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Ozeanische Gefühle im Berliner Liquidrom
Unsere Kolumnistin lässt sich treiben unter dem Kuppelfenster des Berliner Liquidroms
Blaue Beine, blaue Arme, rote Hände. Ich treibe im körperwarmen Salzwasser unter dem Auge einer Kuppel. Der dunkle Himmel oben lässt die Scheibe alles spiegeln, was darunter schwimmt. Eine flache Betondecke spannt sich über den kreisrunden Pool, vier Halbbögen öffnen sich auf einen quadratischen Umlauf. Der ganze Raum ist kleiner als das Sprungbecken im Humboldthainbad. Eine Handvoll Menschen liegt am vierten Dezembersamstag im schummrigen Herz des Liquidroms, allmählich werden es mehr. Sie lassen sich von Poolnudeln tragen, hängen am Rand, manche küssen einander. Die meisten lauschen mit geschlossenen Augen der Musik. Der DJ dieses Nachmittags steht hinter einem Glasfenster und stimmt den fließenden House-Sound mit den Moving Heads ab, über mir flimmern geometrische Figuren und Lichtschwaden in neon-rot oder -blau.
Diese Tage sind verzaubert. Während der Himmel über Berlin Grautöne und Regenvarianten durchprobiert, spielt man in den Häusern mit Licht. Am Donnerstag in der Volksbühne schwimmen Nixen mit meterlangen dunklen Schwänzen in rot leuchtenden Tanks. Florentina Holzingers Stück Ophelia‘s Got Talent arbeitet mit opulenten Mitteln, eine Bande weiblicher Matrosen unten ohne marodiert trunken über die Bühne, Akrobatinnen umfliegen und kopulieren mit einem Helikopter und alle dreizehn Artistinnen haben Wasserkontakt. Es gibt ein Schwimmbecken mit geleinten Bahnen auf der Bühne, drei zusammenhängende Tanks und einen Einzelstehenden: das sind tausende Liter Wasser, in denen geschwommen, getobt, zelebriert und geboren wird. Die Akteurinnen sinnieren unter anderem über das ozeanische Gefühl, das Einssein mit dem Ozean – flankiert von einem nackten weiblichen Neptun im eigenen Tank, die mit aufgerissenen Augen ihren Dreizack auf den Beckenboden donnert. Das ist fantastisch und grandios.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Der große Wassertank ist eine Herausforderung für die Bühnentechniker, erzählt mir eine Freundin, mit der ich am Freitag die Landschaftsbilder Edward Munchs in Potsdam bewundere. Einmal sei der große Pool ausgelaufen unter den Bühnenboden der Volksbühne, aber ein Ersatztank, der dort bereitgestanden hätte, habe das meiste Wasser aufgefangen. Ich betrachte einen neonblauen Farbstrich Munchs, der sich am norwegischen Ostseestrand unter einem dunkelblauen Meer auf den Ufersteinen entlangschlängelt, das Wasser ist phallusgleich durchbohrt von einer Spiegelung des orangen Vollmondes. Rosa Schleier schweben über das Meer und vereinen es mit dem Himmel.
Meine Haut fühlt sich nicht mehr nach Haut an, ich beginne, mich aufzulösen. Nur noch einmal unter dem Kuppelauge durchtreiben, ich wedele mit den Händen, bis blaue Beine leuchtend in der Spiegelung auftauchen. Plansche weiter zum Grottenausgang, wo ein Schild den Austausch von Zärtlichkeiten untersagt. Der lange Flur von der Grotte zur Sauna öffnet den Blick in den Garten, in den ein japanischer Heißwasserpool versenkt ist, umstanden von neonfarben angeleuchteten Gräsern. Die andere Seite bildet die überlange Bar mit Bademänteln nebst erschöpftem Inhalt auf etlichen Hockern, dazwischen wird auf Liegen entspannt, wenig gesprochen und ausgiebig geschlürft. Der minimalistische Saunabereich bietet Tauchbecken, Dusche, Dampf-, Himalaja-Salz-, Kräuter- und Finnische Sauna. Die Umkleide ist etwas eng, erst im Föhn-Bereich ist wieder Platz, meine Haare fliegen wie unter einer Theater-Windmaschine und ich laufe glücklich hinaus in den Sprühnieselregen, der die Lichterketten des Roncalli-Zirkus am Tempodrom weichzeichnet.
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