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»Bella ciao« ist das Lied, das alle Linken singen

Es geht um eine Blume: Andreas Löhrer hat die Geschichte von »Bella ciao« untersucht

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Jahr 1958 veröffentlichte die Zentralleitung der Pionierorganisation »Ernst Thälmann« in der DDR unter dem Slogan »Seid bereit!« ein Liederbuch. In der Einleitung wurde ausgeführt, dass man überall, wo auch immer man dazu komme, sei es »auf Wanderungen, Fahrten, in den Pionierlagern«, aber auch – wie es formuliert wurde – »bei unserer gesellschaftlich-nützlichen Tätigkeit«, singen solle und auch wolle.

Die Zentralleitung wünschte sich, dass eben diese Lieder »von unserer schönen Heimat, (…) vom Kampf der Menschen für Frieden und Sozialismus, von der Völkerfreundschaft, von Freude und Frohsinn und den großen Taten der neuen Menschen beim sozialistischen Aufbau« erzählen sollten. Und so wurde das Liederbuch auch gleich mit der Nationalhymne der DDR eröffnet.

In dem Liederbuch finden sich etwa 130 Lieder nach Gruppen geordnet, eine heißt »Ich trage eine Fahne«. Und siehe da: Unter der Überschrift: »Eines Morgens in aller Frühe« findet sich dort ein »italienisches Partisanenlied« abgedruckt. Der Text stammt dabei von Hans Berner, der als Verwundeter aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt war und danach 30 Jahre lang als Musikdozent am Institut für Lehrerbildung in Quedlinburg arbeitete.

Der Text des Liedes handelt aber gar nicht vom Tragen einer Fahne. Er handelt auch nicht von einem Aufbau, von einer Freude oder einem Frohsinn oder mutmaßlich großen Taten der neuen Menschen, sondern, viel schlichter, von einer »kleinen, ganz zarten Blume«. Von dieser Blume sagen alle Leute, die vorübergehen, dass es die Blume des Partisanen sei, »der für unsere Freiheit starb«. Das Lied hat sechs Strophen. Für den Refrain »Bella ciao, bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao« merkte die Redaktion für die Jungen Pioniere an: »Ciao: sprich: tschau.« Das ist der erste Abdruck von »Bella ciao« in einem deutschen Buch.

Mittlerweile ist das Lied auf der ganzen Welt populär. Hannes Wader singt es genauso wie die Schauspieler in der Netflix-Serie »Haus des Geldes« (als Remix des französischen DJ Hugel). Der Übersetzer Andreas Löhrer hat nun die Geschichte des Lieds untersucht, mit einer geradezu minimalistischen Fragestellung: »Wie kam es zum Partisanenlied? Ist es überhaupt ein echtes Partisanenlied oder wurde es erst in der Nachkriegszeit geschrieben? Gibt es eventuelle Vorläufer?«

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Löhrer, der Mitarbeiter der Walter-A.-Berendsohn-Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur der Universität Hamburg war, holt in seiner Recherche weit aus und betrachtet die Vorgeschichte der italienischen Resistenza in ihrem Kampf gegen den Faschismus in den Jahren 1943 bis 1945.

In der ursprünglichen Fassung wurde das Lied mutmaßlich in der Po-Ebene von Reisearbeiter*innen gesungen und im Zweiten Weltkrieg von der Resistenza adaptiert. Seinen skandalumwitterten Durchbruch erlebte es 1964 in Umbrien, beim »Festival der zwei Welten« im kleinen Städtchen Spoleto, als es in zwei Fassungen gesungen wurde. Dabei ging die Version der Reisarbeiter*innen – »Und bei den Insekten und bei den Mücken / Oh bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao / muss ich harte Arbeit tun« – in die Partisanenversion über, indem alle anderen Sängerinnen und Sänger im Hintergrund einsetzten und die erste Version übertönten: »Und falls ich als Partisan sterbe / oh bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao / Und falls ich als Partisan sterbe / Dann musst du mich begraben.«

Ein Teil des Publikum reagierte mit Applaus, ein anderer Teil ärgerte sich: »Ich habe nicht 1000 Lire Eintritt bezahlt, um auf der Bühne mein Dienstmädchen singen zu hören!«, soll laut Löhrer eine mit reichlich Schmuck behängte Dame aus besserem Hause geflucht haben. Und am Ende kamen Carabinieri auf die Bühne, die nach den Verantwortlichen für die aufsässigen Lieder fragten und dann die Personalien der Sänger*innen aufnahmen.

Bei den folgenden Aufführungen auf dem Festival versuchten angereiste Faschisten aus Rom das Singen von »Bella ciao« zu verhindern, wogegen sich die Musiker verteidigten, indem sie mit ihren Gitarren um sich schlugen. Das Festival von Spoleto erlebte ein enormes Presseecho: Die Rechten sprachen von einem Skandal, aber aus ganz Italien trafen von Musiker*innen und Intellektuellen Solidaritätstelegramme ein. Seitdem war das Lied in aller Munde.

In insgesamt 35 kurzweilig zu lesenden Kapiteln verfolgt Löhrer den Weg dieses Liedes nach seiner in Spoleto 1964 von Tumulten begleiteten Rezeption bis in die jüngste Gegenwart. Dabei macht sich der Autor die auf Youtube verfügbaren Versionen von den frühen 60er Jahren bis heute zunutze, die in der Einleitung mit einem QR-Code nachgewiesen sind, der zu allen von ihm beachteten 46 Versionen von »Bella ciao« führt und auch zu Interviews mit Zeitzeugen.

Die Liste der Interpreten dieses Liedes ist eindrucksvoll: Sie reicht von Yves Montand, Milva und Zupfgeigenhansel bis hin zu der burmesischen Punk-Band The Rebel Riot X Cacerolazo. Es gibt mittlerweile so gut wie kein Land mehr auf der Welt, in dem »Bella ciao« nicht gesungen wird – und immer aus dem Geist des Protestes und des Widerstands. Die Melodie findet sowohl in Israel im Widerspruch gegen die Justizreform der Netanjahu-Regierung als auch in Palästina als Protest gegen die Okkupation des eigenen Territoriums Verwendung. Aber auch italienische Gewerkschafterinnen lassen es sich nicht nehmen, den Auftritt der Postfaschistin Giorgia Meloni auf einem Gewerkschaftstag der CGIL durch das Singen von »Bella ciao« zu stören und ihr erkennbar die Laune zu verhageln. Auch das kann als ein Beleg für die Aussage der Partisanin Marie Freçais gelesen werden, die es in der französischen Résistance verbreitete und einst vorhersagte: »Dieses Lied, das wir geschrieben haben, wird am Ende triumphieren und Lili Marleen umbringen.«

Andreas Löhrer hat aus der Recherche zu seinem Ursprung, seiner Geschichte und seiner anhaltenden Wirkung ein großartiges Buch gemacht.

Andreas Löhrer: Bella ciao. Auf den Spuren eines Partisanenliedes. Edition AV Bodenburg, 182 S., br., 16 €.

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