Was im Roten Meer verteidigt wird

Die Huthis sind nur Teil des Problems der USA - weltweit sind die Meere wieder zur umkämpften Zone geworden

Die sogenannten Huthi-Rebellen im Jemen greifen Frachtschiffe im Roten Meer an und wollen damit laut eigener Aussage die Palästinenser unterstützen. Um den Frachtverkehr zu schützen, schicken die USA Kriegsschiffe in die Region, setzen die vom Iran unterstützten Huthis auf die Liste der Terrororganisationen und bombardieren ihre Stellungen. Die EU wird voraussichtlich nächste Woche beschließen, ebenfalls Marineeinheiten in das Rote Meer zu schicken. Zwar dürfte der ökonomische Schaden der Huthi-Angriffe begrenzt bleiben. Doch geht es in dem Konflikt um mehr: »Die Globalisierung steht unter Beschuss«, so Bruce Jones von der US-Denkfabrik Brookings. »Der Westen kann es sich nicht leisten, die Kontrolle über die Meere zu verlieren.«

Seit dem 11. Januar greifen die USA und einige verbündete Staaten Huthi-Stellungen an. Sie begründeten dies mit dem »naturgegebenen Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung« und legen damit »ein gemeinsames Bekenntnis zur Freiheit der Schifffahrt, zum Welthandel und zur Verteidigung des Lebens von Seeleuten« ab. Den Huthis, so der US-Sicherheitsberater Jack Sullivan, dürfe nicht erlaubt werden, den »Welthandel zu kidnappen«. In der EU werden sich die EU-Außenminister*innen nächste Woche mit dem Thema befassen. Noch im Februar sollen mindestens drei Kriegsschiffe in die Region entsendet werden.

Ökonomische Kosten scheinen vernachlässigbar

Das Rote Meer und der Suez-Kanal sind eine wichtige Schiffsroute für den Handel zwischen Asien und Europa. Aufgrund der Angriffe der Huthis sind die Frachtraten eingebrochen. Laut Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel lag das Volumen zuletzt bei nur noch 200 000 Containern pro Tag, noch im November seien es rund 500 000 gewesen. Statt durch das Rote Meer fahren die Schiffe nun um Afrika und das Kap der Guten Hoffnung. Die verlängerte Fahrzeit erhöht die Transportkosten, die die Produzenten auf ihre Waren aufschlagen. Die Folge: steigende Preise. Zudem kommt es zu Materialknappheiten bei Unternehmen, die auf Vorleistungsgüter aus Asien warten. So haben Tesla und Volvo bereits Produktionskürzungen angekündigt. Die Huthi-Angriffe beeinträchtigen also nicht nur den Handel, sondern auch die Produktion im Westen, auf der seine ökonomische Macht beruht.

Die US-Regierung hat ihrem Einsatz im Roten Meer zwar den Titel »Wächter des Wohlstands« gegeben. Nachhaltig gefährden können die Huthis diesen Wohlstand aber offensichtlich nicht. Denn erstens ist der Welthandel derart effizient geworden, dass Transportkosten nur »einen winzigen Teil des Preises ausmachen, den Konsumenten für Güter zahlen«, so die Schweizer Bank UBS, »schließlich würden sie sonst nicht um den halben Erdball bewegt«. Zweitens, so die Commerzbank, dürfte es beim Transport kaum zu nachhaltigen Kapazitätsproblemen und in der Folge zu Materialmängeln kommen. Denn die Reedereien haben in den vergangenen Jahren viele neue Schiffe bestellt, die jetzt nach und nach ausgeliefert werden. Die Kapazitäten der globalen Containerflotte seien allein 2023 um etwa sieben Prozent gewachsen.

Das Problem, das die USA ausmachen, liegt daher weniger im Roten Meer, sondern darin, dass es »nicht das einzige Gewässer ist, in dem geopolitische Auseinandersetzungen die Ordnung und den Handel auf See bedrohen«, schreibt Jones, Autor des Buches »To Rule the Waves. How Control of the World’s Oceans Shapes the Fate of the Superpowers«. Im Schwarzen Meer sammeln sich Minen im Zuge des Krieges in der Ukraine, Handelsströme werden unterbrochen. »Russische U-Boote patroullieren im Nordatlantik und in der Arktis und wurden in irischen Gewässern in der Nähe einer großen Konzentration von Unterwasserkabeln gesichtet, die die Börsen von New York und London miteinander verbinden – die Hauptschlagader des globalen Finanzsystems.« Vor allem aber betreibe China »die größte Aufrüstung einer Marine seit der Aufstockung der US-Flotte nach Japans Angriff auf Pearl Habor« und schränke so die Fähigkeit der USA ein, die »Freiheit der Meere« zu sichern.

