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In die Raffinerien der Mafia
Aurubis ermittelt nach Millionenbetrügereien auch gegen die eigenen Vorstände
Deutschlands führender Metallkonzern Aurubis steht im Mittelpunkt aufsehenerregender, millionenschwerer Kriminalfälle und muss nun einen heftigen Gewinneinbruch verkraften. Der Vorstandsvorsitzende Roland Harings gibt sich dennoch optimistisch: »Mit unseren Metallen schaffen wir die Basis für die Technologien der Zukunft«, blickte er auf der Bilanzpressekonferenz am Mittwoch im Hamburger Stammwerk auf der Peute lieber nach vorne als zurück. Für das neue Geschäftsjahr 2023/24 schließt die aktuelle Prognose an das hohe Ergebnisniveau der vergangenen drei Jahre an. Ob erneuerbare Energien, E-Mobilität, Digitalisierung oder Urbanisierung: Der Metallbedarf werde weiter steigen. »Kupfer ist das Metall der Energiewende«, sagte der umstrittene Aurubis-Boss. Dabei ist es ungewiss, ob er noch lange im Amt verbleibt.
»Stolz« ist Harings auf die von den 7100 Beschäftigten erwirtschaftete betriebswirtschaftliche Bilanz. Trotz Millionenbetrügereien erzielte der Kupferproduzent das drittbeste Ergebnis seiner über 150 Jahre währenden Unternehmensgeschichte. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2022/23 betrug der Gewinn vor Steuern 349 Millionen Euro (Vorjahr: 532 Millionen), die Eigenkapitalrendite liegt trotz hoher Investitionen im Geschäftsjahr mit 11,3 Prozent über dem Branchenschnitt. Das Geschäftsjahr des weltweit führenden Anbieters von Nichteisenmetallen und eines der größten Kupferrecyclers der Welt endet jeweils am 30. September.
Rund 200 Millionen Euro beträgt allerdings der Schaden, den Diebe und Betrüger bei Aurubis angerichtet haben. Zunächst wurde bekannt, dass Edelmetalle im Wert von 11 Millionen Euro gestohlen worden waren. Dieser Fall wird seit vergangener Woche vor dem Landgericht Hamburg verhandelt. Einer der sechs Angeklagten, damals Mitarbeiter von Aurubis, soll sogenannte Rohsilberfegsel beiseitegeschafft haben – wertvolle Rückstände aus der Produktion, die bis zu 90 Prozent Silber und 5 Prozent Gold enthalten. Andere Angeklagte, die bei Subunternehmen beschäftigt waren, sollen die Fegsel heimlich im Auto aus dem Werk geschafft haben.
In einigen Fällen ging das wertvolle Material an eine Metallfirma in Istanbul. Andere Abnehmer sind bislang nicht ermittelt. Bei Razzien in 30 norddeutschen Objekten der mutmaßlich Beteiligten fand ein Großaufgebot der Polizei im Juni auch Waffen, Luxusautos und Bargeld im Wert von insgesamt 20 Millionen Euro. Der Prozess ist bis Ende April terminiert.
Nachdem die Silber-Diebstähle aufgeflogen waren, hatte Vorstandsboss Harings eine Inventur der Edelmetall-Bestände anberaumt. Dabei kam Ende August heraus, dass noch sehr viel mehr fehlte. Demnach enthielt ein Teil des von Fremdfirmen bei Aurubis angelieferten Schrotts weit weniger Gold, Platin und Silber, als die werksinterne Analyse der Proben nahelegte. Der Schaden soll zu heutigen Marktpreisen 169 Millionen Euro betragen, sagte Harings am Mittwoch. Beschäftigte des Konzerns seien an den Betrügereien beteiligt gewesen. »Wir arbeiten mit Hochdruck an der Aufklärung der kriminellen Aktivitäten gegen uns«, betonte Harings. Dabei soll sogar noch ein dritter Fall entdeckt worden sein.
Bislang hatten sich die Sicherheitsmaßnahmen in der Branche auf den Diebstahl von reinen Edelmetallen durch sogenannte Innentäter konzentriert. Offenbar habe aber die »hochprofessionelle Organisierte Kriminalität«, so der Aurubis-Chef, inzwischen industrielle Kapazitäten aufgebaut, um selbst Zwischenprodukte wie ausgediente edelmetallhaltige Katalysatoren von Autos zu verarbeiten und aus diesem Schrott werthaltige Metalle zu raffinieren. Die Täter sind bislang unbekannt.
Der Aufsichtsrat hat sich in seiner Sitzung an diesem Dienstag »intensiv mit Vorstandsangelegenheiten befasst«, heißt es in einer Mitteilung des Gremiums. Entscheidungen wurden dabei nicht getroffen, aber der Aufsichtsrat hat nun die Rechtsanwaltskanzlei Hengeler Mueller beauftragt, die Verantwortung des vierköpfigen Vorstands zu untersuchen. Der Bericht wird für Mitte Januar erwartet. Bis dahin bleibt offen, ob auch Innentäter in Nadelstreifen für die Straftaten verantwortlich sind oder gar daran beteiligt waren. Der Aufsichtsrat könne derzeit weder ausschließen, dass die amtierenden Vorstandsmitglieder ihr Amt fortführen, noch dass es zu einer vorzeitigen Trennung komme oder der Vorstand umstrukturiert werde.
Mittlerweile wurden die Kontrollen und Sicherheitsmaßnahmen in den Werken in Deutschland (Emmerich, Fehrbellin, Hamburg, Lünen, Röthenbach, Stolberg), aber auch in Belgien, Bulgarien, Italien, Finnland, Spanien und den USA »mit aller Konsequenz« verschärft, versicherte Harings. Am Standort Hamburg wird für 300 Millionen Euro gerade eine neue Anlage zur Verarbeitung von Edelmetallen errichtet, um die gesamte Prozesskette ab 2027 in einem abgeschlossenen Sicherheitsbereich abzuwickeln. Das wird auch dies mit sich bringen – eine ganz neue Herausforderung für Kriminelle.
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