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Gitta Nickel: Die Frauenfilmerin
Gitta Nickel war eine der wenigen Regisseurinnen im Defa-Dokumentarfilmstudio
Gitta Nickel begann ihre Filmkarriere ziemlich zielstrebig. Zunächst absolvierte sie ein Pädagogikstudium an der Berliner Humboldt-Universität (bis 1957). Dann arbeitete sie als junge Frau bei der Defa und lernte ihr Handwerk von der Pike auf, ohne akademische Ausbildung. Unter anderem assistierte sie bei Konrad Wolf, über den sie Jahre später einen Künstler-Porträt-Film drehte. Sie wurde eine der wenigen Regisseurinnen im Defa-Dokumentarfilmstudio, die sich lange Zeit behaupten konnten: Mit Kraft, Durchsetzungsvermögen, auch mit Charme. Die Aura von Karl Gass, dem prägenden Altmeister des Defa-Dokfilms, mit dem sie eine zeitlang verheiratet war, übertrug sich unter der Hand auch auf sie.
Sie drehte Filme über Frauen, die sie selbst ausgesucht und beobachtet hatte, keine staatlichen Auftragsfilme. So gut sie konnte mied sie Idealisierungen. Immerzu suchte sie, die widerspruchsreichen Verbindungen von Alltag und Arbeitswelt offenzulegen. Dieser Blick war von Sympathie getragen, manchmal sogar zärtlich, stets voller Achtung. Sie hatte Glück bei der Wahl ihrer Protagonistinnen und einen guten Blick auf sie, sei es die ukrainische Kolchosvorsitzende, die vietnamesische Köchin oder LPG-Bäuerinnen aus Mecklenburg.
Den Dauerkonflikt vieler Frauen zwischen Beruf und häuslichem Leben sparte sie nicht aus. Damit stellte sie die in der DDR verkündete Gleichberechtigung auf den gesellschaftspraktischen Prüfstand und legte Defizite offen, nicht als Thesendiskussion, sondern jeweils am konkreten Schicksal. Darüber diskutierten ihre Zuschauer – und nicht nur die Frauen – leidenschaftlich, weil sich viele in Nickels Protagonistinnen wiedererkannten. Hier fand Nickel auch den tieferen Sinn ihrer Arbeit: Helfen beim Erkennen individueller Widersprüche und sich daraus ergebender Ansprüche an andere, nicht zuletzt an die gesamte Gesellschaft. So gesehen, war und blieb sie eine Unruhestifterin.
Ein besonderes Kennzeichen ihrer Filme war die entschiedene Zurücknahme von Autorenkommentaren zugunsten der Selbstauskünfte ihrer Figuren. Sie fragte sie und ließ sie reden – und die redeten offenherzig und ohne Einschüchterung. Fast bedingungslos ließ sie sich auf ihre Partnerinnen ein. Damit erreichte sie Intimität und Nähe, damit stärkte sie die Authentizität ihrer Filme, für die sie viele, auch internationale Preise bekam. Unterstützt wurde sie jahrelang von ihrem Kameramann Niko Pawloff und ihrem Redakteur Wolfgang Schwarze.
Mit »Heuwetter« (1972) entwickelte Gitta Nickel ein Dorf- und LPG-Panorama. In »...und morgen kommen die Polinnen« (1974) spiegelte sie die heftigen Streitereien zwischen jungen polnischen »Anlernlingen« und DDR-Arbeiterinnen bei der blutigen Arbeit in einem Hühnerschlachtbetrieb. Der Film blieb nicht frei von Klischees und Sentimentalitäten und konnte doch propagandistische Verlautbarungen vermeiden. Zweimal drehte sie Doppelporträts über Männer. »Zwei Deutsche« (1988) sind zwei Kindersoldaten am Ende des Krieges – einer von Goebbels belobigt, der andere hemmungslos weinend nach einem Gefecht (als Plakatmotiv »Nie wieder Krieg!«). Nickel spürte deren Lebenswege in Ost und West auf, da wurde Weltgeschichte durch konsequente Personalisierung aufgerissen. In »Es begann in Eberswalde« (1994) stellte Nickel zwei deutsche Journalisten vor. Beide verband ihr Geburtsort und ihre gemeinsame frühe Jugend. Hans Borgelt blieb im bürgerlich-konservativen Milieu und schaffte es zum Pressechef der Berlinale, und Gerhard Dengler geriet über Stalingrad und das antifaschistische Nationalkomitee Freies Deutschland zu einer strengen, oft orthodoxen »Parteisicht« und erst im Alter zu milderen Urteilen. Hierbei konnte Nickel die Komplementär-Montage zur vollen Wirkung bringen.
Nach der Wende entstandenen auch kurze Filme fürs Fernsehen, u.a. für die MDR-Reihen »Leute wie du und ich« und »Hierzulande«. In der Lebendigkeit dieser Reportagen zahlte sich ihre Kenntnis von Land und Leuten aus.
Gitta Nickel starb am 18. Dezember mit 87 Jahren in Werder.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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