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Kretschmers Mantra: »Das geht so nicht, so wird das nichts«
Außenpolitik auf eigene Faust und Keilen gegen Berlin sowie die Grünen: Wie Sachsens CDU-Chef die AfD einfangen will
Kurz vor dem Jahreswechsel meldete sich der »Nebenaußenminister« aus Dresden wieder zu Wort. Der Titel wurde Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer von der FAZ verliehen, weil er sich immer wieder mit fragwürdigen Positionen zum Krieg in der Ukraine zu Wort meldet. Er plädierte etwa dafür, die Nordstream-Pipeline für »die Zeit nach dem Krieg zu retten« oder bei Sanktionen gegen Russland »Maß und Mitte« zu wahren. Auch ein »Einfrieren« des Krieges brachte er ins Spiel. In diese Kerbe schlug er nun erneut und warb für einen Waffenstillstandsvertrag zwischen Russland und der Ukraine – mit »vorübergehenden Gebietsabtretungen« letzterer. Er erntete Empörung. Sein Kabinettsvize Martin Dulig sagte, hier werde »fahrlässig grober Unsinn verbreitet«. Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sprach von »AfD-Sprech«.
Sie hat den Finger in der Wunde. Kretschmer betreibt keine Außenpolitik, für die die Bundesländer ohnehin nicht zuständig sind. Vielmehr erklären sich seine Äußerungen nicht zuletzt vor dem Hintergrund des beginnenden Wahlkampfs, der für die CDU im Freistaat ein außerordentlich harter wird. In neun Monaten wird ein neuer Landtag gewählt. Laut einer am Montag veröffentlichten Civey-Umfrage für die Sächsische Zeitung lag die CDU bei 33 Prozent, sogar 0,9 Punkte über ihrem Wahlergebnis von 2019. Die AfD aber wird bei 37 Prozent geführt. Vier Wochen zuvor hatten beide Parteien noch gleichauf gelegen. Die CDU hat im Freistaat schon Bundestags- und Europawahlen gegen die Konkurrenz von Rechtsaußen verloren, aber noch keine Landtagswahl. Für die Partei, die in Sachsen seit 1990 ununterbrochen regiert, wäre das eine Schmach ohnegleichen.
Kretschmers außenpolitische Provokationen sind als Versuch zu verstehen, der AfD Stimmen abzujagen. Umfragen belegen, dass die Haltung zum Krieg in der Ukraine in Ostdeutschland deutlich anders ist als im Westen des Landes; Waffenlieferungen stoßen auf starke Ablehnung, der Nato wird eine Mitschuld gegeben. Die AfD greift diese Stimmungslage offensiv auf; Kretschmer sucht sie dabei zu überholen. Das gleiche Muster praktiziert er auch bei anderen Themen, etwa mit Forderungen zu einem harten Einwanderungskurs oder Schuldzuweisungen an Flüchtlinge. Im Oktober erklärte er, die Bildungsqualität in Sachsen sei nicht mehr gewährleistet aufgrund von »Kindern, die von außen kommen«. Die Zustände an den Schulen bewegen Umfragen zufolge viele Sachsen. Flächendeckend mangelt es an Lehreren, Stunden und Fächer fallen aus, und um die Digitalisierung ist es, wie sich in der Pandemie zeigte, schlecht bestellt. Dass die CDU, die seit 1990 stets die zuständigen Minister stellte, nun Zuwandererkinder vors Loch schob, sorgte für heftige Reaktionen. Die Linke warf Kretschmer vor, eine »Sündenbocktheorie« zu propagieren; die Grünen erklärten, dessen Äußerungen seien »Wasser auf die Mühlen« rechter Hetzer.
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Aus Sicht Kretschmers sind derlei Thesen vermutlich als Versuch gedacht, den Rechtspopulisten »Nährboden zu entziehen«. So formulierte es Kretschmer kürzlich bei einem Landesparteitag in Chemnitz. So lange man dabei keine Erfolge habe, fügte er an, bringe »das Gerede über eine Brandmauer gar nichts«, sondern sei sogar ein »Brandbeschleuniger«.
Die AfD inhaltlich rechts zu überholen, ohne sich direkt in Auseinandersetzungen mit ihr zu begeben und sie dadurch aufzuwerten, ist ein Teil der Strategie der sächsischen CDU im Wahlkampf. Weitere Bestandteile erläuterte die Leipziger Volkszeitung (LVZ) vor einigen Wochen. Die Partei wolle die »Unterschiede zur Ampel« in Berlin herausarbeiten, und sie setze auf Attacken gegen die Grünen. Beides illustrierte Kretschmer in Chemnitz idealtypisch. In der 50-minütigen Rede fanden sich neben Appellen an den von der CDU stets gepflegten Sachsenstolz (»Wir wissen, wie es geht!«) nur wenige und allenfalls oberflächliche Aussagen dazu, wie die Partei sich ihr Wirken für das Land in der nächsten Wahlperdiode vorstellt. Stattdessen arbeitete Kretschmer sich lang und breit an der Berliner Koalition ab, der er vorwarf, das Land »in die Asche« zu fahren und in der Migrations- sowie Energiepolitik zu versagen. »Die Leute lassen sich nicht mehr verarschen«, wetterte er und donnerte immer wieder: »Das geht so nicht, so wird das nichts.«
Auffällig war, dass namentliche Erwähnung dabei vor allem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck fand, der, wie er sagte, »Kinderbuchautor« im Berliner Kabinett. Diese verbale Herabsetzung passt zu den permanenten Attacken Kretschmers gegen die Grünen. Schon 2021 erklärte er, die Ökopartei schaue »nicht auf Volkes Meinung, und in Regierungsämtern werden sie übergriffig«. Letztere Einschätzung ist besonders pikant, weil die CDU seit 2019 in Sachsen mit den Grünen (sowie der SPD) regiert. Dennoch blieb die Partei diesem Kurs seither treu. CDU-Leute diskreditieren die Justizministerin der Grünen; der Landeschef bezeichnet die Politik der Partei als »ökologischen Irrsinn«. Damit hofft er offenkundig, auf Wohlwollen bei Wählern zu stoßen. Zudem, schrieb die LVZ, gebe es in der CDU die Einschätzung, dass die Grünen über ein stabileres Wählerklientel verfügten und Angriffe besser aushielten. Die SPD würde dagegen »eher unter die Räder kommen«. Das scheint die aktuelle Umfrage zu bestätigen: Die Grünen stehen stabil bei sieben, die SPD bei drei Prozent.
Grotesk erscheinen angesichts solcher Zahlen Kretschmers Planspiele zu einer künftigen Landesregierung. Diese solle »sehr, sehr gerne ohne die Grünen« gebildet werden, sagte er in Chemnitz. Vor einigen Wochen hatte er sogar von einem Zwei-Parteien-Bündnis fabuliert. Weil er zugleich eine Koalition mit der AfD durchaus glaubhaft ausschließt, sprach das Leipziger Stadtmagazin Kreuzer vom »Fiebertraum des Ministerpräsidenten«. Die jüngsten Zahlen bekräftigen diese Einschätzung. Danach kämen die jetzigen Regierungsparteien CDU und Grüne zusammen auf 40 Prozent, die derzeitigen Oppositionsparteien AfD und Linke auf 45 Prozent. Eine Minderheitsregierung schließt Kretschmer aus; ein solches Modell »endet im Chaos«, sagt er. Nicht auszuschließen also, dass das Mantra des Ministerpräsidenten auch für die Regierungsbildung nach dem 1. September gilt: Das geht so nicht, so wird das nichts.
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