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DFB: Sportlich, wirtschaftlich und politisch eine Enttäuschung
Im Jahr 2023 erlebte der Deutsche Fußball-Bund so viele Tiefpunkte wie selten zuvor
Es ist schon erstaunlich, dass es mittlerweile bei jedem DFB-Pokalspiel der ersten Runde, jeder Qualifikationspartie zur Conference League oder jeder Begegnung der Frauen-Bundesliga mindestens einen Sender gibt, der die Nachfrage nach einer Live-Übertragung in Deutschland bedient. Nur von der Klub-Weltmeisterschaft aus Saudi-Arabien hat niemand ein Signal übermittelt – den Weltverband Fifa mit seinem Streaming-Angebot einmal ausgeklammert. Ein Augenzeuge des Turniers ist DFB-Präsident Bernd Neuendorf gewesen, der in erster Linie jedoch wegen der parallel veranstalteten Sitzung des Fifa-Council in die Hafenstadt Dschidda gereist war. Das Meeting des höchsten Entscheidungsgremiums nutzte der gebürtige Dürener nach eigenem Bekunden dazu, kurz vor Weihnachten auch seinen saudischen Kollegen Yasser Al-Misehal zu treffen.
Neuendorfs letzte Dienstreise 2023 illustriert noch einmal, welche Spannungsfelder solch eine Doppelfunktion mit sich bringt. Die hohe Kunst der Diplomatie ist erforderlich, wenn ein Funktionär einerseits für die vom eigenen Verband proklamierten Überzeugungen eintreten soll, andererseits auch im Fifa-Rat die ständigen Expansionsgelüste absegnet. »Wir sind nicht untätig«, versicherte der 62-Jährige kürzlich bei einer Medienrunde zum Jahresabschluss. Viele Fragen kreisten auf dem DFB-Campus an jenem Tag um die Causa Saudi-Arabien und Neuendorfs Position zu Fifa-Präsident Gianni Infantino, der gerne die europäischen Verbände mit ihren für seine Geschäfte hinderlichen Wertvorstellungen am Nasenring durch die Manege führt.
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Der Impresario aus der Schweiz hat bekanntlich mit geschickten Winkelzügen dafür gesorgt, dass die WM 2034 sehr wahrscheinlich eben in jener Monarchie auf der arabischen Halbinsel veranstaltet wird. Und dabei drohen erneut die Menschenrechte bei einem solchen Megaevent vergessen zu werden. Kann Deutschland daran noch irgendetwas ändern? Bei Neuendorf ist stets herauszuhören, dass nur die Politik der kleinen Schritte ans Ziel führen wird. Das Pochen auf die reine Lehre ist in diesem Machtgeflecht der Funktionsärswelt ohnehin nutzlos. Vielleicht ist das rückblickend die wichtigste Lehre aus der WM 2022 in Katar. Wer in diesen auf Profitmaximierung ausgelegten Fifa-Gefilden die Moralkeule schwingt, holt sich selbst blaue Flecken. Und wenn der vor 20 Monaten beim DFB-Bundestag in Bonn gewählte Präsident eines aus seiner Zeit im Politbetrieb, erst als Journalist und später als Staatssekretär, gelernt hat: Auch mit Leuten, die man nicht so richtig gerne hat, muss man reden, um den Einfluss nicht zu verlieren.
Ergo wägt Neuendorf zu der Thematik jeden Satz ab: Der DFB will gemeinsam mit den Niederlanden und Belgien die Frauen-WM 2027 ausrichten und muss die größtenteils unter Infantinos Fuchtel stehenden Fifa-Mitgliedsverbände bis zum 17. Mai 2024 bei der Abstimmung auf dem Kongress in Bangkok überzeugt haben. Das erfordert Fingerspitzengefühl. Deshalb sagt er: »Ich nehme mir heraus, mir ein differenziertes Bild machen zu dürfen. Deshalb reden wir mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen, von Regierungen, auch mit den Saudis selbst, um zu hören: ›Was habt ihr genau vor mit dem Turnier?‹ Man müsste schon schauen: Was konkret schreiben die Saudis in ihre Bewerbung und wie gehen wir gegebenenfalls damit um. Ich bin sicher: Wenn wir mit einer starken europäischen Position auf bestimmte Dinge hinweisen, wird sich die Fifa das auch anhören. Letztlich geht es ja in dem gesamten Prozess darum, dass die in vielerlei Hinsicht sehr ambitionierten Bestimmungen und Regeln der Fifa auch tatsächlich eingehalten werden.« Gemeint sind die Zusicherungen in Bezug auf den UN-Menschenrechtsbericht.
