Lieferdienst Flink: Grenzen der Meinungsfreiheit im Betrieb

Flink-Fahrer wird wegen gestörten Betriebsfriedens gekündigt, Wiedereinstellung per Gericht scheitert

Ohne Interessenvertretung und ohne Betriebsrat unterwegs: die Flotte von Flink
Ohne Interessenvertretung und ohne Betriebsrat unterwegs: die Flotte von Flink

Eine lange und harte Auseinandersetzung scheint an ihr Ende gekommen zu sein. Der wohl letzte Beschäftigte, der beim Lieferdienst Flink die Einrichtung eines Betriebsrats vorangetrieben hatte, verlor gerichtlich gegen seinen Arbeitgeber und somit schlussendlich auch seinen Job.

Der klagende Rider war nach einem Urteil des Arbeitsgerichts vom März in Berufung gegangen. Damals waren gleich drei Kündigungen gegen ihn verhandelt worden. Das Gericht wies diese allesamt ab, entschied aber zugleich auf Antrag von Flink, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Das ist nach Paragraf 9 Kündigungschutzgesetz (KSchG) vorgesehen, »wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen«.

Gegen die Anwendung dieses Paragrafen, also gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, ging der Fahrer in Berufung. Das Landesarbeitsgericht hatte also in zweiter Instanz zu entscheiden.

Klägeranwalt Jakob Heering erklärte die Berufung vor Gericht damit, dass die Arbeitgeberseite die Auflösung des Arbeitsverhältnisses lediglich mit dem Verhalten des klagenden Fahrers im Gerichtsprozess begründet habe. Mit Blick auf das Verhalten seines Mandanten verwies Heering auf die spezielle Situation vor Gericht: »Scharfe Angriffe gegen ihn hat er scharf erwidert. Das Verhalten beruht auf Gegenseitigkeit.«

Der Kläger ist abseits des Fahrradsattels und der pinken Unternehmenskleidung kein Unbekannter. Elmar Wigand ist organisiert in dem kleinen Verein Aktion gegen Arbeitsunrecht, tritt als sein Pressesprecher auf und ist Gesicht vieler öffentlicher Auftritte der Organisation. Die Aktion gegen Arbeitsunrecht dokumentiert Grenzüberschreitungen und Rechtsverletzungen von Unternehmen, will Beschäftigte dabei unterstützen, sich in Betriebsräten und gewerkschaftlich zu organisieren und gegen Angriffe von Arbeitgebern zu wehren. Wigand findet sich also selbst in einer Rolle wieder, die er sonst aktivistisch begleitet.

Wigand ist darüber hinaus publizistisch tätig. Seine Beiträge besitzen eine pointierte und bissige Wortwahl. Manch eine*r mag sich davon angegriffen fühlen. Doch reicht das, um eine Zusammenarbeit zu verunmöglichen?

»Die Äußerungen waren scharf, aber anlassbezogen und nicht diffamierend. Stattdessen hat mein Mandant in der Sache und im Rahmen der Presse- und Meinungsfreiheit Kritik am Konzern Flink geäußert«, sagt Anwalt Heering. Und: Der Prozess habe sich hochgeschaukelt. »Auf das Verhalten meines Mandanten ist mit Provokationen hingearbeitet worden.«

Das beklagte Unternehmen, die Flink Expansion 4 GmbH, die den sogenannten Hub in Rummelsburg betreibt, wird durch zwei Anwältinnen der Kanzlei Pusch Wahlig vertreten. Rechtsanwältin Anna Franziska Hauer wählt ihrerseits eine mindestens prägnante Sprache. »Der Kläger hat sich mit Sabotageabsichten in den Betrieb eingeschlichen.« Gegen den Pressesprecher des Unternehmens habe er einen »tätlichen Angriff« verübt. Hauer spricht von »psychischer Gewalt« und »Schmähkritik, nur um dem Konzern zu schaden, weit weg von Meinungsäußerung«. Sie hob nochmals das Verhalten Wigands beim Prozess vor dem Arbeitsgericht hervor. Er habe als großer Mann eine Drohkulisse aufgebaut und dem Vorsitzenden Richter sei es nicht möglich gewesen, die Ordnung wieder herzustellen. Den Ausführungen des Klägeranwalts Heering und insbesondere denen Wigands fällt Hauer immer wieder ins Wort.

Wigand bekennt sich dann auch im Laufe des Prozesses zu seinem Verhalten. Bemüht ruhig erklärt er: »Die Schärfe kam rein, weil Flink auch medienrechtlich gegen meinen Verein vorgegangen ist. Sie bedienen sich einer Technik.«

Rechtsanwalt Jakob Heering und Kläger Elmar Wigand
Rechtsanwalt Jakob Heering und Kläger Elmar Wigand

Der Vorsitzende Richter Hans-Georg Nielsen sagt, dass das Gericht in erster Instanz die Vertragsauflösung mit »aggressiver Stimmung« begründet habe, aber schlecht greifbar sei, was damit konkret gemeint gewesen sei. Es gehe nun darum zu verstehen, was das Gericht damals gemeint habe.

Konkret soll Wigand besonders eine Justiziarin des Konzerns verbal angegangen sein: strunzdoof, saudoof oder sehr doof soll er sie genannt haben. Er habe Bedenken, wenn so gegen die Frau vorgegangen werde, sagt Richter Nielsen. Wigand habe von »autonom voneinander arbeitenden Sprach- und Gedächtniszellen« der Justiziarin gesprochen.

