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Rechtsruck in Deutschland: Zeit für breite Bündnisse
Thomas Goes über ein Erstarken der extremen Rechte in der Bundesrepublik
Manchmal stockt mir der Atem. Ich lese, dass 37 Prozent der Ostdeutschen meinen, unser Land sei in einem gefährlichen Maße überfremdet. Im Westen sind es 23 Prozent. Ich lese, wie CDU-Chef Friedrich Merz brachial Stimmung gegen den äußeren Feind macht, der es ins Innere geschafft hat: gegen Geflüchtete, die angeblich Zahnersatzleistungen erschleichen. Ich lese, dass AfDler und andere Rechte Pläne aushecken für die Deportation unserer Mitbürger*innen. Ich erinnere mich an rechtsradikale Netzwerke in Verwaltung, in Polizei und Armee. Aber ich lese auch, wie die Ampel-Regierung Schützenhilfe leistet, indem sie enttäuscht, indem sie Hoffnungen zerstört, indem sie bei ihrer Politik Hand in Hand mit den Konzernen sich gegen die Schwächsten wendet. Die Uhr tickt.
Wir stecken mitten in einem Faschisierungsprozess. Eine große Minderheit der Menschen hat sich tief von der herrschenden politischen Elite entfremdet. Der Nationalismus wird von der demokratischen Rechten, von der Mitte und dem neuen Lechtsrinks befeuert – unser Standort und unser Wohlstand, der gegen Geflüchtete verteidigt werden muss. In nennenswerten Teilen der Bevölkerung ist er im Alltagsbewusstsein verankert. Die faschistische Rechte greift auf, spitzt zu. Ihre Parolen von der Nation, die vor dem großen Austausch zu schützen ist, können wie Brandbomben wirken, weil es bereits knistert. Gewaltbereitschaft zeigt sich am Rande von Demonstrationen, in Galgenbildern. Sie zeigt sich auch in den Brandanschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte und Wohnungen von Migrant*innen.
Thomas Goes ist Mitglied im Landesvorstand der Linken in Niedersachsen und lebt als Soziologe in Göttingen.
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Wir haben also keine Zeit zu verlieren. Wir brauchen einen republikanischen Antifaschismus, der breite Bündnisse schmiedet, der auch um Teile der Christdemokratie und der Liberalen ringt, der gemeinsam mit ihnen die Republik verteidigt, die uns als Sozialist*innen nicht genügt. Er muss die Demokratie verteidigen, unsere Bürger*innen, die eine Einwanderungsgeschichte haben, zugleich die Vielfalt unserer Lebensweisen, die Errungenschaften unserer Bewegungen, des Feminismus, der Gewerkschaftsbewegung, der LGBTQ-Bewegung, die die Rechten so hassen.
Wir sollten diesen republikanischen Antifaschismus mit Leben füllen, aber er allein wird nicht reichen, um den Faschismus zu schlagen. Der Faschismus nährt sich aus Verzweiflung. Deshalb müssen wir zugleich eine antifaschistische Bewegung aufbauen: für bessere Löhne und anständige Renten, für einen wirksamen Klimaschutz in sozialer Verantwortung, für eine humane Asyl- und Einwanderungspolitik, gegen Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus, für die gründliche Verfolgung rechter Verschwörer*innen in Verwaltung, in Polizei und Armee. Es geht auch darum die öffentliche Auseinandersetzung zu verschieben – hin zum Kampf um dringend nötige Reformen.
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Wir werden den Faschismus schlagen, wenn wir ein politisches Projekt erfinden, das Hoffnung macht. Entstehen kann es im gemeinsamen Kampf, aus dem sozialen Antifaschismus. Wir müssen gegen die AfD kämpfen. Am besten, indem wir gleichzeitig gemeinsam für eine wirkliche soziale und ökologische Republik organisieren, in unseren Gewerkschaften, in unseren Städten und Dörfern, in den Schulen und Universitäten, im Kleingartenverein und im Betrieb.
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