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Steuerfreibetrag für Kinder: Wer hat, dem wird gegeben
Deike Janssen über einen Vorstoß aus dem Bundesfinanzministerium
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will den Steuerfreibetrag für Kinder erhöhen – aber nicht das Kindergeld. Davon profitieren Familien ab einem Jahreseinkommen von etwa 110 000 Euro. Das illustriert, wie Familienpolitik in Deutschland funktioniert: »Wer hat, dem wird gegeben.«
Welche Kinder in Deutschland gefördert werden und welche explizit nicht, hängt von der Einkommenssituation der Eltern ab. Das aktuelle System der Familienförderung regelt sich je nach Erwerbs- und Aufenthaltssituation von Eltern höchst komplex und ungleich im Sozial-, Steuer- und Unterhaltsrecht und im Asylbewerberleistungsgesetz. In diesen Gesetzen ist je nach Einkommen und Aufenthaltsstatus ein extrem ungleiches Existenzminimum für Kinder und Jugendliche festgelegt worden.
Das höchste Existenzminimum besteht dort, wo Eltern hohe Einkommen erzielen – im Steuerrecht. Der Kinderfreibetrag im Steuerrecht wurde bereits zum Jahresanfang angehoben und soll nun nach den Plänen des Ministeriums rückwirkend auf 6612 Euro steigen, zuzüglich eines Freibetrags für Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf von 2928 Euro. Gut- und Spitzenverdiener*innen können dann pro Monat einen Betrag von bis zu 795 Euro einsparen, während das Kindergeld bei 250 Euro bleibt.
Deike Janssen ist Sozialarbeiterin bei der Arbeiterwohlfahrt und aktiv in der Partei Die Linke.
Bürgergeldbeziehende Familien und Familien im Asylverfahren bekommen faktisch kein Kindergeld. Aber auch in den Regelsätzen im Bürgergeld und im Asylbewerberleistungsgesetz zeigen sich willkürlich erscheinende Abstufungen – während der Regelsatz für Kinder im Bürgergeldbezug je nach Alter zwischen 357 und 471 Euro im Monat liegt, erhalten Kinder von Familien in Asylverfahren oder Duldung zwischen 312 und 408 Euro. Dort erhält die untere Mitte der Gesellschaft bisher die »schlechteste« Förderung.
Das Problem ist dabei nicht, dass das Kindergeld nicht erhöht wird, sondern dass es überhaupt unterschiedliche Existenzminima für Kinder gibt. Während Gut- und Spitzenverdienende gezielt durch einkommensabhängiges Elterngeld und Steuervorteile dazu animiert werden, Kinder groß zu ziehen, werden ärmere Familien und Familien im Asylverfahren oder in Duldung quasi finanziell davon abgeschreckt.
Das aktuell vorgeschlagene Konzept der Kindergrundsicherung ändert das selektive und ungleiche Prinzip der Familienförderung nicht substanziell, da das Steuerrecht nicht angetastet wird. Es ist kaum mehr als eine kostspielige Verwaltungsreform. Nicht nur das: Sie bedeutet de facto auch eine Verschlechterung der Leistungen für Familien mit Kindern, die im Asylbewerberleistungsgesetz verortet sind. Für sie würde der Kinderzuschlag von 20 Euro im Monat wegfallen. Kinder von Familien, die sich in einem Asylverfahren befinden oder geduldet sind – also etwa 135 000 Kinder in Deutschland –, werden von der Kindergrundsicherung ausgeschlossen.
An der ungleichen Struktur der Familienförderung je nach Einkommen und Staatsbürgerschaft erkennt man die zwei Gesichter, die das System der Familienförderung innehat: Sie ist nach oben liberal und nach unten paternalistisch, fürsorglich gegenüber den Reichen und sparsam und sanktionierend gegenüber den Armen, Migrant*innen, Geflüchteten und Arbeitslosen. Das ist Klassenkampf von und Umverteilung nach oben.
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