Richter Nielsen spricht auch eine Veröffentlichung der Aktion gegen Arbeitsunrecht an. Nach dem Urteil hieß es dort: »Die Rede ist von einer sich selbst erfüllenden aktiven und mutwilligen Vergiftung der Arbeitsbeziehungen durch das Management und dessen Dienstleister: schamlos lügen, diffamieren, öffentlich brandmarken, intrigieren, schikanieren und bespitzeln.« »Das ist eine Tirade, da ist die Frage, inwiefern das – zumal in der Allgemeinheit – von der Meinungsfreiheit gedeckt ist«, stellt Nielsen in den Raum.

»Was ist denn ihr Ziel?«, fragt einer der beiden ehrenamtlichen Richter. »Ich möchte wieder arbeiten«, sagt Wigand. Bei den Kolleg*innen im Hub sei er beliebt gewesen. Streit habe es mit Konzernvertreter*innen jenseits der lokalen GmbH gegeben.

Das Urteil erging am Dienstagabend schriftlich. Eine Sprecherin des Gerichts teilte »nd« mit, dass die erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgericht bestätigt worden sei. Demnach sei das Arbeitsverhältnis beendet worden. Wigand wurde zudem eine niedrige Abfindung zugesprochen. Eine Begründung des Urteils sei frühestens Ende Januar zu erwarten, teilte die Sprecherin mit. Eine Revision sei nicht zugelassen worden.

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Flink sah die eigene Rechtsauffassung durch das Urteil bestätigt. Durch die öffentlichen Äußerungen und Diffamierungen gegenüber seinem Arbeitgeber und einzelnen Kollegen und Kolleginnen, die gerichtlich belegt seien, sei an ein Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nicht mehr zu denken, teilt ein Sprecher des Unternehmens mit.

Klägeranwalt Heering sagte »nd«: »Natürlich ist es nicht das Ergebnis, das wir uns erhofft und für das wir mit guten Argumenten gestritten haben.« Für weitere Einschätzungen bleibe die Urteilsbegründung abzuwarten.

»Wir waren von vornherein nicht so optimistisch«, sagt Kläger Wigand zu »nd«. »Aber es wäre schon eine Sensation, ein Paukenschlag für die Gegenseite gewesen.« Den Paragrafen 9 KSchG bezeichnet er als »Arbeitsunrechtspraragrafen«, der es Unternehmen ermögliche, Beschäftigte durch die Hintertür zu entsorgen. Er zieht eine Parallele zur Gründung des Flink-Betriebsrats, mit der die Geschichte ursprünglich einmal angefangen hatte. Auch damals im September 2022 seien bei einer Versammlung von 300 bis 400 Beschäftigten Unternehmensvertreter*innen erschienen. Dort hätten sie bewusst Chaos gestiftet, um später die Gründung gerichtlich anfechten zu können. Damals war es zu tumultartigen Szenen gekommen, als Vorgesetzte an der Gründung teilnehmen wollten.

»Ich zweifle auch ein wenig an der Arbeitsgerichtsbarkeit. Es hätte eines Gerichts bedurft, das sich etwas traut«, sagt Wigand. »Aber auch im Emily-Urteil im Fall der unterschlagenen Pfandbons hatte damals das Bundesarbeitsgericht die Urteile der beiden Berliner Instanzen aufgehoben.« Das Berliner Arbeitsgericht hatte die Kündigung einer Supermarktkassiererin wegen der Unterschlagung von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro für rechtmäßig erklärt. 2011 hatte das Bundesarbeitsgericht diese Urteile und die Kündigung aufgehoben. Ähnliches erhofft sich Wigand auch für sein Ausscheiden bei Flink.

Allerdings ist die Revision im vorliegenden Fall ausgeschlossen, da das Gericht »insbesondere dem Fall keine grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat«. Bei nicht zugelassener Revision gibt es zwar noch das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde. Doch das sei nicht einfach durchzubekommen, sagt Rechtsanwalt Benedikt Hopmann, der selbst in einem Fall von gekündigten Betriebsratsinitiator*innen beim Lieferdienst Gorillas prozessiert: »Das gelingt etwa in zehn von 100 Fällen.« Auch hierfür sollte man die Urteilsbegründung abwarten.

Bei Flink gebe es nach mehreren Gerichtsprozessen mit mehreren in den Betriebsrat involvierten Ridern keinen Betriebsrat und keinen Wahlvorstand mehr, bemerkt selbst Richter Nielsen. All das müsste neu aufgerollt werden. In Freiburg wurde ein Flink-Hub kurz vor einer Betriebsratswahl geschlossen und 50 Fahrer*innen wurden entlassen. Gegenüber »nd« erklärt Flink: »Falls unsere Mitarbeitenden einen Betriebsrat gründen möchten, stehen wir ihnen nicht im Weg.«

2022 war bekannt geworden, dass Flink eigeninitiativ sogenannte Ops Committees betreibt, die deutschlandweit zu einem Hub-Council zusammengeführt werden sollen. Es geht dabei laut Unternehmen um »eure Beteiligung bei Flink«. Allerdings würden laut einem Flugblatt die Ops Commitees nicht von der Belegschaft gewählt, sondern vom Regional-Manager benannt. Vorschläge könnten Hub-Manager einreichen. Das Ziel des Gremiums sei es, »Mitarbeiter zu suchen, die ihren Mund aufmachen, um diese dem Regionalleiter zu melden, der sie dann schnellstmöglich entfernt«, hatte einer dieser Manager der »Taz« gesagt.

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