Entzweit wegen der Schuldenbremse

Wirtschaftswissenschaftler argumentieren stichhaltig für wie gegen das weitgehende Neuverschuldungsverbot im Grundgesetz

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Erfinderisch waren Haushälter schon immer«, warnt Jörg Köpke vom Centrum für Europäische Politik. So habe der römische Imperator Vespasianus eine Steuer auf öffentliche Toiletten erheben lassen: Geld stinkt nicht, hieß seine sprichwörtlich gewordene Begründung. Politiker verfolgten nun mal Eigeninteressen und wollten alle vier oder fünf Jahre wiedergewählt werden. Deshalb neigten sie zu auf Pump finanzierten »Geschenken« für spezielle Wählergruppen. Eine Schuldenbremse, lobt Köpke, hege die Neigung zu Klientelpolitik ein.

Prominenter ist der Hinweis auf die »schwäbische Hausfrau«, die nur ausgeben könne, was sie gespart hat. In der Fortschreibung dieses Argumentes wird davor gewarnt, folgenden Generationen einen Schuldenberg zu hinterlassen. In den hitzigen Debatten, die der Grundgesetzänderung 2009 vorausgingen, wurde das Hausfrauenargument arg strapaziert. Seither trennt die Schuldenbremse strukturelle von konjunkturellen Schulden. Die strukturelle Neuverschuldung des Bundes ist seit 2016 auf höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt. Während konjunktureller Tiefs, die etwa durch Krieg oder steigende Energiepreise hervorgerufen wurden (»Notlage«), dürfen Bund und Länder einen größeren Schluck aus der Schuldenpulle nehmen.

Friedrich Heinemann vom ZEW-Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung oder Lars Feld, der Finanzminister Christian Lindner berät, weisen darauf hin, dass strenge Fiskalregeln die »Risikoprämie« von Staatsanleihen reduzieren. So müssen Italien und Griechenland deutlich höhere Zinssätze als Deutschland zahlen, wenn sie sich auf den Finanzmärkten verschulden. Deutschland gilt als »guter Schuldner« mit einem vergleichsweise niedrigen Schuldenstand. Der Bund zahlt dennoch rund 40 Milliarden Euro pro Jahr an Zinsen. Würde die Schuldenbreme abgeschafft, so Heinemann und Feld, würden die Risikoprämie und damit der Schuldendienst weiter steigen.

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Befürworter der Schuldenbremse verweisen gerne auf Studien, die ihre Thesen stützen. Zu deren Befunden gehört, so Niklas Potrafke vom Ifo Institut, dass sie Wirtschaftswachstum befördert, Haushaltsdefizite und Verschuldungsquoten senkt und Staatsausgaben reduziert. Empirische Untersuchungen haben jedoch ein Problem mit der Kausalität: Ist beispielsweise die höhere Wachstumsrate eines US-amerikanischen Bundesstaates tatsächlich Folge staatlicher Sparsamkeit oder hat sie ganz andere Ursachen? Wäre sie vielleicht sogar noch weit höher, hätte der Staat mehr Geld (schuldenfinanziert) investiert?

So spaltet die Schuldenbremse heute auch die Wirtschaftswissenschaft. Die eher linke Hälfte will sie reformieren oder abschaffen, die andere Hälfte findet sie bewahrenswert. Dabei scheint eine wachsende Staatsverschuldung eine Art Naturgesetz zu sein. So wuchs der Schuldenberg seit Gründung der Bundesrepublik in jeder Legislaturperiode. Eine Ausnahme bilden lediglich die 2010er Jahre.

Gegner der Schuldenbremse warnen sogar vor einem ausgeglichenen Haushalt. Das mag paradox erscheinen, ist aber gut begründet. Eine Volkswirtschaft besteht aus drei Akteuren: Unternehmen, privaten Haushalten und dem Staat. Da Unternehmen nicht ihr gesamtes Kapital investieren und Haushalte nicht ihr gesamtes Geld für Konsum ausgeben, wird gespart. Diesen Überhang an Finanzmitteln greift idealtypisch der Staat ab. Das kann er wahlweise über (höhere) Steuern tun oder eben über Kredite.

Zudem lässt die Schuldenbremse – frei nach John Maynard Keynes – zu wenig Spielraum für eine antizyklische Finanzpolitik. »Mit der aktuell geltenden Schuldenbremse hinterlassen wir den folgenden Generationen zwar weniger Schulden, aber eine kaputte Infrastruktur«, warnt Carl-Ludwig Holtfrerich von der FU Berlin.

Ähnlich argumentiert Michael Hüther, Direktor des unternehmensnahen Instituts der deutschen Wirtschaft: Die Schuldenbremse dürfe keine Wachstumsbremse sein. Etliche Ökonomen plädieren daher für eine Rückbesinnung auf folgende Regel: Ein Kreditverbot gilt nur für Konsumausgaben wie Renten oder Soziales; öffentliche Investitionen werden dagegen per Kredit finanziert. Dazu gehöre allerdings, mahnt der linke Ökonom Rudolf Hickel, die genaue Kontrolle der Rentabilität dieser Projekte durch ein unabhängiges Gremium.

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