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Geschäft mit der Bildung in Vietnam
Aufgrund hoher Gebühren wächst die Ungleichheit beim Studieren
Hätte Spring ein anderes Studienfach gewählt und wäre sie zehn Jahre früher zur Welt gekommen, könnte sie jetzt ein relativ ruhiges Leben führen. »Ich arbeite bis zu 35 Stunden pro Woche«, sagt die Studierende der Internationalen Beziehungen. Sie muss nicht nur täglich für Prüfungen pauken und an Seminararbeiten schreiben, sondern sich die Teilnahme daran erst verdienen: mit Jobs als Nachhilfelehrerin für Englisch und in einem Café. »In Vietnam ist das heute so«, sagt sie achselzuckend. »Studieren kostet hier viel Geld.«
Für ein Land, das seit einem halben Jahrhundert von der Kommunistischen Partei (KP) regiert wird, klingt das überraschend. Aber im südostasiatischen Vietnam muss für das Studium bezahlt werden – der Bildungssektor wird zu einem großen, freien Markt. Für Studierende wird das junge Erwachsenenalter damit ähnlich stressig wie jenes in kapitalistischen Ländern wie den USA, wo junge Leute nach der Uni mit hohen Schulden ins Berufsleben starten.
Spring zählt auf: »Im Café kriegt man umgerechnet einen Euro pro Stunde. Für Nachhilfe sind es immerhin fünf Euro. Aber das Geld reicht damit noch lange nicht aus.« Die 21-Jährige aus Ho-Chi-Minh-Stadt, der größten Metropole des Landes, wird von ihrer Familie unterstützt, »sonst könnte ich mir das Studium niemals leisten«. Die Entwicklung erzeugt zudem Leistungsdruck: »Wenn man gute Noten hat, kann man bei den Studiengebühren einen Rabatt von zehn Prozent kriegen«, sagt Spring. Dies sei aber nicht genug für diejenigen, die es am nötigsten hätten: »Wer aus ärmerem Hause kommt, kann sich das Studieren auch dann nicht leisten.«
60 Millionen Vietnamesische Dong muss Spring pro Jahr zahlen – gut 2300 Euro. Das ist nicht nur sehr viel Geld für ein Land, in dem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf rund 3700 Euro beträgt. Bis vor Kurzem dienten die hohen Gebühren auch als Anreiz, sich für das kostenlose Fach Marxismus zu entscheiden, doch auch dieses Studium kostet inzwischen. »Das machen eher diejenigen, die für die Regierung arbeiten wollen«, sagt Spring. Sie selbst aber wolle nicht Politik machen, sondern Business.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Dies entspricht dem Zeitgeist. Nach dem Ende des Vietnamkrieges 1975 kontrollierte der Staat die Wirtschaft für rund zehn Jahre. Danach begann die KP eine Liberalisierungspolitik, die Privatbesitz an Produktionsmitteln und die Umsetzung unternehmerischer Ideen erlaubte. Seither hat sich die Ungleichheit vergrößert, während die Wirtschaft rasant wächst: Das BIP hat sich seit Mitte der 1970er Jahre verfünfzigfacht.
Auch das Geschäft mit Bildung, das dem Nachwuchs ein Leben in Wohlstand verspricht, boomt seit Jahren. Nur geht dies mit einem Rückzug des Staates einher, wie Dung Ngoc Duong, Philosophieprofessor an der Hoa-Sen-Universität in Ho-Chi-Minh-Stadt, berichtet. Das Prinzip, dass Bildung vom Staat finanziert wird, scheine in Vergessenheit zu geraten. »Selbst Marx studieren kostet jetzt 16 Millionen Dong«, was 600 Euro entspricht.
Wobei dieses Fach schon länger nicht besonders populär ist. Bereits Mitte des vergangenen Jahrzehnts zählten Professoren in ihren Vorlesungen über die Theorien von Marx und die Umsetzungen Lenins kaum noch Studierende. Auch das Interesse an Nationalheld Ho Chi Minh, der Vietnams Kommunisten zum Sieg gegen die USA führte, hat nachgelassen. »Heute dreht sich viel ums Geldverdienen«, bemerkt Dung Ngoc Duong. Fragen der Verteilung gelten zusehends als intellektuelle Anstrengung.
Dass sich der Staat aus dem Bildungssektor weiter zurückzieht, hat nicht zuletzt mit der Pandemie zu tun, in der die Regierung mehr Geld für Gesundheit ausgeben musste. Hochschulen werden immer abhängiger von Einnahmen durch Studiengebühren. Einige finden, zu abhängig: »Studiengebühren machen die Mehrheit der Einnahmen der Universitäten aus. Dies steht im krassen Widerspruch zu Universitäten anderswo in der Welt, wo öffentliche Budgets die größte Rolle spielen«, schrieb die Zeitung »VN Express« im vergangenen August. Zwar kritisierte sie die Streichungen im Bildungsetat nicht direkt, aber der Artikel ließ nicht unerwähnt, dass die öffentlichen Ausgaben für Bildung im internationalen Vergleich niedrig sind. Außerdem wurde Tran Xuan Nhi, Vizepräsident der Vereinigung von Universitäten und Hochschulen in Vietnam, mit den Worten zitiert: »Universitäten müssen höhere Gebühren verlangen, um zu überleben, obwohl sie wissen, dass dies nicht zum Lebensstandard vieler Menschen passt.« Dies sorge auch für Bildungsungleichheit, erschwere den Zugang zu guter Bildung und behindere die ökonomische Entwicklung.
Auch das für Schwellenländer typische Problem, dass junge Menschen zum Studieren ins Ausland ziehen und dann nicht mehr zurückkommen, kennt man in Vietnam. Oder dass Fachkräfte dorthin abwandern, wo mehr zu verdienen ist.
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