Die Lausitz hängt am Tropf

Fördergelder etwa für die Universitätsmedizin in Cottbus sollen der Lausitz eine neue Perspektive geben

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Das kommunale Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum (CTK) suchte und fand einen neuen Chefarzt. Als dieser Mann erfuhr, dass aus dem CTK eine Universitätsklinik gemacht werden soll, brachte er gleich sechs Kollegen mit. Diese Anekdote erzählt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am Dienstagabend. Er will damit Zweifel daran zerstreuen, ob es dem Lausitzer Revier beim spätestens 2038 anstehenden Ausstieg aus der Braunkohle gelingen werde, genug hochkarätige Fachleute anzulocken. Woidke reagiert sichtlich angefressen auf Behauptungen, die Lausitz sei eine trostlose Gegend, in die doch wahrscheinlich kaum jemand ziehen wolle. Das nimmt er persönlich. Schließlich ist dieses Revier sein Revier – seine Heimat.

Von den Strukturmitteln des Bundes für die vom Kohleausstieg betroffenen Bundesländer bekommt Brandenburg 10,3 Milliarden Euro und legt mehrere Hundert Millionen Euro zur Kofinanzierung obendrauf. Ein nicht unerheblicher Teil der Mittel soll darauf verwendet werden, in Cottbus eine staatliche Universitätsmedizin aufzubauen. Brandenburg hat früher selbst gar keine Ärzte ausgebildet. Erst 2014 wurde die Medizinische Hochschule Brandenburg gegründet. Auf dem Papier handelt es sich um eine private Hochschule. Allerdings kamen als Träger die kommunalen Ruppiner Kliniken, das Städtische Klinikum in Brandenburg/Havel, die Stadtwerke Neuruppin und die Sparkasse sowie die gemeinnützige Immanuel-Diakonie Bernau zusammen. Zum Medizinstudium gehen interessierte junge Brandenburger in der Regel nach Berlin oder Greifswald. Die Erfahrungen zeigen aber, dass sie dann in der Fremde oft einen Partner kennenlernen und bleiben, anstatt in die Heimat zurückzukehren.

Das ist zum Beispiel auch der Grund, warum es seit Sommer 2017 möglich ist, an der Universität Bielefeld Medizin zu studieren. Zwar gab es vorher in Nordrhein-Westfalen schon medizinische Fakultäten in acht Städten im Ruhrpott und im Rheinland – doch davon hatte Ostwestfalen wenig. So argumentiert Professor Eckhard Nagel, wissenschaftlich-medizinischer Projektbeauftragter für das geplante Innovationszentrum Universitätsmedizin Cottbus (IUC). Nagel ist nach eigenem Bekunden noch mit dem Wissen groß geworden, Deutschland habe das beste Gesundheitswesen der Welt. Das sei aus verschiedenen Gründen heute nicht mehr der Fall, gesteht er. Cottbus solle nicht einfach nur die nächste Universitätsmedizin von der Stange bekommen, sondern eine, die den alten Anspruch der besten medizinischen Versorgung wieder erfüllt und zwar so, dass es die Patienten auch merken. Dafür, dass das mit den zur Verfügung stehenden Fachkräften am sinnvollsten zu leisten sei, solle die Lausitz zu einer Modellregion werden, erläutert Nagel.

Zum Wintersemester 2026/2027 sollen sich die ersten Studierenden einschreiben dürfen. Jährlich 200 Bewerber sollen angenommen werden. Zehn Prozent der Studienplätze sind für angehende Ärzte reserviert, die sich verpflichten, nach ihrem Abschluss mindestens zehn Jahre in einem Gebiet in Brandenburg zu arbeiten, in dem der Bedarf besonders groß ist. Der Zeitplan ist ambitioniert. Die derzeit jüngste medizinische Fakultät Deutschlands gibt es seit 2019 an der Universität Augsburg. Diese sei zehn Jahre lang vorbereitet worden, weiß Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD). In Cottbus wolle man es nun innerhalb von nur sechseinhalb Jahren schaffen. Eine Hürde dafür wurde im Dezember genommen: Die Cottbuser Stadtverordneten stimmten zu, die als Universitätskrankenhaus vorgesehene Carl-Thiem-Klinik an das Land Brandenburg abzugeben. Nun muss im März noch der Wissenschaftsrat von Bund und Ländern seinen Segen geben, dann wäre die Bahn frei für das Vorhaben, das 1200 zusätzliche Arbeitsplätze verspricht.

Brandenburg nutze die Möglichkeiten, die es durch das Mitte 2020 vom Bundestag für die Kohleregionen beschlossene Strukturstärkungsgesetz bekommen habe, »vergleichsweise gut«, findet Ministerpräsident Woidke. Der Vorhaltung, die Lausitz sei durch die zehn Milliarden Euro die meistgeförderte Region der Bundesrepublik, begegnet er mit dem Hinweis, eine Fördersumme in dieser Größenordnung werde in Sachsen-Anhalt für ein einziges Projekt spendiert: die Intel-Chipfabrik.

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Ein anderer Vorwurf lautet: Es entstünden derart hochqualifizierte Jobs, für die Bergleute nicht umgeschult werden könnten. Aber die Wissenschaft biete auch Chancen für Facharbeiter, stellt Professor Klaus Höschler klar. Er denkt an sein Center for Hybrid Electric Systems Cottbus – kurz Chesco. Es forscht an hybrid-elektrischen Antriebssystemen insbesondere für den Luftverkehr. Flugzeuge sollen künftig starten und landen, ohne CO2 auszustoßen. Bei Chesco werde man bereits in wenigen Wochen die ersten 50 Mitarbeiter an Bord haben – nicht allein Wissenschaftler, sondern auch Techniker, darunter zwei Rückkehrer in die Lausitz, berichtet Höschler. »Ich weiß, wie lange es dauert, eine Innovation in die Luft zu bringen«, sagt der Experte. »Wenn mit dem Auto was nicht stimmt, fahren Sie rechts ran. Am Himmel geht das nicht.« Deshalb gebe es strenge Zulassungsbestimmungen. Aber: »Wir wollen schnell Prototypen fertigen können.« Dazu soll auch ein Testzentrum entstehen. Noch im laufenden Jahr soll der Auftrag ausgeschrieben und möglichst auch schon vergeben werden.

Die für den Luftverkehr entwickelten Technologien könnten auch für Autos und Bagger verwendet werden und heute noch vorhandene Züge mit Dieselantrieb ersetzen. Eine vorher ungeahnte Anwendungsmöglichkeit ergibt sich für die Orthopädie- und Reha-Team Zimmermann GmbH. Sie unterhält in Cottbus eine Werkstatt für orthopädische Hilfsmittel. Derzeit arbeitet das mittelständische Unternehmen noch mit klassischen Gipsabdrücken, um diese Hilfsmittel passgenau für die Patienten zu fertigen. Künftig sollen Scanner und 3D-Drucker verwendet werden. »Bei Checsco gibt es 3D-Drucktechnik, die mich finanziell überfordern würde«, lobt Geschäftsführer Jörg Zimmermann die angebahnte Kooperation.

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