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Geiger, Wellinger, Paschke: Skisprungfans hoffen auf Dreierspitze
Die Chancen auf einen deutschen Sieg bei der Vierschanzentournee standen lange nicht so gut wie in diesem Winter
Karl Geiger war gerade acht Jahre jung, als zum letzten Mal ein deutscher Skispringer bei der Vierschanzentournee triumphieren konnte. »Ich war damals im Stadion mit den Skiclub-Kindern und habe noch Erinnerungen daran, wie Sven Hannawald gewonnen hat«, erzählt der 30-Jährige vor dem Auftakt der 72. Vierschanzentournee in seinem Heimatort Oberstdorf an diesem Freitag. Bundestrainer Stefan Horngacher, heute 54, erlebte den historischen Triumph im Winter 2001/2002 als Flieger im österreichischen Team ebenfalls live mit: »Es gab einen großen Hype um Sven Hannawald und Martin Schmitt. Und sie haben es gerockt. Der deutsche Zug ist an uns vorbeigebraust.«
Die Chancen stehen so gut wie lange nicht mehr, dass jener »deutsche Zug« diesmal wieder rollt und nach 22 Jahren endlich den Tournee-Fluch bricht. Mit Andreas Wellinger, Pius Paschke (ein Saisonsieg) und Karl Geiger (zwei Saisonsiege) tritt gleich ein deutsches Skisprungtrio als Mitfavorit auf die Siegprämie von 100 000 Schweizer Franken und die Trophäe des goldenen Adlers an. Die fantastischen Drei belegen im Gesamtweltcup die Plätze zwei bis vier hinter dem österreichischen Topfavoriten Stefan Kraft.
»Wir sind eigentlich in einer idealen Position. Nicht ganz vorn, aber auch nicht so weit weg. Wir sind im Arbeitsmodus und dort müssen wir während der Tournee auch bleiben. Wir müssen nichts verteidigen, sondern können angreifen«, gibt Horngacher die Devise für den Saisonhöhepunkt aus. Der Chefcoach will die Schmach aus dem vergangenen Winter ausmerzen, als sein Team mit Andreas Wellinger als bestem Flieger auf Platz elf eines der schlechtesten Gesamtresultate aller Zeiten abgeliefert hatte.
Danach gab es sogar Diskussionen um den Verbleib von Horngacher auf der Bundestrainerposition. Doch der reagierte auf die Schmach mit einer ganzen Reihe von Veränderungen – so viel Tests im Windkanal wie nie zuvor, die Verpflichtung seines Vorgängers Werner Schuster als Nachwuchs-Chef – und plötzlich fliegen seine durch die neuen Materialregeln zusätzlich beflügelten Springer geschlossen so weit wie selten zuvor. Mit insgesamt zehn Podestplätzen, davon drei Siege, ist die Weltcupbilanz schon jetzt besser als im gesamten vergangenen Winter.
Aber wer von den Drei kann am ehesten die lange Durststrecke beenden? Dem akribischen Arbeiter Karl Geiger ist es wie all seinen Teamkollegen offiziell egal: »Das Motto könnte sein: Einer kommt durch. Ich allein war ja schon Zweiter, Dritter und Vierter bei der Tournee. Bisher hat es nicht sollen sein. Aber wir sind breiter aufgestellt als vielleicht jemals zuvor.« Dass er dem Druck bei Heimspringen gewachsen ist, hat der Tournee-Auftaktsieger von Oberstdorf 2020 in diesem Winter erneut mit einem grandiosen Doppeltriumph beim Heimweltcup in Klingenthal bewiesen. Geiger kann sich wie kein Zweiter im Wettkampf steigern und ist von seinen Fähigkeiten überzeugt. Wenn er bei der Tournee in einen Flow komme, dann könne er auf allen Schanzen vorn mitspringen. »Davon bin ich überzeugt.«
Für den zweimaligen Olympiasieger Andreas Wellinger spricht sein außergewöhnliches Flugtalent, das er trotz schon vier Podestplätzen in diesem Winter noch nicht komplett ausgeschöpft hat. »Andi Wellinger ist ein intuitiver Springer, der nach einem guten Auftakt durchziehen könnte«, glaubt Horngacher. Auch der derzeitige Gesamtweltcupzweite Wellinger war 2018 schon einmal Tournee-Zweiter nach vier Springen und zeigte bis auf einen Ausrutscher bislang eine beeindruckende Konstanz.
Dritter im Bunde der deutschen Mitfavoriten ist Pius Paschke, der Joker, mit dem niemand gerechnet hatte. Paschke ist zweifellos die Überraschung des Winters, nachdem er es mit 33 Jahren als ältester Skispringer aller Zeiten zum ersten Mal aufs Podest und nach ganz oben geschafft hat. Chefcoach Horngacher glaubt nicht, dass sein neuer Altstar vor Zehntausenden Zuschauern an den Schanzen und Millionen an den Bildschirmen bei der Tournee die Nerven verliert: »Ich glaube, er zieht das durch, nicht nur bei der Tournee, sondern die ganze Saison.«
So ähnlich sieht das auch der letzte deutsche Tourneesieger Sven Hannawald: »Bei Karl und Andi ist ein wenig das Problem, dass sie große Springer mit langen Hebeln sind: Wenn da alles beim Absprung passt, fliegen sie vornweg. Wenn ein kleiner Fehler passiert, bremst ihr langer Körper in der Luft. Ein Pius Paschke hat dieses Problem nicht. Er passt von seinem Körperbau in das Raster von Stefan Kraft. Pius fliegt auf Wolke sieben.«
Der mittlerweile als ARD-Experte arbeitende Hannawald glaubt, dass diesmal alles gerichtet ist für seine Nachfolge: »Ich glaube, in diesem Jahr geht es nicht schief für das deutsche Team, zumindest herrscht Podestalarm. Es wird wirklich Zeit, dass es einen deutschen Nachfolger für mich bei der Tournee gibt. Wir sind einfach dran und ich denke, dass etwas Größeres passieren könnte.« Etwas, woran sich Karl Geiger und Co. auch in vielen Jahren noch erinnern können.
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