Eskalation im Gaza-Krieg? Eine Schockwelle geht durch die Welt

Detonationen im Libanon, Iran und Irak sorgen für allgemeine Verunsicherung

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Für die Allermeisten dürfte Saleh al-Aruri bis zu seinem Tod ein völlig Unbekannter gewesen sein. Doch in der Hamas war er seit Jahrzehnten eine feste Größe: Mitbegründer der Essedin al Kassam-Brigaden, dem bewaffneten Flügel der Hamas, und seit 2015 die Nummer zwei im Politbüro der Organisation nach Ismail Hanijeh. Die Kassam-Brigaden werden für mehrere hundert Anschläge auf Israelis mit Opfern im mittleren vierstelligen Bereich verantwortlich gemacht.

Am Dienstag wurde al-Aruri in einem von der Hisbollah kontrollierten Viertel von Beirut getötet, wahrscheinlich vom Militär Israels, auch wenn die dortige Regierung das, wie üblich, nicht bestätigt. In jedem Fall sandte die Explosion eine Schockwelle durch die Hauptstädte der Welt, und das noch viel mehr so, weil kurz darauf weitere Detonationen folgten. Im iranischen Kerman kamen am Mittwoch wenige hundert Meter vom Grab des vor vier Jahren im Irak getöteten Generals Ghassem Soleimani fast 100 Menschen bei zwei Anschlägen innerhalb kürzester Zeit ums Leben. Und im Irak tötete das US-Militär am Donnerstag nach eigenen Angaben einen nicht genannten Vertreter einer dem Iran nahestehenden Miliz.

Doch jenseits ihrer zeitlichen Nähe zueinander müssen die drei Ereignisse nicht unbedingt zusammenhängen: Mehrfach hatten Milizen, von denen es im Irak mehrere Hundert gibt, in den vergangenen Monaten das US-Militär im Irak selbst und in Syrien angegriffen. Und im Iran wenden sich Menschen, die mehr Freiheit fordern, nicht nur friedlich gegen das Regime. 2017 hatte der »Islamische Staat« das Parlamentsgebäude und das Mausoleum von Ajatollah Ruhollah Khomeini in Teheran angegriffen. In den Provinzen hin zu Afghanistan und Pakistan agiert zudem eine Vielzahl von gewaltbereiten politischen und islamistischen Gruppen neben Schmugglerbanden. Anschläge und bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem iranischen Militär gibt es nahezu wöchentlich.

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Auffällig ist jedoch, dass die Anschläge am Rande einer Kundgebung zum vierten Todestag Soleimanis geschahen: Der General der Revolutionsgarden war vor allem für die Auslandsaktivitäten des einflussreichen Militärapparats zuständig. Die Revolutionsgarden unterstützen im Nahen Osten und in Nordafrika hunderte von bewaffneten Gruppen und haben zudem auch ein dicht geflochtenes Firmennetz gesponnen, mit dem die Sanktionen gegen den Iran umgangen werden. Die Anschläge von Kerman haben jedoch Zivilisten einige hundert Meter von der offiziellen Kundgebung entfernt getroffen und damit auch: sehr nah an hochrangigen Vertretern von Regierung und Revolutionsgarden.

Im Libanon indes hatte Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah, eine per Fernsehen und Internet übertragene Ansprache gehalten. Ursprünglich war die Rede wohl als reine Routine anlässlich des Todestags Soleimanis geplant gewesen; der Iraner hatte auch enge Verbindungen zu der libanesischen Organisation, an deren Erstarken die Unterstützung aus dem Iran maßgeblichen Anteil hatte. Doch stattdessen befasste sich Nasrallah vor allem mit dem Anschlag auf al Aruri. Er kündigte Vergeltung an; al Aruris Tod sei »ein Verbrechen, zu dem wir nicht schweigen können.«

In Israel befürchten viele Menschen nun ein Ausweitung des Kriegs: Schon seit Monaten gibt es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär; auch Raketen wurden bereits abgeschossen. Doch Medien und Politik geben sich eher gelassen. Im Libanon ist die Ablehnung eines möglichen Kriegs groß, das Land befindet sich in einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise.

Aber vor allem ist das Verhältnis zwischen Hamas und Hisbollah ambivalent: Nasrallah und sein Umfeld haben in den vergangenen Monaten nicht nur wiederholt zur Schau gestellt, dass sie nicht einfach aus Verbundenheit zur Hilfe eilen werden. Im Hintergrund gibt es auch tiefe Differenzen. Im Libanon leben die palästinensischen Flüchtlinge der Kriege von 1948 und 1967 und deren Nachkommen mit sehr eingeschränkten Rechten in Flüchtlingslagern, in denen de facto Hamas oder die mit ihr verfeindete Fatah die Kontrolle haben. Mehrfach gab es in den vergangenen Monaten bewaffnete Auseinandersetzungen. Wiederholt versuchte die Hamas nach Angaben der Uno-Blauhelmmission im Süd-Libanon aber auch, vom Libanon aus Israel anzugreifen und stieß dabei auf die Gegenwehr der Hisbollah. Auch wenn sich beide Organisation ideologisch sehr ähneln, ziehen sie nicht an einem Strang.

Die Detonation in Beirut wurde aber auch sehr laut in Katar und anderen Hauptstädten der Region gehört. In Doha halten sich wahrscheinlich Hamas-Chef Ismail Hanija und Vertreter des Hamas-Politbüros auf. Dort hat das Gremium auch seinen offiziellen Sitz. Dass sich al Aruri in Beirut befand, zeigt auch, dass sich die Hamas-Führung weitgehend unbehelligt im Nahen Osten bewegen kann. Und dass Israel dazu bereit ist, überall gegen die Führung der Hamas vorzugehen.

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