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Argentiniens Kongress muckt auf
Präsident Milei wird mit seinen Gesetzesvorhaben von Parlament und Senat vorerst ausgebremst
Javier Milei lebt in einem veritablen Paralleluniversum. Er sieht überall Sozialist*innen und sortiert sie ebenso wie Christ- oder Sozialdemokraten, Nazis oder Kommunisten in die Schublade »Kollektivisten« ein. Für ihn sind das all jene, die dem Staat wichtige Funktionen zuschreiben. Mit so einer Haltung kann man gegen eine unpopuläre Regierung Wahlen gewinnen, das hat Milei eindrucksvoll demonstriert. Aber so Mehrheiten im Kongress zu gewinnen, dürfte sehr schwierig werden. Und mit nur 38 Abgeordneten für seine Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) in einer Abgeordnetenkammer von 257 Sitzen und sieben Sitzen in einem Senat von 72 Sitzen ist Milei dringlich auf Unterstützung angewiesen. Nirgends zeigt sich das derzeit so deutlich wie im argentinischen Parlament, wo heftig um die Bestimmungen des Notstandsdekrets und vor allem des Megagesetzes vom Dezember gerungen wird. Milei wollte bis Ende Januar Mehrheiten für seine Projekte organisieren. Da das absehbar nicht klappt, hat er am Freitag ein Dekret unterzeichnet, mit dem die Sondersitzungen des Kongresses bis zum 15. Februar verlängert werden.
Kahlschlagspolitik trifft auf Widerstand
Peronist*innen und die trotzkistische Linke lehnen seine Vorhaben rundweg ab. Deswegen zielt Milei bei seinen Überzeugungsversuchen auf die heterogene »dialogbereite« Opposition im rechten Lager und im Zentrum. Dissident*innen der rechten Pro-Partei von Ex-Staatschef Mauricio Macri (2015-19), die zuletzt mit ihr verbündeten liberalen Radikalen, schließlich die Provinzperonisten, die sich mit der mächtigen Cristina Fernández de Kirchner (Präsidentin 2007-15 und Vizepräsidentin 2019-23) überworfen haben, trugen im November zum Erdrutschsieg Mileis in der Stichwahl gegen den Peronisten Sergio Massa bei. Mileis potenzielle Bündnispartner wären mit einer gemäßigten Deregulierung des Staatsapparates und einer deutlichen Liberalisierung der Wirtschaft einverstanden, nicht aber mit der Kahlschlagspolitik des Präsidenten. Milei, für den Peronist*innen und Gewerkschaften »in der Vergangenheit, in der Dekadenz« verharren wollen, verfolgt die Sondersitzungen im Abgeordnetenhaus, mit wachsender Ungeduld.
Milei muss erste Konzessionen machen
Am Montag legte die Regierung einen neuen Kompromissvorschlag vor. Immerhin 141 der 664 Bestimmungen des Mega-Gesetzes sind jetzt verschwunden und sollen ab März auf die normale Tagesordnung kommen. Gerungen wird vor allem über Geld: Rentner*innen drohen bis April reale Einbußen von 41 Prozent, wenn es nach der Regierung geht. Sie will auch das Agrobusiness mit höheren Exportabgaben belasten, die in den Bundeshaushalt fließen sollen, wogegen sich mächtige Gouverneure und ihre Gefolgsleute im Kongress wehren. Die geplanten Steuererhöhungen für die Mittelschicht würden hingegen auch den Provinzen zugutekommen.
Was entscheidend zur Abwahl der Peronist*innen beigetragen hat, nämlich ihre chronische Zerstrittenheit, könnte auch dem breiten Spektrum der rechten Kräfte zum Verhängnis werden. Sollte Javier Milei früher oder später an seiner selbst gestellten Aufgabe scheitern, würde Mauricio Macri wieder gerne eine größere Rolle spielen – aber der ist selbst im eigenen Lager so unbeliebt, dass ihn ein Parteifreund schon mal auf einen hohen FIFA-Posten wegloben wollte. Größere Chancen darf sich hingegen Vize- und Senatspräsidentin Victoria Villarruel ausrechnen. Die smarte Rechtsauslegerin aus einer Familie von Militärs, die gerne und systematisch die Verbrechen der Diktatur (1976-83) relativiert, legt im Senat jenes Verhandlungsgeschick an der Tag, das Milei abgeht. Stolz twitterte sie neulich einen Verweis auf ein Portrait von sich in der »Financial Times«, das in einem bedeutungsschwangeren Zitat eines Diplomaten gipfelte: »Man muss sie genau beobachten. Sie ist zu allem bereit«.
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