Vierschanzentournee 2023: Simon Ammann noch immer dabei

Mit 42 Jahren ist der Schweizer längst zu einer Legende im Skispringen geworden

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
In seine 27. Weltcupsaison ging Simon Ammann mit »neuen Impulsen«.
In seine 27. Weltcupsaison ging Simon Ammann mit »neuen Impulsen«.

Die härteste Arbeit beginnt für Simon Ammann erst nach der Landung. Dann wollen sich viele seiner Konkurrenten mit der größten Skisprung-Legende dieser Tage austauschen. Die Fans reißen sich um ein Selfie mit dem 42 Jahre alten Routinier. Und die meisten TV-Stationen wünschen sich ein Gespräch mit dem Flug-Philosophen, der wunderbar ausschweifend über seinen einzigartigen Sport fabulieren kann.

Zeit für diese Aktivitäten nimmt sich Ammann wie jüngst bei seinem Heim-Weltcup im schweizerischen Engelberg gern, zumal er oft im Finaldurchgang der besten 30 fehlt. 32. und 33. wurde er dort, ein 24. Platz in Lillehammer ist die beste Platzierung im Skisprung-Weltcup in diesem Winter. Eine bemerkenswerte Leistung in seinem Alter, aber nichts im Vergleich zu den früheren Erfolgen des viermaligen Olympiasiegers, zweimaligen Weltmeisters und Gesamtweltcupsiegers. Sein letzter Sieg datiert aus dem Jahr 2014. »Ich habe größten Respekt vor Simon. Aber für mich wäre das nichts, weil einfach mitspringen mich nur kaputt machen würde«, sagt Sven Hannawald, der vor 22 Jahren als letzter Deutscher die Vierschanzentournee gewinnen konnte.

Den Skisprung-Grand-Slam hat Ammann nie für sich entscheiden können, es ist der einzige fehlende Titel in seiner großen Erfolgssammlung. 2009 und 2011 war er als Zweiter knapp dran. Vielleicht hofft Ammann, der vom neuen norwegischen Cheftrainer Rune Velta der Schweizer noch einmal »neue Impulse« bekommen hat, auch bei der am 28. Dezember in Oberstdorf beginnenden 72. Auflage insgeheim noch auf ein Wunder in Sachen Tournee. Aber vor allem ist er noch dabei, weil ihm »dieses Projekt« schlichtweg noch Spaß macht. »Ich bin der einzige Breitensportler im Weltcup«, sagt er scherzhaft.

Sein Leben richtet sich längst auch nach anderen Prioritäten. Und dabei hält Ammann, der eine Privatpiloten-Lizenz für Flugzeuge besitzt, gekonnt mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft. Im Zentrum steht derzeit sein Betriebswirtschaftsstudium, in dem zuletzt Prüfungen anstanden und der Bachelor »irgendwann« das große Ziel ist. Ammann ist zudem gemeinsam mit dem ehemaligen deutschen Weltklassespringer Martin Schmitt Inhaber der Sportmarketing-Agentur ASP Sports. Bei den Toggenburger Bergbahnen sitzt der ewige Flieger im Verwaltungsrat. Und dann ist da noch ein Hotel- und Gastro-Projekt, weil Ammann schon vor Jahren ein sanierungsbedürftiges Gasthaus in seiner Heimatgemeinde Wildhaus-Alt St. Johann erworben hat.

Beim Hausbau für seine Familie, zu der neben Ehefrau Yana auch die drei kleinen Kinder Théodore, Charlotte und Aaron gehören, hat er im vergangenen Jahr natürlich auch kräftig mitgeholfen. Es gibt also auch abseits des Skispringens genug zu tun für den Schweizer. Doch der 1,71 Meter große Mann fliegt einfach immer weiter. Zehn Jahre ist es inzwischen her, dass er zum ersten Mal seinen Rücktritt angekündigt hat. Auch in den Jahren nach seinem schweren Sturz beim Finalspringen der Vierschanzentournee 2015 in Bischofshofen fabulierte Ammann regelmäßig vom Absprung ins Privatleben.

Davon ist inzwischen keine Rede mehr. »Ich werde nie zurücktreten. Nur, wenn mein Körper das sagt«, hatte er während seiner zwölften Teilnahme an einer Weltmeisterschaft im Februar gesagt. In diesem Winter absolviert Ammann seine 27. Weltcupsaison. Als er als 16-Jähriger 1997 beim Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf seine Premiere im Weltcup feierte, war der heutige deutsche Hoffnungsträger Andreas Wellinger gerade zwei Jahre alt.

Es folgte eine einzigartige Karriere, die Simon Ammann zum Weltstar machte. 2002 wurde der Mann mit der Brille in Salt Lake City Doppel-Olympiasieger und bekam den Titel »Harry Potter der Lüfte« wegen seiner äußerlichen Ähnlichkeit zum Magier verpasst. Er schaffte es danach sogar in die legendäre Late-Night-Show von David Letterman. 2007 wurde er im japanischen Sapporo Weltmeister, ehe dem Tüftler drei Jahre später der nächste große Coup glückte: Ammann überraschte die gesamte Konkurrenz mit einem gekrümmten Bindungsstab, der mit der dadurch möglichen aerodynamischeren Flugposition die Fliegerwelt revolutionierte. Die olympischen Goldmedaillen Nummer drei und vier, der Weltmeistertitel im Skifliegen in Planica und der Sieg im Gesamtweltcup waren der verdiente Lohn.

Danach ging es langsam abwärts. Nach enttäuschenden Leistungen bei Olympia 2014 in Sotschi verkündete Ammann, dass das »zu 99 Prozent meine letzten Winterspiele waren.« Doch er fliegt immer noch, auch wenn ihm inzwischen selbst in seinem Schweizer Team mit Gregor Deschwanden ein Kollege klar den Rang abgelaufen hat. Vielleicht nimmt sich Ammann ja ein Beispiel an den Rolling Stones, die der leidenschaftliche Rockfan verehrt. Auch ihre Abschiedstournee dauert endlos. Und 2026 gehen auf den Schanzen im italienischen Predazzo die Skisprungwettbewerbe der Olympischen Winterspiele von Mailand und Cortina über die Bühne. Dort schaffte Ammann erstmals in seiner Karriere zwei Podestplätze binnen 24 Stunden. Das war übrigens 2001 – da war mancher seiner heutigen Konkurrenten noch nicht einmal geboren.

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