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Handball: Wie Andreas Wolff das DHB-Team bei der EM stark macht
Der Weltklassetorwart hat sich verändert – und hilft dem deutschen Team damit noch mehr
Berühmtheit erlangte der Torwart Andreas Wolff einst im polnischen Kraków. Damals, im Endspiel der Europameisterschaft vor acht Jahren, zerstörte er mit seinen Reflexen die Spanier – und schuf damit die Basis für den sensationellen Sieg der deutschen Handballer. »Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Nein, es ist der Superwolff«, feierten ihn die Fans in den sozialen Medien. Es waren nicht nur seine außergewöhnlichen Paraden, die ihn mit einem Schlag bekannt machten, es waren auch die großen Emotionen, mit denen er sie stets gefeiert hatte. Wolff ballte damals immer wieder die Fäuste und brüllte nach jeder Abwehraktion. Es war, als entlüde sich sein Körper dauerhaft mit 100 000 Volt.
Umso bemerkenswerter war der Auftritt des 32-jährigen deutschen Torhüters beim Auftakt in die Heim-Europameisterschaft. Während es um ihn brodelte in der großen Düsseldorfer Fußballarena, während mehr als 53 000 Fans den Torwart feierten und sich, wie medial mehrfach beschrieben, bald in den Zustand eines »deutschen Handball-Rausches« versetzten, blieb der Keeper auffällig defensiv.
Natürlich freute sich auch Wolff über jede gelungene Parade im Spiel gegen die Schweizer – und ballte die Hände auch zur Faust. Aber wenn er dann mal auf der Bank Platz nahm, damit das Team eine Unterzahlsituation kompensieren konnte, wirkte er so entspannt wie bei einem Trainingsspiel. Als der 27:14-Kantersieg am späten Mittwochabend dann besiegelt war, berichtete der Torwart, seinem Habitus auf dem Spielfeld habe ein Kalkül zugrunde gelegen. »Ich gehöre ja heute zu den erfahreneren Spielern, meine Rolle hat sich geändert«, erklärte er nach seinem 146. Länderspiel für das DHB-Team. »Viele der jungen Spieler waren schon sehr aufgeregt vor diesem Spiel«, erklärte er und ergänzte: »Es ging auch darum, dass da jemand ist in der Mannschaft, der Ruhe ausstrahlt.«
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Geschadet hatte das Runterdimmen der Emotionen nicht, im Gegenteil. Wolff hatte so stark gehalten wie noch nie in der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB), seine Paraden vor allem aus der Nahwurfzone hatten den Angreifern jeden Mut genommen. Am Ende lag seine Fangquote bei spektakulären 61 Prozent. »Weltklasse«, befand Mittelblocker Julian Köster.
Wolff hat es schnell geschafft, in die Köpfe der Gegner zu kommen. Das sei das Geheimnis eines starken Keepers, meint Wieland Schmidt, Olympiasieger 1980 mit der DDR-Auswahl, der als einer der besten Torleute aller Zeiten gilt. Überragendes Stellungspiel und die starke Physis Wolffs beeindruckten offensichtlich die Gegner. »Die machen sich dann zu oft Gedanken darüber, wer da vor ihnen steht«, sagt Schmidt und lacht: »Und dann ist es schon zu spät.«
Der Mann, der aus Wolff einen Weltklassemann gemacht hat, saß beim Auftaktspiel der EM auf der Bank des Gegners. Jasmin Camdzic, genannt »Jasko«, hatte bei der HSG Wetzlar drei Jahre lang mit Wolff trainiert. Und weil er danach auch überaus erfolgreich mit dem derzeitigen Flensburger Keeper Benjamin Buric gearbeitet hat und dies in Wetzlar jetzt auch noch mit Till Klimpke macht, gilt er unter Experten als bester Torwarttrainer in der Bundesliga.
Seinerzeit, als Wolff nach oben drängte, empfand er jedes Gegentor noch als Beleidigung, er zerfraß sich förmlich. »Am Anfang hat Andi sich selbst kaputtgemacht«, erinnert sich Camdzic. »Heute ist er so viel ruhiger, nicht nur als Persönlichkeit, sondern auch als Torwart. Er hält fantastisch.« Als Wolff seinen Mentor am Mittwoch nach den vielen Interviews vor den Mannschaftskabinen traf, begrüßte er ihn mit einer Umarmung und sagte: »Hab’ ich gar nicht auf dem Zettel gehabt, dass du auf der Bank sitzt.« Camdzic konterte mit einem großen Kompliment. »Ich habe ein Monster erschaffen«, sagte der Torwarttrainer angesichts der sensationellen Quote seines früheren Schützlings.
Wolff, der nach den Stationen in Großwallstadt, Wetzlar und Kiel seit 2019 in Kielce spielt, konnte in seiner Zeit in der Bundesliga sogar noch bessere Zahlen erreichen. Legendär ist seine Leistung bei einem Heimspiel der HSG Wetzlar gegen den Bergischen HC im Herbst 2015, als er 70 Prozent aller Bälle entschärft hatte. Zusammen fachsimpelten der Supertorwart und sein früherer Trainer in Düsseldorf dann noch etwas über die Partie, bevor sich Wolff wieder den Medienvertretern zuwandte. Wenn er etwas zurückhaltender auf dem Platz agiere, dann auch deshalb, weil er auf sein Alter auch in dieser Hinsicht Rücksicht nehmen müsse, juxte er: »Wenn ich in der ersten Minute schon so herumbrülle, dann schaffe ich die 60 Minuten vielleicht nicht mehr.«
Diese Aussage enthält ein Körnchen Wahrheit. Denn Wolff ist sehr wohl bewusst, wie fragil seine Physis noch ist, wo er erst seit einigen Wochen wieder spielt. Ein Bandscheibenvorfall im Herbst habe sogar seine Karriere bedroht, wie er sehr offen erzählte. Daher blickte Bundestrainer Alfred Gislason auch nervös zu seinem Torwart, als der sich beim Auftaktspiel an den Hals fasste und ungewöhnliche Dehnungsübungen vorführte. »Mein Körper ist in Ordnung«, kommentierte Wolff entsprechende Nachfragen. Aber er selbst weiß auch, wie groß die Belastung ist, die in den kommenden Tagen auf ihn zukommt.
Ab Sonntag, wenn die DHB-Auswahl in Berlin auf Nordmazedonien trifft, erwartet ihn alle zwei Tage ein neuer Gegner. Deshalb hoffen seine Mitspieler und vor allem der Bundestrainer, der Körper des Keepers möge durchhalten. Denn der zweite Mann im Tor, David Späth, ist einer der Juniorenweltmeister von 2023 im Team. Und damit einer der jungen und sehr aufgeregten Spieler im Kader, die Wolff mit seiner Gelassenheit und Besonnenheit beruhigen will und vielleicht auch muss.
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