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Räumungsklage: Neuköllner WG bedroht
Verhandlung um Räumung einer Wohnung in der H48 wird ausgesetzt
Die Kundgebung vor dem Landgericht Tegel ist kämpferisch: »Der Widerstand gegen diese menschenfeindliche Stadtpolitik wird wachsen«, ruft eine Rednerin ins Mikrofon. Die knapp 50 Demonstrant*innen haben sich am Dienstagmorgen im Westen Berlins versammelt, weil dort eine Räumungsklage gegen die H48, eine Wohngemeinschaft in der Hermannstraße 48, verhandelt wird. Unterstützt werden die Bewohner*innen von zahlreichen Initiativen wie Deutsche Wohnen und Co enteignen und Zwangsräumung Verhindern. Selbst eine Hausgemeinschaft aus Leipzig hat ein Grußwort geschickt.
Nika lebt in der räumungsbedrohten WG, »City Chicken« getauft. »Die Sorge, dass wir kurzfristig rausmüssen, ist extrem stressig.« Sie wohne seit mehr als zehn Jahren in Neukölln, die WG sei wie eine alternative Familie, jenseits von Kleinfamilie und Partner*innen biete sie ihr ein langfristiges Beziehungsnetz. »Es macht mir Angst, dass das dann auseinanderbricht, weil wir keinen gemeinsamen Raum finden.«
Der Prozess an sich ist reichlich unspektakulär. Es hängt an der Frage, ob es sich bei dem Mietvertrag um einen Wohnmietvertrag oder einen Gewerbemietvertrag handelt. Relevant ist dabei nicht nur, wie der Vertrag betitelt ist, sondern der »übereinstimmende Wille zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses«, wie es der Richter in der Verhandlung erklärt. Der Prozess um die Räumungsklage wird ausgesetzt, denn die Bewohner*innen der Hausgemeinschaft führen parallel eine Feststellungsklage vor dem Amtsgericht Neukölln. Erst wenn in diesem Verfahren eine abschließende Entscheidung getroffen ist, verhandelt das Landgericht die Räumungsklage.
»Wir können beweisen, dass wir Wohnmietrecht haben und dass das der Eigentümerin von Anfang an bewusst war«, meint Nika. Auch der Anwalt der Bewohner*innen, Benjamin Hersch, sieht das so: »Ich bin ziemlich sicher, dass wir die Feststellungsklage gewinnen. Es geht im Wesentlichen darum, was die Parteien damals besprochen haben, und da haben wir Zeugen.« Dieses Verfahren wird sich aber lange hinziehen. »Ich denke nicht, dass die Räumungsklage dieses Jahr weitergehen wird«, so Hersch.
Diese Verzögerung ist für die Bewohner*innen bedrohlich. Mit der aktuellen Räumungsklage ist auch die Forderung an die Mieter*innen verbunden, für fiktive entgangene Mieteinnahmen aufzukommen, die der Eigentümer aufgrund des angeblich nicht fristgerechten Auszugs nicht einnehmen konnte. Mit der Zeit können so enorme Summen entstehen. »Wir lassen uns dadurch nicht abschrecken, weil wir auf Solidarität vertrauen«, so Simon Duncker aus der H48. Für den Fall, dass der Prozess verloren werden sollte, haben die Bewohner*innen eine Spendenkampagne gestartet.
Die Situation der H48 ist zwar besonders, aber nicht einzigartig. Gewerbeflächen waren in den 80er und 90er Jahren schwer zu vermieten, insbesondere in Neukölln, deswegen wurden sie an WGs vergeben. Ein Vorteil von Gewerbemietverträgen für Vermieter: eine kürzere Kündigungsfrist und weniger Mieterschutz. »Die ehemalige Eigentümerin hat sich um eine Nutzungsänderung gedrückt«, so Duncker. Bislang kein Problem, aber die gestiegenen Mietpreise wecken Begehrlichkeiten. »Wir wissen, dass wir mit dieser Räumung alle gemeint sind und dass das hier ein Probeschuss ist«, so Duncker weiter.
»Es schweißt ganz schön zusammen«, meint Riko, die auch in der H48 wohnt, zur aktuellen Situation. Es habe auch schwierige Phasen gegeben, zum Beispiel als die Hausgemeinschaft das Haus nicht über das bezirkliche Vorkaufsrecht kaufen konnte. Der Bezirk Neukölln wollte eigentlich sein Vorkaufsrecht zugunsten der Bewohner*innen ausüben. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht am 9. November 2021 dieses Instrument der bezirklichen Stadtentwicklung faktisch gekippt hatte, ging das Haus an die ursprüngliche Besitzerin zurück. Diese verkaufte es an eine sächsische Immobilienfirma.
Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) meint dazu: »Das ist ein ganz bitterer Fall. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat uns da die Beine weggeschlagen.« Die Räumungsklage und die Situation sieht er im Neuköllner Kontext: Teilweise gebe es Mietangebote im zur H48 benachbarten Schillerkiez, wo pro Quadratmeter 25 Euro nettokalt verlangt würden. »Da ist klar, dass dann eine Rendite möglich ist, die mit Altmietverträgen nicht möglich ist. Das Gebäude in der Hermannstraße wird auch nicht ohne bestimmte Renditeerwartungen gekauft worden sein.«
Der Kampf um die H48 wird weitergehen, die Bewohner*innen sind organisiert und vernetzt. »Es wäre natürlich ein schöneres Ziel gewesen, das Haus komplett vom Markt zu nehmen«, meint Riko. »Das ist gerade in weitere Ferne gerückt, aber wir machen weiter!«
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