Nur steht das eine auf dem Papier, das andere ist die Praxis. Schnell endet dann auch der Zugriff des größten Einzelsportverbands der Welt. Und hat der DFB nicht selbst genügend Probleme, wirtschaftlich wie sportlich? Das Minus von 4,2 Millionen Euro zum Abschluss des vergangenen Jahres wäre viel heftiger ausgefallen, wenn nicht Sondereffekte eingeflossen wäre. Allein die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die Jahre 2006, 2014 und 2015 habe zu einem Verlustvortrag von 50 Millionen Euro geführt, erklärt Neuendorf. Zudem verhageln die Baukosten für den Campus und der sportliche Misserfolg der Nationalteams die Bilanz. Immerhin rechnet der DFB-Boss sowohl für 2023 und 2024 mit annähernd ausgeglichenen Haushalten. »Das ist schon einmal ein Erfolg, diese Maßnahmen haben wir intern ohne kostspielige Berater geschafft.« Doch die Zeiten bleiben herausfordernd.
Auch fußballerisch hätte es besser laufen können. Klar, die U17-Nationalmannschaft, die sich in sehr multikultureller Zusammensetzung mit deutschen Tugenden in 2023 erst zum Europameister und dann zum Weltmeister krönte, war ein Lichtblick. Dass aber Hansi Flick als Bundestrainer im Frühjahr gefeuert, dann nach einer vermasselten WM in Australien und einer unwürdigen Posse auch Martina Voss-Tecklenburg im Herbst freigestellt werden musste, steht für die Sinnkrisen beider Aushängeschilder. Danach kurz nacheinander den Akademieleiter Tobias Haupt und dann den Sportlichen Leiter Joti Chatzialexiou zu verabschieden, sah dann auch sehr nach Bauernopfern aus.
Neuendorf hat die sportlichen Geschicke jetzt ganz in die Hände des aus dem Hut gezauberten Geschäftsführers Andreas Rettig gelegt, der die Jahre zuvor als notorischer Kritiker aufgefallen war. Die Analyse hatte ergeben, dass unter dem zu mächtigen Oliver Bierhoff zu viel auf die A-Nationalmannschaft der Männer ausgerichtet war. Rettig habe »nicht die gleichen Aufgaben wie Bierhoff«, betont Neuendorf, der den Elite-Fußball im neuen Organigramm »strukturell und personell gut aufgestellt« sieht. Weil niemand an der Integrität des Nationalmannschaftdirektors Rudi Völler, des Nachwuchsdirektors Hannes Wolf und der offiziell erst ab 1. Januar zuständigen, aber bereits bei der internen Weihnachtsfeier gesichteten Frauendirektorin Nia Künzer zweifelt, könnte eine befruchtende Kultur des Miteinanders entstehen, wenn die Protagonisten genügend Präsenz auf dem Campus zeigen.
Die Bewertung des kommenden Jahres hängt vor allem am Abschneiden der männlichen DFB-Auswahl, die unter Julian Nagelsmann die Länderspiele im März in Frankreich und drei Tage später gegen die Niederlande nicht vergeigen sollte. Spätestens mit dem Eröffnungsspiel der EM am 14. Juni gegen Schottland soll wieder eine Fußballbegeisterung durchs Land schwappen. Zumindest international scheint die Vorfreude groß: Bei der Uefa gingen stolze 30 Millionen Ticketbewerbungen ein, mehr als die Hälfte aus dem Ausland – die meisten übrigens aus der Türkei, Ungarn, England, Albanien und Kroatien. Und worüber sich der Verbandschef noch mehr freut: 16 000 Freiwillige werden im kommenden Sommer bei dem Event gebraucht, aber fast zehnmal so viele Bewerbungen liegen vor. Neuendorf sieht darin einen weiteren Beleg für die »überragende Nachfrage« für die EM 2024.
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