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Rekordjagd an den Börsen
Das kommende Jahr bietet Chancen für die Finanzmarktregulierung
Zum Jahreswechsel befragt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) traditionell deutsche Branchenverbände nach der aktuellen Geschäftslage und ihrem Blick auf das neue Jahr. Die Unternehmen haben schwierige Zeiten hinter sich: Erst legte die Pandemie die Wirtschaft lahm, dann trieben der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens die Preise für Energie in schwindelnde Höhen. Hinzu kommen etliche gewachsene Probleme wie das Haushaltsdesaster der Ampel-Koalition. In der Umfrage lassen sich die Folgen ablesen: 30 von 47 befragten Verbänden beschreiben die aktuelle Lage im Vergleich zum Vorjahr als schlechter. Elf sehen keine Veränderung, nur sechs eine Verbesserung. »Die deutsche Wirtschaft leidet flächendeckend«, sagt IW-Direktor Michael Hüther.
Aber leidet sie wirklich »flächendeckend«? Deutschlands Top-Unternehmen, allen voran die Autokonzerne, konnten im zurückliegenden Jahr mehrheitlich ihre Umsätze steigern. 66 der 100 umsatzstärksten Unternehmen der Bundesrepublik haben zugelegt. Der Gewinn (EBIT) dieser Elite-Konzerne ist laut Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young in den ersten drei Quartalen 2023 gegenüber der Vorjahresperiode um 32 Prozent auf den neuen Höchstwert von gut 135 Milliarden Euro gestiegen.
Auch die Banken sacken Geld ein wie nie. So stellte die Europäische Bankenaufsichtsbehörde fest, dass sie mit 11 Prozent Rendite auf das Eigenkapital im Jahr 2023 den höchsten je gemessenen Wert ermittelt habe.
Die lukrative Entwicklung der Elitekonzerne spiegelt sich in der Rekordjagd an den Börsen wider. An den Finanzmärkten wird die Zukunft gehandelt, und zuweilen auch schon die Zeit danach. Ein Satz, der vom legendären linken Ökonomen Jörg Huffschmid (1940–2009) geprägt wurde, der früher diesen Finanzmarktausblick schrieb.
Der »finanzmarktgetriebene Kapitalismus« (Huffschmid) bescherte Anlegern und Investoren 2023 einen guten Aktienjahrgang; seit Jahresbeginn schlug im Dax ein Kursplus von rund 20 Prozent zu Buche. Trotz lahmender Weltkonjunktur legten auch die Wall Street und andere bedeutende Handelsplätze satt zu. So stieg der MIB-Index der Börse Mailand in diesem Jahr gar um 30 Prozent.
Der Optimismus der Börsianer, Banker und Finanzinvestoren nährte sich unter anderem aus den zuletzt wieder fallenden Preisen. Die jährliche Inflationsrate im Euroraum lag im November nur noch bei 2,4 Prozent und damit nahe dem Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB). Ein Jahr zuvor hatte sie 10,1 Prozent betragen.
Vieles hängt im kommenden Jahr davon ab, wie sich die Inflationsrate und damit verbunden die Zinssätze entwickeln und was die Akteure für die weitere Zukunft erwarten. Die Hoffnung ist groß: Denn niedrige Inflation bedeutet sinkende Zinssätze und damit billiges Geld für die Spekulation an den Finanzmärkten. Die Finanzmärkte erwarten von EZB-Präsidentin Christine Lagarde bereits im April eine erste Senkung der Leitzinsen.
Das wäre Spekulanten eine Freude, weil sich der Kauf von Aktien auf Pump dann lohnt: Kurse und Dividenden werfen mehr Gewinn ab, als ein Kredit an Zinsen kostet. Selbst die reichen Käufer von Kunst leihen sich Geld, um ihre Sammlungen zu finanzieren, wie eine aktuelle Analyse der Art Basel und der schweizerischen Großbank UBS zeigt. Da die Preise für Bilder von Picasso oder Gustav Klimt tendenziell steigen, könnten sich diese Käufe (wie die von alten Handschriften, seltenen Diamanten oder teuren Oldtimern) eines Tages auszahlen.
Dem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus mangelt es nicht an Geld, im Gegenteil – dank jahrzehntelanger Übergewinne der Konzerne, üppiger Finanzrenditen der Reichen und geringer Steuerlasten. Zwar stammt die Wertschöpfung nahezu vollständig aus der Realwirtschaft, doch ist das Volumen der Finanzwirtschaft heute weit größer als diese und weit größer denn je.
Ob auch 2024 ein Rekordjahr für Elitekonzerne und Finanzmarktakteure wird, bleibt abzuwarten. Verhindern könnte dies der anhaltende Druck auf die Geschäftskosten – die Inflationsrate nimmt zwar ab, aber die bis dato gestiegenen Preise werden vorerst nicht wieder sinken. Hinzu kommen steigende Risikokosten, etwa wegen der wachsenden Zahl von Unternehmensinsolvenzen, sowie die Veränderung der Refinanzierungsseite durch die hohen Zinssätze. Deren Folgen werden erst mit Verzögerung sichtbar. Auch kostspielige regulatorische Vorgaben oder geringeres Kreditwachstum der Wirtschaft könnten die Rekordjagd ausbremsen.
Eine solche zurückgehende Kreditnachfrage dürfte als Folge der mehr oder weniger milden Rezession, die Forscher für die deutsche Wirtschaft 2024 befürchten, kaum zu verhindern sein. Denn auch für die nächsten Jahre wird erwartet, dass die Produktionsmöglichkeiten in Deutschland spürbar sinken. Dies geht aus der Mittelfristprojektion des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel hervor. Danach seien im Mittel der nächsten Jahre nur noch Steigerungsraten von jährlich 0,4 Prozent zu erwarten, weniger als ein Drittel des langjährigen Durchschnitts.
Sollte sich allerdings der Höhenflug an den Börsen im kommenden Jahr fortsetzen, ermöglichte dies eine Politik, die »konsumtive« Finanzgewinne zielgerichtet besteuert – und dabei nachhaltige Investitionen nicht ausbremst. Solche werden auch 2024 benötigt, um den chaotisch orchestrierten Umbau der Energiewirtschaft vor einem Desaster zu bewahren. Nachhaltige Investitionen sind zudem erforderlich, um der Alterung der Gesellschaft einen würdigen Rahmen zu verschaffen und um auf den spürbaren Fachkräftemangel angemessen zu reagieren.
Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus neigt zu Exzessen. Entsprechend reguliert, so hatte schon Huffschmid versichert, birgt er jedoch das Potenzial, Düsternis und Pessimismus aus der Wirtschaft zu vertreiben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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