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Weltmächte sind empfindlich

Der britische »Economist« sieht daher »Zeichen für einen tiefgreifenden Wandel, der sich auf den Ozeanen unseres Planeten vollzieht«. Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges seien die Meere wieder eine umkämpfte Zone. In Gefahr ist damit erstens der Welthandel, der zu 80 Prozent über Schiffe abgewickelt wird. Zudem hänge »die wissensbasierte Wirtschaft – und die Vorherrschaft von Wall Street und Silicon Valley – von rund 600 sabotagegefährdeten Unterwasser-Datenkabeln ab«, erklärt Jones.

Gefährdet ist zweitens ein politisches Gut: die Fähigkeit der USA und ihrer Verbündeten, die Meere zu kontrollieren. »Großmächte und ihre Stellvertreter stellen die Vorherrschaft des Westens in Sachen Seemacht in Frage«, schreibt Jones. Diese Macht erlaubte es den USA nicht nur, den freien Seeverkehr zu sichern, sondern ihn gegebenenfalls auch zu unterbinden, um auf andere Länder Druck auszuüben. Derartige Sanktionen des Westens haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen und einen »Schmuggel-Boom« entfacht, so der »Economist«. Zehn Prozent aller Tanker seien inzwischen Teil einer »Schwarzen Flotte« außerhalb der geltenden Ordnung des Westens.

Insbesondere durch die maritime Aufrüstung Chinas könne der Westen nun »kaum noch mithalten«, so Jones. Europa verfüge über zu wenig Schiffe, die US-Navy wiederum sei weltweit im Einsatz und ihre Ressourcen daher ausgedünnt. Dass der Westen inzwischen »kaum noch mithalten kann«, bedeutet allerdings nicht, dass seine Flotten einem eventuellen Gegner unterlegen wären. Sondern dass sein Status als Kontroll- und Ordnungsmacht wackelt, also seine Fähigkeit, jeden Angriff auf die geltende Ordnung von vornherein aussichtslos zu machen und so den »Frieden« zu sichern. »Es kommt auf die Fähigkeit zur Abschreckung an«, mahnt der »Economist«.

Daher sieht sich Washington nun auch durch einen relativ unbedeutenden Gegner wie die Huthis herausgefordert, seine Dominanz zu demonstrieren. Denn diese Dominanz sichert die Freiheit der Meere, die Freiheit der Meere ist die Basis der ökonomischen Macht der USA, auf dieser ökonomischen Macht beruht ihre militärische Macht, und diese militärische Macht wird wiederum eingesetzt, um die Dominanz der USA zu sichern – soweit der ewige Zirkel. Darüber hinaus hat Washington durch seinen Status als globale Ordnungsmacht einen starken Hebel gegenüber allen anderen Ländern der Welt. Denn die USA sind Garant eines Weltmarktes, den alle anderen brauchen: ohne die USA kein Welthandel und ohne Welthandel kein Wachstum in Asien, Europa oder Amerika. »Unsere Führung ist das, was die Welt zusammenhält«, so drückte US-Präsident Joe Biden aus, dass Washingtons Dominanz im Interesse aller anderen Länder liegen muss. Dabei ist es kein Wunder, dass für ein Land wie die USA, das die Geltung der Regeln überwacht, eben diese Regeln nur bedingt gelten: Die USA »haben den wichtigsten globalen Vertrag zum Seerecht nicht ratifiziert«, so der »Economist«.

Wenn sich Staaten wie Deutschland nun an Washingtons Missionen im Roten Meer und andernorts beteiligten, so unterwerfen sie sich nicht einem US-Diktat. Mit der Unterstützung der USA streben sie vielmehr nach Teilhabe an einer Ordnung, die sie brauchen, die sie aber allein nicht garantieren können – weder als Einzelstaaten noch als Europäische Union. Als ökonomische Weltmächte haben sie den ganzen Globus für ihre Unternehmen und ihr Wachstum eingespannt. Sie sind damit abhängig von der Weltmacht Nummer Eins und integraler Teil des US-Systems. Die Bundesregierung wird daher voraussichtlich die Fregatte »Hessen« in Richtung Rotes Meer schicken.

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