Neue U-Bahnzüge: Wenige Fenster, viele Hoffnungen

Erster neuer U-Bahnzug muss sich nun im Netz bewähren

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin-typisch wird Currywurst gereicht an diesem frostigen Donnerstagmorgen auf dem Bahnsteig des U-Bahnhofs Olympia-Stadion. Doch Berlin-untypisch hat kaum jemand der zahlreichen Gäste mitbekommen, dass das Buffet bereits eröffnet ist. Noch konzentriert sich das Interesse fast vollständig auf Gleis 3. Dort steht nämlich der erste Vier-Wagen-Zug der neuen Baureihe JK, der tatsächlich auf dem Netz der Berliner U-Bahn eingetroffen ist.

Das Zug erinnert von der Seite fast ein wenig an das berühmte Yellow Submarine, das gelbe U-Boot, das die Beatles besangen. Die Fenster reichen nicht von Tür zu Tür, es ist viel gelb lackiertes Blech statt eines durchgehenden Fensterbandes zu sehen. Dafür ist drinnen ein deutlich aufgeräumterer und großzügigerer Innenraum entstanden. Große Infomonitore an den Wänden lassen einen die reduzierten Fensterflächen fast vergessen.

Wenige Minuten vorher ist das Fahrzeug des Herstellers Stadler durch eine Trockeneisnebelwolke eingefahren und stahl der menschlichen Prominenz auf dem Bahnsteig die Show. Die war zahlreich zugegen. Unter anderem der Regierende Bürgermeister Kai Wegner, Verkehrssenatorin Manja Schreiner (beide CDU), BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt sowie Stadler-Deutschland-Chef Jure Mikolčić.

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Außerdem, ebenfalls eine öffentliche Premiere, der neue Vorstandschef der Berliner Verkehrsbetriebe, Henrik Falk. Zum Jahreswechsel hatte Falk sein Amt angetreten als Nachfolger der glücklosen Eva Kreienkamp. Acht Jahre war der gebürtige Ost-Berliner Chef der Hamburger Hochbahn, doch zuvor arbeitete er lange für die BVG, zuletzt bis 2016 als Finanz- und Vertriebsvorstand des Landesunternehmens.

Insofern ist auch ein ganz kleines bisschen Selbstlob dabei, wenn er sagt, dass in den letzten zehn Jahren »überraschenderweise die BVG, im Zusammenspiel mit den politischen Parteien, mit der Verwaltung, und mit dem Unternehmen, mit dem wir zusammenarbeiten, etwas richtig gemacht hat«. Denn vor so vielen Jahren wurden die Planungen für die Beschaffung neuer Fahrzeuge konkreter.

Die Zeitspanne ist tatsächlich noch im normalen Bereich für so eine große Fahrzeugbeschaffung, allerdings hatte sich die Berliner Politik angesichts der Finanznöte der Stadt viel zu lange Zeit gelassen, den Prozess zu starten.

Seit Jahren plagt Wagenmangel und ein total überalterter Fahrzeugpark mit bis zu 60 Jahre alten Zügen BVG und Fahrgäste. Auf mehreren Linien musste der Fahrplan ausgedünnt werden. Nicht nur, aber besonders in den Tagen des Bahnstreiks, führt die fehlende Möglichkeit, mehr Angebot zu fahren, zu komplett überfüllten Zügen.

Kein Wunder, dass Kai Wegner nun von »einem richtig guten Tag für Berlin« spricht. »Es ist ein toller Gänsehaut-Moment. Und ich muss sagen, es ist ein bisschen wie Weihnachten«, sagt Verkehrssenatorin Manja Schreiner. Man werde nun sehen, wie schnell die Züge in den Testbetrieb kommen.

Mit den ersten Fahrgastfahrten im Probebetrieb rechnet BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt im Juni oder Juli. Noch ist ja nicht einmal das vereinbarte Kontingent von zwölf Wagen, aufgeteilt in zwei Vier- und zwei Zwei-Wagen-Züge eingetroffen, sondern nur der eine nun vorgestellte Zug. Vor einer Woche wurde er nachts über das Verbindungsgleis von Eisenbahn- und U-Bahnnetz am Bahnhof Wuhletal der BVG übergeben und schließlich über die U5 und die U2 bis zur Betriebswerkstatt Grunewald am U-Bahnhof Olympia-Stadion geschleppt.

Es wird gemunkelt, dass der nun bei der BVG eingetroffene Zug mehr eine Attrappe als ein einsatzfähiges Fahrzeug sei. Dem widerspricht Rolf Erfurt gegenüber »nd«: »Der Zug ist komplett.« Tatsächlich hat Hersteller Stadler die Nerven seines Kunden sehr strapaziert. Ursprünglich hätte der erste Zug bereits Ende 2022 abgeliefert sein sollen.

Offiziell werden Lieferketten-Probleme infolge der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine für die Verzögerungen verantwortlich gemacht. Tatsächlich sind wohl auch deutliche Qualitätsprobleme in der Fertigung mitverantwortlich. Ein Indiz dafür ist, dass die nun abgelieferten Wagen nicht die zuerst produzierten Vorserien-Fahrzeuge sind.

In der Branche wird vermutet, dass der Pankower Standort von Stadler sich mit den vielen an Land gezogenen Aufträgen – unter anderem wurden die neuen Züge für die Berliner S-Bahn gefertigt – überhoben hat.

Wenn im Sommer der Testbetrieb mit Fahrgästen auf der U3 mit dem neuen Typ JK startet, soll auch die Serienlieferung der zunächst 140 fest bestellten Wagen für das sogenannte Kleinprofil der Linien U1 bis U4 beginnen. Bei einem vertraglich vereinbarten Lieferrhythmus von vier Wagen pro Woche sollte diese erste Lieferung im Januar 2025 abgeschlossen sein.

Diesen Sommer sollen auch die zwölf Vorserien-Wagen für das sogenannte Großprofil der Linien U5 bis U9 mit breiteren und höheren Wagenkästen bei der BVG eintreffen. Rund um den Jahreswechsel 2024/2025 könnten sie auf der U5 den Testbetrieb mit Fahrgästen aufnehmen. Hier sind zunächst fest 236 Wagen bestellt, die bis Spätsommer 2025 geliefert sein könnten.

Bestenfalls könnte damit der Betrieb auf der U-Bahn stabilisiert werden. Für eine Taktverdichtung wird das erste Lieferlos nicht reichen. Denn viele der verschlissenen Bestandszüge müssen eher heute als morgen ausgemustert werden.

Der Vertrag zwischen Stadler und BVG sieht die Lieferung von bis zu 1500 Wagen vor. Die Mindestbestellmenge liegt bei 606 Wagen. Im bis 2035 laufenden Verkehrsvertrag zwischen Senat und BVG sind bisher aber nur rund 1000 neue Wagen finanziert. Es ist zumindest zweifelhaft, ob das für die versprochenen Taktverdichtungen ausreicht. Dafür müssten viele Bestandsfahrzeuge noch lange durchhalten. Die jüngsten für das Großprofil ausgelegten Züge sind bereits jetzt 22 bis 30 Jahre alt. Linke-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg fordert daher von Schwarz-Rot, die maximale Liefermenge auch auszuschöpfen – eine Herausforderung in Zeiten von Sparhaushalten.

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