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Fußball im Gaza-Krieg: Palästina spielt um die Asienmeisterschaft
Die palästinensischen Fußballer wollen in Katar Hoffnung machen – die Gedanken sind in der Heimat
Jeden Tag verbringt Susan Shalabi mehrere Stunden im Internet und nimmt unzählige Anrufe entgegen. Als Vizepräsidentin des Palästinensischen Fußballverbandes muss sie traurige Nachrichten aus Gaza dokumentieren. Sie kann bestätigen, dass schon mehr als 80 Fußballer durch die Bombardierungen Israels getötet wurden, darunter viele Kinder. Die Dunkelziffer ist wesentlich höher, glaubt sie. Fast alle wichtigen Stadien in Gaza seien zerstört worden, sagt Shalabi: »Den Menschen wird die Lebensgrundlage entzogen. Ein geregelter Alltag, zu dem ja auch der Fußball gehört, wird für lange Zeit nicht mehr möglich sein.«
Während des Telefoninterviews sitzt Susan Shalabi in einem Café in der jordanischen Hauptstadt Amman. Sie wartet darauf, dass die Grenze zum benachbarten Westjordanland wieder geöffnet wird. »Auch im Westjordanland ist an Fußball nicht zu denken«, erzählt Shalabi: »Unsere Mitglieder werden an Checkpoints festgehalten und können sich kaum bewegen. Einige von ihnen wurden von israelischen Siedlern attackiert.«
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Der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel, bei dem mehr als 1200 Menschen getötet und mehr als 200 entführt wurden und die militärische Reaktion Israels verändern den Nahen Osten grundlegend. Nach Angaben palästinensischer Behörden sollen in Gaza rund 22 000 Menschen getötet worden sein. »Die Lage ist düster und fast hoffnungslos«, meint Shalabi, die schon als Diplomatin und Journalistin gearbeitet hat. »Aber wir wollen zumindest versuchen, ein Zeichen der Hoffnung zu setzen.«
Am Freitag beginnt in Katar die Asienmeisterschaft im Fußball. Mit dabei: Die palästinensische Nationalmannschaft, die sich zum dritten Mal hintereinander für das kontinentale Turnier qualifiziert hat. Ein beachtlicher Erfolg, sagt Shalabi, gleichwohl können sich die Spieler kaum auf das Sportliche konzentrieren: »Etliche von ihnen trauern um Verwandte und Freunde, die in Gaza getötet wurden. Wir bitten sie, nicht allzu viel Zeit vor dem Fernseher oder in sozialen Medien zu verbringen.«
Die Mehrheit der palästinensischen Nationalspieler stammt aus dem Westjordanland. Zwei Spieler, Mohammed Saleh und Mahmoud Wadi, sind in Gaza aufgewachsen. »Von einem der beiden wollten wir die Familie aus Gaza herausholen«, erzählt Shalabi. »Bei der kleinen Tochter ist uns das geglückt, aber seine Frau ist noch immer in Gaza. Der Druck für den Spieler ist enorm.« Der 21-jährige Verteidiger Ibrahim Abuimeir, durfte nicht aus Gaza ausreisen. Trotz allem möchte das Team bei der Asienmeisterschaft gute Leistungen zeigen.
Palästina gehört zu den 18 Mitgliedern der Fifa, die von den Vereinten Nationen nicht als Staat anerkannt werden. »Was uns die Diplomatie verweigert, das kann uns der Fußball bieten«, betont Shalabi. »Im Fußball können wir unsere nationale Identität ausdrücken.« Die Fifa lehnt politische Botschaften in den Stadien offiziell ab. Doch schon bei der WM 2022 in Katar hatte es der Weltverband geduldet, dass Hunderte Fans Fahnen und Banner für ein »Freies Palästina« zeigen. Bei der Asienmeisterschaft in Katar dürfte die Unterstützung für die Palästinenser noch deutlicher werden. In ihrem ersten Spiel treffen sie am Sonntag auf den Iran, dessen Regime Israel das Existenzrecht abspricht.
»In Katar fanden Freundschaftsspiele statt, um Spenden für Gaza zu sammeln«, berichtet Mahfoud Amara, der an der Qatar University zum Fußball in der arabischen Welt forscht. »Jetzt bei der Asienmeisterschaft sind die Tickets für Palästina begehrt. Viele Menschen aus arabischen Ländern, die in der Golfregion leben, werden ihre Solidarität im Stadion ausdrücken.«
Das Turnier ist die bislang wohl größte Herausforderung für palästinensische Fußballer. Ihr Verband wurde 1962 gegründet und 1998 in die Fifa aufgenommen. Jahrelang musste die Nationalmannschaft ihre Heimspiele aus Sicherheitsgründen im Ausland bestreiten, 2008 spielte sie dann gegen Jordanien erstmals vor heimischen Fans, in Al-Ram, einem arabisch geprägten Vorort von Jerusalem. Dass in Palästina zwei Meisterschaften ausgespielt werden, in Gaza und im Westjordanland, symbolisiert auch die politische Teilung der Bewegung zwischen der Terrororganisation Hamas und der Partei Fatah. Präsident des Fußballverbandes ist der langjährige Politiker Jibril Rajoub, der in seiner Jugendzeit wegen Gewaltdelikten in israelischen Gefängnisse einsaß.
In den palästinensischen Gebieten leben rund fünf Millionen Menschen. Mehr als doppelt so viele, rund zwölf Millionen Palästinenser, leben im Ausland. »Wegen der eingeschränkten Mobilität in Palästina setzte das Nationalteam oft auf Spieler, die in der Diaspora aufgewachsen sind«, erläutert Politikwissenschaftler Danyel Reiche. Große palästinensische Gemeinschaften gibt es etwa in Jordanien oder Chile, ihre Klubs Al Wehdat und Palestino gehören dort zu den erfolgreichsten landesweit. Von den 25 Spielern des aktuellen Nationalteams sind vier nicht in Palästina aufgewachsen, so niedrig war die Zahl bei einem Turnier noch nie. »Das zeigt, dass Palästina eigene Spieler entwickelt«, schlussfolgert das Internetportal »Football Palestine«. Zehn Nationalspieler stehen im Ausland unter Vertrag. Amid Mahajna und Alaa Aldeen Hassan, sind bei arabischen Klubs in Israel aktiv, Ataa Jaber hatte einst sogar für israelische Jugendnationalteams gespielt.
Der Fußball gehört im Nahen Osten zu den öffentlichkeitswirksamsten Plattformen für Machtspiele. Israelische Behörden rechtfertigten die Sicherheitskontrollen von palästinensischen Spielern und die Durchsuchung ihrer Verbandsräume oft als Antiterrormaßnahmen. Und sie erinnern an 2003, als sich ein Jugendteam in Hebron im Westjordanland als Rekrutierungszelle der Hamas herausstellte. Auf der anderen Seite nehmen Palästinenser die sechs israelischen Klubs in den Siedlungen des Westjordanlandes zum Anlass, um den Ausschluss Israels aus der Fifa zu fordern.
Nun in Kriegszeiten veröffentlicht auch die palästinensische Fußballfunktionärin Susan Shalabi in sozialen Medien vor allem politische Nachrichten. Zum Beispiel ein Video aus dem Yarmouk-Stadion in Gaza, wo seit 1938 Fußball gespielt wurde. »Vor Kurzem haben wir das Stadion saniert, wir wollten dort wichtige Spiele austragen«, sagt sie. »Und nun hat das israelische Militär dieses Stadion als Internierungslager für Hunderte Palästinenser genutzt.«
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