»Notwendige Entscheidungen werden aufgeschoben«

Die Anwältin und Klimaaktivistin Yi Yi Prue über mangelnde Entschlusskraft bei der Weltklimakonferenz und zu wenig gehörte Stimmen von Indigenen

  • Interview: Thomas Berger
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Weltklimakonferenz in Dubai, COP 28, ist Mitte Dezember zu Ende gegangen. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Ich muss sagen, seit der COP 26 ist es immer wieder nur ein Diskussions- und Verzögerungsprozess gewesen. Und ich sehe nach wie vor nicht wirklich, dass man gewillt ist, Verantwortung zu übernehmen. Notwendige Entscheidungen werden weiterhin aufgeschoben. Aber ich bleibe hoffnungsvoll.

Ist der Kompensationsfonds für Klimaschäden nicht immerhin ein Teilerfolg?

Das hätte schon längst passieren müssen, das war schließlich ein Versprechen. Jetzt ist er endlich da, muss aber umgesetzt und stärker befüllt werden. Ich sehe immer noch zu viele Verzögerungen, nicht unbedingt schon nachhaltige Erfolge. Und es enttäuscht mich auch, dass Indigene nicht beteiligt werden, obwohl sie in der Klimakrise an vorderster Front stehen und wertvolle Beiträge im Kampf dagegen leisten könnten.

Sie sind nicht nur Klimaaktivistin und Anwältin, sondern selbst Betroffene des Klimawandels. Was haben Sie erlebt?

Das begann, als ich eine junge Frau war, etwa 18 Jahre alt, und gerade Abitur machte. Damals gab es in meiner Heimatregion große Erdrutsche. Vor meinen Augen sind drei Nachbarhäuser weggerissen worden. Das war eine traumatische Erfahrung. Auch beim Haus meiner Familie ist eine Seitenwand eingestürzt. Wäre das nachts passiert, hätten wir das vielleicht nicht überlebt. Wir sind dann für mehrere Tage bei Verwandten untergekommen. Noch heute wecken Risse in Hauswänden bei mir diese Erinnerungen. Als ich im Mai dieses Jahres wieder in meiner Heimatregion zu Besuch war, herrschte eine außergewöhnliche Hitzewelle. Mindestens sechs Kinder sind dabei gestorben. Die Temperaturen waren so unerträglich, dass auch ich in der Kernzeit des Tages kaum arbeiten konnte.

2021 waren Sie unter den Beschwerdeführern der Klage gegen die deutsche Regierung zum neuen Klimaschutzgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht. Wie kam es dazu?

Das hat 2017 angefangen, als durch einen starken Monsun allein in zwei Distrikten mindestens 100 Menschen bei Erdrutschen ums Leben kamen und viele Häuser zerstört wurden. Da habe ich eine Studie zu den Folgen des Klimawandels für die indigenen Gemeinschaften durchgeführt. Menschen, die dadurch entwurzelt wurden, erzählten mir, wie der Monsun von Jahr zu Jahr stärker wird, die Auswirkungen heftiger werden. Zugleich habe ich Kontakt mit Organisationen und Kollegen in mehreren Ländern von Nepal und Indien über Deutschland bis zu den USA aufgenommen. Darunter war Professor Remo Klinger, mit dem wir schließlich die Verfassungsklage eingereicht haben.

Wie haben sie die Klage mit Fakten unterlegt?

Nachdem wir uns für diesen Weg entschieden hatten, führte ich für die Beschwerdeführung weitere Interviews. Etwa in Chittagong oder den Slums von Dhaka, wo viele der Entwurzelten gelandet sind und sich nun als Rikschafahrer oder Hausangestellte durchschlagen. Da leben Menschen, die man als Klimaflüchtlinge bezeichnen muss. Ich war auch bei den Munda, einer Volksgruppe im Südwesten von Bangladesch, die vor 200 Jahren aus Indien eingewandert ist. Oder bei den Tamang in Nepal, einer indigenen Gemeinschaft. Zu denen hatte ich über einen befreundeten Medizinstudenten aus Dhaka Kontakt bekommen. Als ich bei den Munda in einem Dorf war, fragte ich nach einem Glas Wasser. Die Bitte wurde mir abgeschlagen. Sie könnten mir keines geben, weil das Wasser dort völlig verschmutzt sei und mich krank machen würde. Eine ältere Frau erzählte, wie oft sie ihre Häuser wiederaufbauen mussten. Beim Zyklon Amphan wenig später war das abermals nötig. Am Ende waren wir sehr froh, dass wir den Prozess 2021 gewonnen haben. Das war ein wichtiger Wendepunkt.

In Ihrer Heimat Bangladesch, ein Land mit fast 174 Millionen Einwohnern, ist der Klimawandel schon heute stärker als anderswo spürbar. Der CO2-Ausstoß pro Kopf liegt dort bei 0,6 Tonnen pro Jahr – in Deutschland sind es 8 Tonnen.

Ja, wegen solcher Aspekte haben wir seinerzeit gemeinsam mit der Deutschen Umwelthilfe und jugendlichen Aktivistengruppen von hier die Verfassungsklage eingereicht. Hierzulande muss noch mehr passieren, während in meiner Heimat zum Beispiel viele Kinder durch die Folgen des Klimawandels in ihren Bildungschancen zusätzlich beeinträchtigt sind. Einerseits kommt es zu massiven Überschwemmungen, aber im Gegenzug auch zu Dürren, die die Ernte auf den Feldern vertrocknen lassen und Bauern in den Selbstmord treiben. Wir sind längst bei mehreren Kipppunkten angelangt, und gerade die Industrieländer müssen noch mehr tun, um Verantwortung zu übernehmen.

Bei COP 28 waren Proteste nahezu unmöglich. Mit über 90000 Beteiligten war es die bisher größte Konferenz. Aber es fehlte an Stimmen aus den am stärksten betroffenen Ländern und aus indigenen Gemeinschaften, die oft nicht das Geld für die teure Anreise hatten. Wie lässt sich das ändern?

Diese Gruppen müssen bei der Planung aktiver einbezogen werden. Gerade Indigene sind da zu wenig im Bewusstsein verankert. Dabei geht es auch darum, nicht nur über sie zu sprechen, sondern dass sie sich selbst vertreten können. Das gehört unbedingt ins offizielle Gipfelprogramm. Außerdem sollten solche Vertreter und Vertreterinnen direkt mit Geld und Hilfe bei Visaprozessen unterstützt werden, damit sie an den Konferenzen teilnehmen können.

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