit der Wende so gekonnt auf die Wiederherstellung seiner historischen Schönheit besonnen hat – 4000 Baudenkmäler aus fünf Jahrhunderten sind weitestgehend wieder instandgesetzt – zählt auch der Weihnachtsmarkt zu den schönsten des Landes; Sachsens mindestens, womöglich sogar ganz Deutschlands.
Für die Einheimischen ist er sowieso unerreicht, klar! »Zu DDR-Zeiten gab es nur einen ganz normalen Weihnachtsmarkt in der parallel gelegenen Elisabethstraße«, weiß Gudrun Burghardt zu berichten. Die Stadtführerin ist gebürtige Görlitzerin, im Advent führt sie samstags dreimal täglich 30- oder sogar 40-köpfige Besuchergruppen an die weihnachtlichen Orte der Stadt: Zur Eisbahn, die jedes Jahr im Dezember am Obermarkt installiert wird, zum Schwibbogen am Klosterplatz, der einem Mundloch (Stolleneingang) nachgebaut ist, zum Rathaus am Untermarkt, der das Zentrum des Christkindelmarktes bildet.
Burghardt spaziert mit den Gästen über die basaltgepflasterten Gassen, von denen jede einer Zunft zugeordnet war: Fleischerstraße, Plattnerstraße, Bäckerstraße, Apothekergasse. Und natürlich die Brüderstraße, durch die die Mönche vom Kloster in die Stadt liefen. Vor Jahrhunderten verlief die europäische Fernstraße Via Regia genau hier entlang. In der Brüderstraße hatten deswegen die wichtigsten Kaufleute der Stadt ihre Niederlassungen, in sogenannten Hallenhäusern, in deren hohen Vorhallen sie waidblaues Tuch bis unters Dach stapelten. Die riesigen Hallen dieser einzigartigen Kaufmannspaläste waren sogar mit Kutschen befahrbar. Handel machte Görlitz reich.
Derzeit bewirbt sich die Stadt mit den Hallenhäusern um eine Aufnahme in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes. Adventsbesuchern, die ein solches Hallenhaus von innen sehen wollen, empfiehlt Stadtführerin Burghardt einen Blick in die Jugendherberge in der Peterstraße oder in das Schönhaus am Untermarkt, das heute das spannende Schlesische Museum beherbergt. Wer das ganze Wochenende Zeit hat, sollte dort unbedingt mal reinschauen.
Zumindest im Dezember kommen die Besucher aber weniger wegen schlesischer Geschichte sondern eher wegen Schlesischer Bratwurst. Auf der Brüderstraße wird sie an einem Stand für 3,80 Euro das Stück gegrillt. Prall, fettig und deftig gewürzt mit Petersilie, Zwiebel und Zitronenschale. Schlesische Bratwurst wird in Görlitzer Wohnzimmern traditionell an Heiligabend aufgetischt, zusammen mit Sauerkraut und Abernmauke (Kartoffelbrei). Bei den besten Fleischern der Stadt stehen die Görlitzer an Heiligabend Schlange – nach Würsten!
Als mythische Weihnachtsspezialität gelten in der Gegend auch die Mohnpielen, eine kalte Süßspeise, geschichtet aus gemahlenem Blaumohn, Mandeln, Rosinen, und in gezuckerter Milch eingeweichtem Semmelteig. Probieren kann man Mohnpielen stilgerecht auf einem der Samtsofas im »Lucullus« in der Peterstraße: Der Geschmack ist geheimnisvoll: dunkler, schwerer Mohn, zuckertriefender Teig. Weihnachtliche Üppigkeit, dargeboten in einem aus der Zeit gefallenen Kaffeehaus.
Natürlich gibt’s Mohnpielen auch am Bäckerstand auf dem Christkindelmarkt zu kaufen, am Untermarkt werden sie unter ihrem schlesischen Namen »Mohnkließla« wie Eiskugeln in einer Waffel gereicht. Sie sind Bestseller neben den »Liegnitzer Bomben«: schokoladenüberzogenen Lebkuchenballen, gefüllt mit kandierten Kirschen und Marzipan, wie sie zuerst im schlesischen Liegnitz (heute polnisch Legnica) verkauft wurden.
Überhaupt duftet es aus allen Richtungen: Schaschlikdampf mischt sich mit Glühweindunst, Quarkkeulchen brutzeln im Fettbad, Mandeln drehen sich im Karamellisierer und verbreiten Röstaromen. Dass Görlitz im Dreiländereck liegt, ist auf dem Christkindelmarkt unschwer zu erkennen: Klassischer polnischer Bigos-Krauteintopf blubbert, Räucherkäse aus dem Isergebirge liegt in Streifen drapiert in den Auslagen, über Holzkohle dreht sich Trdelník, die Prager Baumstriezel-Spezialität aus Hefeteig. Die Schlangen an den Ständen sind nicht zu lang, man hört Sächsisch, Berlinisch, Polnisch, Tschechisch und natürlich den Oberlausitzer Zungenschlag, wenn eine junge Frau ihre kleine Tochter zum Weitergehen drängt: »Kumm oack!« (Nun komm!).
Wer schlau ist, baut in seinen Christkindelmarkt-Ausflug auch einen Abstecher auf den Rathausturm ein: Treffpunkt ist die Rathaustreppe zur vollen Stunde. Mit einem Führer geht es die 191 Stufen zur Aussichtsplattform in 60 Meter Höhe hinauf – ein kleiner Ausgleich zur Völlerei an den Ständen. Satt und zufrieden schweift der Blick über die pittoreske Stadt: Könnte nicht immer Advent sein?
Die Recherche wurde unterstützt von der Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen mbH.
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