- Politik
- Libanon
Hisbollah und Israel: Eskalation nach undurchsichtiger Eigenlogik
Die Spannungen zwischen der Hisbollah und Israel nehmen rapide zu – obwohl die Miliz im Libanon wenig objektives Interesse an einem Krieg hat
Die Kriegsgefahr ist enorm hoch. Mit jedem neuen Tag werde es wahrscheinlicher, dass die Hisbollah im Libanon und das israelische Militär wieder aneinander geraten, sagte Israels Verteidigungsminister Joaw Galant zu Wochenbeginn: Schon lange, bevor im Gazastreifen der Krieg ausbrach, zeigten sich Mitglieder der Hisbollah, oft bewaffnet, an der Grenze, überquerten diese gar demonstrativ. Und seit dem 7. Oktober werden wieder Raketen auf Israel abgeschossen; viel, viel weniger zwar als jene, die die Hamas und der Islamische Dschihad vom Gazastreifen aus abschießen, aber dennoch deutlich spürbar. Das israelische Militär greift dann Stellungen der Hisbollah an, und warnt vor einem großen Krieg, wie es ihn zuletzt 2006 zwischen Israel und der schiitischen Organisation gegeben hat.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Doch noch bleibt diese Konfrontation aus. Denn auch wenn die humanitäre Lage im Gazastreifen und die Berichte über die vielen tausend Opfer dort die Emotionen geweckt haben: Die Zustimmung zu einem Krieg ist gering bei jenen, die nicht zu den unmittelbaren Unterstützern der Hisbollah gehören oder in einem der palästinensischen Flüchtlingslager leben. Im Libanon leben rund 500 000 Menschen, die während der Kriege 1948 und 1967 aus Israel oder den besetzten Gebieten geflüchtet sind, sowie deren Nachkommen. Anders als in anderen arabischen Staaten haben diese Personen nur sehr eingeschränkte Rechte: Sie dürfen beispielsweise weder Land noch Immobilien besitzen und brauchen eine Arbeitsgenehmigung, die schwer zu bekommen ist. Dies hat dazu geführt, dass in den Flüchtlingslagern, die heute auch im Libanon voll ausgebaute Städte sind, Organisationen wie die Hamas den Ton angeben. Auch mehrere Raketenabschüsse aus dem Südlibanon werden ihr zugerechnet.
Aber obwohl sich Hamas und Hisbollah ideologisch nahestehen, enge Kontakte zu den iranischen Revolutionsgarden pflegen und sich auch die Strategien ähneln, trennt beide ein weiteres Element: der Nationalismus. Die Hamas ist in die palästinensische Gesellschaft und Politik, die Hisbollah in die libanesische eingebettet. Die militärische Strategie beider Organisationen funktioniert nur, wenn man es schafft, die Unterstützung der Menschen zu behalten. Der Libanon ist ein gesellschaftlich tief gespaltenes Land. Im Oktober vergangenen Jahres trat Präsident Michel Aoun zurück. Zwölf mal versuchte das Parlament seitdem, sich auf einen Nachfolger zu einigen, vergeblich. Kommunalwahlen konnten deshalb nicht abgehalten, wichtige politische Entscheidungen nicht gefällt werden. Denn Übergangsregierungschef Najib Makati hat nur sehr eingeschränkte Befugnisse. Die Wirtschaft befindet sich in freiem Fall und hat seit dem Kriegsausbruch im Gazastreifen einen weiteren schweren Schlag hinnehmen müssen: Viele westliche Regierungen haben Reisewarnungen ausgesprochen; der Tourismus ist damit zum Erliegen gekommen.
Immer wieder mahnt Makati nun öffentlich, dass ein Kriegsausbruch niemandem nutzen würde. In Gesprächen mit den vielen westlichen Regierungsvertretern, die derzeit bei ihm vorstellig werden, macht er deutlich, dass die Regierung und das libanesische Militär nichts tun könnten, um die Hisbollah von einem Angriff abzuhalten. Nach dem Krieg 2006 hatte die internationale Gemeinschaft zugesehen, wie die Hisbollah militärisch aufrüstete und eine immer größere Rolle in der Innenpolitik spielte. Aber außer der eigenen Verbundenheit mit der Hamas gibt es kaum etwas, was einem Kriegsausbruch aus Sicht der Hisbollah Sinn verleihen würde: Ende vergangenen Jahres hatten sich Israel und der Libanon auf den Verlauf der Seegrenze geeinigt, mit Zustimmung der Hisbollah. Die Gasfelder dort können nun ausgebeutet werden. Und auch der Verlauf der Landgrenze ist nur noch an wenigen Orten strittig. Aber bei der Hisbollah handelt es sich um eine militante Organisation, die nach ihren eigenen, oft nicht klar erkennbaren Regeln funktioniert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.