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Die Macht lernen von »Mary, Queen of Scots«
Eine lohnende Wiederentdeckung: Die Oper Leipzig führt Thea Musgraves »Mary, Queen of Scots« auf
In Frankreich war es besser. Bei Marias erstem Auftritt als Königin an ihrem schottischen Hof erklingt noch ein Tanzlied aus der Zeit ihrer glücklichen Jugend im Exil. Nun aber muss (und will) die 18-Jährige regieren. Dafür muss als Machtbasis vorerst der Titel genügen. Und auf wen kann sie sich verlassen?
Ihr Bruder James, der vormalige Regent und Earl of Moray, zeigt verdächtigen Ehrgeiz und hat gerade einen Konkurrenten in den Kerker werfen lassen. Der Earl of Bothwell ist bereit, sie mit seiner Armee zu stützen – aber unterwirft sich die Königin, wenn sie dieses Angebot annimmt, nicht seiner Gewalt? Lord Darnley schließlich sticht scheinbar als einziger aus der Gruppe der Machthaber heraus. Er feiert, er tanzt, er beugt sich nicht den Regeln. Entsprechend verhasst ist er. Ihn wird Mary heiraten, nicht zu ihrem Vorteil.
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Ein Historienstück als Oper? Das passt zu keiner gegenwärtigen Mode, weckt aber Interesse für den Abend, zumal die Oper Leipzig etwas Ungewöhnliches und Kluges wagt. Die Bühnen heute schmücken sich gerne mit Uraufführungen. Ein paar wenige Werke aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben immerhin eine Existenz am Rande des Repertoires. Thea Musgraves Komposition dagegen weckte zwar nach der Uraufführung 1977 durchaus Aufmerksamkeit, schien jedoch in den letzten Jahrzehnten vergessen.
Zu Unrecht, wie sich erweist. Das Gewandhausorchester Leipzig unter Matthias Foremny zeigt die Qualitäten der Partitur. Das Stück dauert lange (mit Pausen etwa drei Stunden) und wirkt dabei niemals langwierig. Die szenische wie musikalische Dramaturgie ist straff. Musgrave weiß notwendige Ruhepunkte zu setzen, doch herrscht Anspannung vor. Handlung wie Musik spitzen Station für Station die Konflikte zu, und die kammerorchestrale Besetzung, mit der die Komponistin auskommt, entfesselt immer wieder eine beachtliche Lautstärke.
Die Musik erschließt sich nicht nebenbei, doch zielt sie auf Verständigung mit dem Publikum. Kaum je verlässt Musgrave den Rahmen traditioneller Ausdruckscharaktere. Indessen konzentriert sie die Vorlagen, verknappt Abfolgen. Die Gesangsensembles verdichten gekonnt die Widersprüche. Wo Musgrave Musik im Stil der Handlungszeit nachkomponiert, zum Beispiel Mary und Darnley sich zu Tänzen im Renaissancestil bewegen, entsteht kein postmodernes Patchwork. Sie bezieht das Pseudo-Alte in ihren Stil ein. Ihre Musik ist bei aller Vielfalt so geschlossen wie die Welt, in die Mary gerät und in der sie sich behaupten muss. Die Leipziger Wiederentdeckung beweist, dass es möglich ist, mit überkommenen Mitteln Neues zu schaffen.
Wozu dient dieses Neue? Oben war die Rede vom Historienstück, doch das trifft bei näherer Betrachtung die Sache nicht. Grund ist weniger, dass Amalia Elgueras Theaterstück, das der Oper zugrunde liegt, und in der Folge auch Musgraves Libretto erheblich vom Geschichtsverlauf abweichen. Dies ist in Dramen und Opern mit geschichtlichem Stoff nicht unüblich. Vielmehr fällt auf, wie flüchtig die Bedingungen politischen Handelns skizziert sind. Und sogar angesichts dieser wenigen Informationen sind die Aktionen auf der Bühne, unter pragmatischen Gesichtspunkten, zumeist ungewöhnlich dumm. Offenkundig geht es weniger darum, politische Vorgänge zu analysieren. Vielmehr werden Charaktere angesichts von Situationen erprobt.
Auch dies kann gesellschaftlich bedeutsam sein. Mary ist Frau und ist mit mächtigen Männern konfrontiert. Laut Regisseurin Ilaria Lanzino im Programmheft steht Mary für einen »neuen Machtstil, antiautoritär, transparent, liberal, weiblich«. Ein Blick auf die Realität, von Margaret Thatcher bis Giorgia Meloni, entlarvt dies als Illusion. Frauen sind nicht besser als Männer und müssen es auch nicht sein. Zum Glück sind Oper und Inszenierung klüger als die Rede darüber. Wenn Mary lernt, Macht zu gebrauchen, erscheint dies durchaus als Fortschritt gegenüber ihrer anfänglichen Naivität.
Und auch die Männer repräsentieren nicht nur als Pappkameraden das Patriarchat. Elgueras Stück heißt »Moray«. Titelfigur ist also Marys Bruder, der sie anfangs loyal unterstützt, sich dann aber wandelt. Als zu eigennützig und ehrgeizig zurückgewiesen, beschließt er, wirklich egoistisch zu werden. Musgraves Oper, trotz der Akzentverlagerung im Titel auf die Schwester, bewahrt diesen Konflikt. Anders wäre die dramatische Spannung, wie sie auf der Leipziger Bühne entsteht, auch nicht zu haben. Die Personenführung lässt allen Figuren ihre Gründe; sogar Lord Darnley, dem scheinbaren Softie, der sich als der Übelste von allen entpuppt.
Nicole Chevalier trägt in der Titelrolle ausdrucksstark, aber nirgends überzogen den Abend. Zu loben sind besonders die krankheitsbedingten Einspringer, die mit wenig Vorbereitungszeit vom Bühnenrand sangen, während, der Inszenierung entsprechend, stumme Stellvertreter szenisch agierten: Jonathan Michie als James, Eberhard Francesco Lorenz als Earl of Bothwell. So etwas ist auch bei bestem Gelingen stets nur eine Notlösung. Dass trotz dieser Hindernisse eine faszinierende Aufführung gelang, spricht für Werk und Inszenierung.
Nächste Vorstellungen: 12.1., 28.1., 11.2.
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