Erneuerung der Infrastruktur: Die zweite Bahnreform

Wie Deutschlands Schiene vom kommenden Jahr an gemeinwohlorientiert werden soll

  • Martin Reischke
  • Lesedauer: 4 Min.

Weichenstörung, Signalstörung, Schaden an der Oberleitung: Die Liste der Verspätungsgründe bei der Deutschen Bahn ist lang. Im November dieses Jahres kam nur etwas mehr als die Hälfte aller Züge im Fernverkehr pünktlich an. Schon lange sucht die Bundesregierung deshalb nach Lösungen, um die Misere zu beheben. Eine davon hat es sogar in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung geschafft. Auf Seite 50 steht dort geschrieben: »Die Infrastruktureinheiten der Deutschen Bahn AG – DB Netz, DB Station und Service – werden innerhalb des Konzerns zu einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt.«

Die Fusion der Konzernsparten ist nicht nur ein formaler Schritt, der Fachleute interessieren dürfte. Doch dass die Infrastruktur in Zukunft aus einer Hand bewirtschaftet werden soll, wird auch Folgen in der Praxis haben. Denn mit der Reform ändert sich die grundlegende Ausrichtung der neuen Gesellschaft mit dem Namen InfraGO: Die deutsche Bahninfrastruktur soll von 2024 an gemeinwohlorientiert betrieben werden – und nicht mehr wie zuvor profitorientiert. Klimaschutz, Zuverlässigkeit, Kundenfreundlichkeit und Pünktlichkeit sollen künftig die entscheidende Rolle spielen. Dafür sollen mögliche Gewinne aus der Infrastruktursparte über den Bund zurück ins Netz fließen; außerdem werden die öffentlichen Mittel für die Sanierung des Netzes deutlich erhöht.

Die neue Gesellschaft soll die gut 33 000 Schienenkilometer der Deutschen Bahn in Zukunft besser instand halten als zuvor. Dass nach der ersten Bahnreform von 1994 viel zu viel an der Infrastruktur gespart wurde, ist heute Konsens unter Experten. Damals wurden die westdeutsche Bundesbahn und die ostdeutsche Reichsbahn in eine privatrechtlich organisierte Aktiengesellschaft im alleinigen Besitz des Bundes umgewandelt. Abstellgleise wurden ebenso abgebaut wie Überholweichen oder Heizungen, die die Weichen im Winter vor dem Einfrieren bewahren sollten. Zudem war im Haushalt regelmäßig viel zu wenig Geld für die Instandhaltung vorgesehen. Die Infrastruktur wurde auf Verschleiß gefahren, kam in die Jahre und ist nun immer mehr überlastet.

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Die neue Gesellschaft soll diese Fehler korrigieren. Dafür wurde etwa das Konzept der sogenannten »Generalsanierung« der Hochleistungskorridore entwickelt – also einer Modernisierung aller Komponenten der Bahninfrastruktur von Gleisen über Oberleitungen bis zu den Stationen. Bis 2030 sollen 40 stark befahrene Strecken nach und nach für jeweils mehrere Monate vollständig gesperrt und grundlegend erneuert werden. Auch deshalb will der Bund allein bis 2027 zusätzlich 40 Milliarden Euro für die Ausbesserung des maroden Netzes zur Verfügung stellen.

Dass die Schieneninfrastruktur deutlich mehr Geld brauche und die Bahn reformiert werden müsse, ist unter Politikern und Verkehrsexperten unumstritten. Doch über das Wie gibt es Differenzen: Während sich FDP und Grüne eine Herauslösung der Infrastruktur aus dem DB-Konzern gewünscht hätten, bestand die SPD auf einer Fusion innerhalb des Unternehmens – und setzte sich durch. Kritiker befürchten, dass sich grundlegende Probleme nicht lösen ließen, wenn die Infrastruktursparte weiter in der Hand der Deutschen Bahn AG verbleibt – zu lange habe der Konzern Probleme einfach ausgesessen. Auch die Monopolkommission, die die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen berät sowie der Bundesrechnungshof hatten eine konsequente Abspaltung gefordert. »Es gibt innerhalb des DB-Konzerns und im Umfeld der Deutschen Bahn Interesse, diese Reform nicht konsequent genug umzusetzen«, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Bahnexperte Matthias Gastel – und warnt: »Wer bremst, riskiert in der nächsten Legislatur eine neue Strukturdebatte, und die wird dann in Richtung Trennung laufen!«

Grundsätzlich unterstützen Branchenvertreter die Reformbemühungen. Schließlich würden viele Unternehmen gerne die Verkehrswende auf der Schiene in Angriff nehmen. Doch aufgrund der maroden Infrastruktur ist das nicht so einfach. Der Lobbyverband privater Eisenbahnverkehrsunternehmen im Güterverkehr, Die Güterbahnen, fordert deshalb zwei Dinge: Eine bessere Steuerung der Infrastrukturmaßnahmen – und eine bessere Überprüfung der Ergebnisse. »Ganz wichtig ist dabei, dass die Nutzer und Nutzerinnen dieser Infrastruktur auch mit einbezogen werden, um zu gucken: Wo und wie muss gebaut werden, sodass die Verkehre nicht in erheblichem Maße eingeschränkt werden und Kunden auf die Straße abwandern«, fordert Neele Wesseln, Geschäftsführerin bei Die Güterbahnen.

Im Bundesministerium für Digitales und Verkehr zeigt man Verständnis. So soll jährlich mit der Deutschen Bahn ein sogenannter Infra-Plan ausgearbeitet werden, der definiert, welche Bauvorhaben im entsprechenden Jahr anstehen und mit welchem Budget sie umgesetzt werden. Doch Branchenvertreterinnen wie Wesseln sind mit dem aktuellen Planungsstand nicht zufrieden. Viel zu vage seien die künftigen Mitbestimmungsrechte der Branche. Und mit schnellen Erfolgen bei der Bahn rechnet ohnehin niemand. Denn bis die neue Politik Wirkung zeigt, wird es noch einige Jahre dauern.

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