Wovon ist Kunst abhängig?

In Berlin soll eine Antidiskriminiserungklausel entscheiden, welche Kunst gefördert wird. Vincent Sauer befürchtet eine Konformität im Kulturbetrieb.

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Als der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) kürzlich bekannt gab, dass eine neue Antidiskriminierungsklausel die Stadt unter anderem davor bewahren soll, aus Versehen antisemitische Kunst zu fördern – auch solche, in der es irgendwie gegen Israel geht –, gab es naturgemäß einen Aufschrei. Ein Offener Brief mit hunderten Unterschriften ging online, der konstatierte eine anti-demokratische Beschneidung künstlerischer Freiheit und einen Bekenntniszwang zum jüdischen Staat. Dass man sich von Amtsinhabern nicht vorschreiben lassen will, wie man sich künstlerisch zur Welt verhält, ist völlig richtig. Berlin will nicht brav rüberkommen für coole Investoren und Touristen, aber die art scene soll auf Linie sein mit den Berufsopportunisten im Rathaus? Die wünschen sich Kunst, die lieber und repräsentativer ist als die Welt, aus der sie kommt. Gut wäre, wenn die Diskussion jetzt auch als Anlass dient, laut darüber nachzudenken, warum Künstler überhaupt so sehr auf Staatsknete angewiesen sind, wollen sie im Kulturbetrieb was zählen und können nicht ihren Neigungen als Hobby-Privatier frönen.

Dass an der Gesinnung eine Kunst-und-Kultur-Karriere steht und fällt, was Chialos Klausel impliziert, ist leider nichts Neues, sondern Indiz für eine oft kleingeredete Abhängigkeit: Wer keinen Markt hat, braucht Geld vom Staat. Für den muss man okay sein. Wem das Malen und Musizieren, wie gut es auch sein mag, nichts einbringt, weil niemand schauen, lauschen, kaufen möchte oder kann, muss Geschick im Ausfüllen von Förderanträgen entwickeln. Zu wissen, wie der Betrieb läuft, um mit langweiligen Kulturfunktionären zu networken, ist ein wichtiger Skill auf dem Weg zum Erfolg. Finde die richtigen Schlagworte für deinen Förderantrag, sodass klar bewiesen wird: Deine »Position« ist richtig relevant. Willkommen im Günstlingssystem mit feudalem Flair! Tel Aviv und Beirut unterscheiden sich wenig, was das Konformismusgebot betrifft. Nur werden’s nicht alle gleich leicht haben, integer zu arbeiten und Berliner Geldes würdig zu sein. Dann gibt es ja noch die Stiftungen großer Unternehmen, die schön Steuern absetzen mit Kunst, die sich etwa um Klimawandel und soziale Ungleichheit besorgt zeigen soll, während die Firma die Natur verschmutzt und Leute (in fernen Ländern) ausbeutet.

Vincent Sauer

Vincent Sauer ist Kulturredakteur des "nd".

Wer sowas wie eine marktradikale Kulturlandschaft anschauen will, mag Las Vegas am Tage betrachten: Entertainment-Tempel in der Wüste. Selbstverständlich brauchen Theater, Orchester etc. eine Grundförderung. Ein paar Preise zu verleihen, ist nicht verkehrt. Auch über eine Grundsicherung für Künstler kann man diskutieren. Nur sollte man es sich beim Staat nicht gemütlich machen, schließlich kann man schnell in Ungunst fallen. Arabische Dichter etwa, die einst über den grünen Klee gelobt wurden, lud man letztes Jahr von Veranstaltungen aus. Sorry, heute nicht. Was hilft denen, die in Zukunft nicht mehr »förderungswürdig« sind? Linke Schriftsteller hielten sich früher mit Krimis und Pornos über Wasser. Naja. Bücken, bis man dazugehört? Ohne Haltung keine gute Kunst. Ob Chialos Klausel überhaupt durchkommt, werden Gerichte entscheiden. In jedem Fall erinnert die Debatte daran, dass Staat und Kapital die Kunstfreiheit an der kurzen Leine halten, wenn’s drauf ankommt. Das ist die ungeschriebene Klausel.

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