Bürgergeld-Kürzungen: Sägen am Existenzminimum

Geplante Bürgergeld-Kürzungen: nicht nur stigmatisierend, sondern auch verfassungswidrig

Hubertus Heil ist schon seit 2018 Bundessozialminister. Und schon Anfang 2021, zu Zeiten der Großen Koalition also, kündigte er an, die Jobcenter zu freundlicheren Orten zu machen, an denen die »Klienten« Wertschätzung erhalten. Mit seinem damaligen Gesetzentwurf zur Reform der Grundsicherungsleistungen nahm Heil einiges von dem vorweg, was die Ampel-Koalition später umsetzte: weniger Strafen, mehr geschütztes Vermögen, besserer Schutz vor Zwangsräumungen bei Mietkosten oberhalb der Jobcenter-Richtwerte.

Tatsächlich war der Gesetzentwurf nicht nur Werbung für die SPD, sondern eine Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019. Die Karlsruher Richter hatten damals sehr enge Grenzen für Sanktionen gegen Grundsicherungsbezieher gesetzt.

Nun aber will Heil wieder zu einer vollständigen Streichung des Bürgergeld-Regelsatzes zurückkehren, wenngleich diese nur »Totalverweigerer« betreffen soll, die »beharrlich« jedes Jobangebot ablehnten. Für zwei Monate soll ihnen demnach das vorenthalten werden, was das Bundesverfassungsgericht als unveräußerliches Existenzminimum definiert hat. Zwar betonte Heil, die Wohn- und Heizkosten sollten nicht gestrichen werden dürfen, damit die Betroffenen nicht »obdachlos werden«. Dennoch läuft die Streichung des Grundbedarfs der Auffassung der Verfassungsrichter zuwider. Das betont der in Wuppertal ansässige Erwerbslosenverein Tacheles in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme.

Die geplante Maßnahme sei nicht nur verfassungswidrig, sondern könne auch nicht der von der Bundesregierung postulierten Zielsetzung von Haushaltseinsparungen dienen, heißt es darin. Darüber hinaus bediene die Ampel-Koalition damit »Ressentiments und Vorurteile« gegen Erwerbslose.

Tacheles hat den Heils Ankündigungen zugrunde liegenden Referentenentwurf aus seinem Ministerium gesichtet. Darin heißt es, die geplanten Sanktionen gegen Menschen, die sich »beharrlich verweigern«, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, könnten einen jährlichen Beitrag zur Schließung der Haushaltslücke in Höhe von 170 Millionen Euro leisten. Nach Ansicht von Tacheles ist diese Summe »unseriös festgesetzt« worden. Den Berechnungen des Vereins zufolge müssten die Jobcenter wegen »nachhaltiger Arbeitsverweigerung« unter Berücksichtigung der bereits existierender Sanktionsregelungen jährlich »über 210 000 Mal Leistungen in Höhe des Regelsatzes vollständig für zwei Monate entziehen«, um ein Sanktionsvolumen in der vom Ministerium genannten Höhe zu realisieren. Angesichts der auch durch die von der Ampel beschlossenen Haushaltskürzungen »unterfinanzierten Vermittlungskapazitäten der Jobcenter« und mangels verfügbarer geeigneter Jobs fehle es in der Praxis schlicht an der nötigen Zahl von Angeboten, bei der eine sture Verweigerung »rechtssicher festgestellt werden« könne.

Tacheles stützt seine Berechnungen auf die Sanktionsstatistiken der Bundesagentur für Arbeit aus den Jahren vor dem erwähnten Karlsruher Urteil zu den Hartz-IV-Sanktionen. Diese hätten damals nie »auch nur annähernd ein entsprechendes Ausmaß« erreicht.

Der Verein erinnert daran, dass das Bundesverfassungsgericht die Höhe der verhältnismäßigen Sanktionen auf maximal 30 Prozent des geltenden Regelsatzes für einen Zeitraum von maximal drei Monaten begrenzt hat. Zwar habe Karlsruhe »höhere Leistungskürzungen im Einzelfall nicht ausgeschlossen, jedoch sind diese an sehr hohe Anforderungen geknüpft«. Die im Gesetzentwurf aus dem Sozialministerium verwendete Definition der Pflichtverletzung als eine »willentliche« Weigerung, »eine zumutbare Arbeit aufzunehmen«, moniert Tacheles, sei aber »völlig unbestimmt« und lasse sehr unterschiedliche Interpretationen zu. »Die Gesetzesänderung fördert mithin Rechtsunsicherheit, und bei der Umsetzung der Sanktionen wird Behördenwillkür Tür und Tor geöffnet.«

Bereits Anfang Dezember hatte der Verfassungsrechtler Joachim Wieland dem ZDF gesagt, dass Kürzungen jeglicher Art beim Bürgergeld rechtlich höchst fragwürdig wären. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts von 2019 seien »abgeleitet aus der Garantie der Menschenwürde, die jedem in Deutschland garantiert, dass er nicht hungern muss, nicht frieren muss und ein Dach über dem Kopf hat«, so Wieland. Grundsätzlich eigne sich das Bürgergeld deshalb »kaum dazu, viel Geld einzusparen«.

Sollte das Gesetzesvorhaben so beschlossen werden, wie vom Sozialminister und den Spitzen der Ampel geplant, dürfte es bald die Sozialgerichte beschäftigen, prognostiziert Tacheles. Und fordert seine Rücknahme.

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