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Streik der GDL: Der Kampf um den Arbeitskampf

Lokführer-Ausstand – über Versuche, das Streikrecht von Berufsgewerkschaften wie der GDL zu beschneiden

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 7 Min.
Hauptbahnhof München am Freitag: Es herrscht Ruhe am Bahnsteig.
Hauptbahnhof München am Freitag: Es herrscht Ruhe am Bahnsteig.

Lokführer streiken, Passagiere müssen umplanen, der Deutschen Bahn entgehen Einnahmen – und Politiker und Unternehmen fordern mal wieder, das Streikrecht einzuschränken. Dabei gilt längst das Tarifeinheits-Gesetz, das genau dies bezweckt hat: Arbeitskämpfe von Berufsgewerkschaften zu beschränken. Doch es wirkt anders als von seinen Befürwortern gedacht. Nun will das Bahn-Management die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) auf anderem Weg entmachten. Die GDL habe mit der Gründung einer Leiharbeits-Genossenschaft ihre Tariffähigkeit verloren, argumentiert die Bahn und ist vor Gericht gezogen. Bekommt sie Recht, dürfte die GDL womöglich gar nicht mehr streiken. Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler schätzt die Genossenschaft jedoch vollkommen anders ein als die Bahn.

Mitte Januar streikten Lokführer drei Tage, nun wollen sie sechs Tage die Arbeit niederlegen, bis Montagabend. Die GDL fordert insbesondere höhere Löhne und die 35-Stunden-Woche für Schichtarbeiter. Das missfällt CDU-Chef Friedrich Merz: Es sei nicht akzeptabel, »dass eine Spartengewerkschaft wie die GDL ein Unternehmen wie die Deutsche Bahn lahmlegt«, darum solle eine Gesetzesänderung geprüft werden. Seine Parteikollegin Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, wurde konkreter und erneuerte ihre Forderung, das Streikrecht in Unternehmen der »kritischen Infrastruktur« einzuschränken, etwa durch eine verpflichtende Schlichtung. Das will auch der Arbeitgeberverband Niedersachsenmetall.

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Es geht ihnen also nicht nur um die GDL, deren Ausstand laut einer Umfrage relativ unbeliebt ist: Zur kritischen Infrastruktur gehören Unternehmen in vielen Sektoren wie Energie, Telekommunikation, Verkehr, Gesundheit, Wasser und Ernährung. Die Rechte aller dort Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften würden beschnitten. Merz nutzt die Gelegenheit überdies, um kürzere Arbeitszeiten, die sich viele Beschäftigte wünschen, als schädlich fürs »Land« abzukanzeln. Im Grunde sagt er damit: Was »das Land« braucht, widerspricht den Belangen der Leute.

Das Tarifeinheits-Gesetz von 2015 soll Streiks eindämmen ...

Eine Gesetzesänderung, die sich gegen Berufsgewerkschaften wie die GDL richtet, gibt es indes längst. 2015 beschloss der Bundestag nach jahrelangem Drängen der Arbeitgebervereinigung BDA mit den Stimmen von CDU und SPD das Tarifeinheits-Gesetz, um den Einfluss und die Streikfähigkeit von kleineren Berufsgewerkschaften wie GDL, Marburger Bund und Cockpit zu beschneiden. »Dass einige Spartengewerkschaften für ihre Partikularinteressen vitale Funktionen unseres gesamten Landes lahmlegen, ist nicht in Ordnung«, begründete die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ihren Gesetzesvorstoß. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lobbyierte zunächst zusammen mit der BDA für das Gesetz. Denn es richtete sich gegen Gewerkschaften, die nicht dem DGB angehören. Später zog er sich nach internem Protest zurück.

Im Kern sieht das Tarifeinheits-Gesetz Folgendes vor: Wenn es in einem Betrieb zwei unterschiedliche Tarifverträge gibt, gilt nur der Vertrag derjenigen Gewerkschaft, die im Betrieb mehr Mitglieder hat. Das Streikrecht wurde damit nicht direkt beschnitten – selbst die BDA hielt das für nicht durchsetzbar. Faktisch ging es aber genau darum. Der erhoffte Hebel: Eine Gewerkschaft wie die GDL darf künftig nur noch in Betrieben streiken, in denen sie eine Mehrheit hat. Denn in anderen Betrieben kann sie sowieso nichts ausrichten, weil ihre Tarifverträge dort nicht gelten. Ein Arbeitskampf würde daher als unzulässig qualifiziert.

Bei der Deutschen Bahn (DB) gelten derzeit in 18 von 300 sogenannten Wahlbetrieben GDL-Tarifverträge, weil die Gewerkschaft nach Auffassung des Unternehmens dort mehr Mitglieder hat als die konkurrierende EVG. Wenn sie nur dort Beschäftigte zum Ausstand aufrufen dürfte, wie durch das Gesetz intendiert, wären bundesweite Streiks mit massiven Auswirkungen wie der aktuelle unmöglich.

Doch Streiken ist faktisch ein Grundrecht, das nicht so einfach beschränkt werden kann, auch nicht durch die Hintertür. Und so stellte das Bundesverfassungsgericht 2017 klar: Gewerkschaften wie die GDL dürfen auch in Betrieben zum Streik aufrufen, in denen sie in der Minderheit sind.

... doch das Gesetz hat bei der Bahn Konflikte verschärft

Im Ergebnis »hat das Gesetz bei der Bahn dazu geführt, dass sich die Auseinandersetzungen verschärft haben«, sagt der renommierte Arbeitsrechtsprofessor Wolfgang Däubler – und damit das Gegenteil dessen bewirkt, was es bezweckt hat. Ein Grund: Die Bahn hat darauf bestanden zu eruieren, wo die GDL und wo die EVG die Mehrheit hat und nur die jeweiligen Tarifverträge angewendet werden. Das führt dazu, dass viele GDL-Mitglieder in der Minderheit bleiben und deshalb die GDL-Tarife für sie nicht gelten – das schafft Empörung.

Wobei es auch anders geht: In Kliniken vertritt der Marburger Bund Ärzte, Verdi vereinbart Tarifverträge für alle Beschäftigten. Beide haben abgemacht, dass sie sich nicht ins Gehege kommen. Konkret haben sie sich verpflichtet, nicht feststellen zu lassen, wer in welchem Betrieb die Mehrheit hat. In Tarifverträgen verpflichten sie auch die Arbeitgeber, dies zu unterlassen. So gelten für Marburger-Bund-Mitglieder die Tarifverträge ihrer Gewerkschaft, egal, in welchem Krankenhaus sie arbeiten.

Groteske Wirkungen

Das Vorgehen der Bahn habe teils groteske Wirkungen, sagt Däubler »nd.DieWoche« und nennt ein Beispiel: Ein Tarifvertrag zwischen GDL und Bahn hat die gemeinsame Einrichtung »Fairnessplan« geschaffen. Ihre Satzung sieht vor, jährlich an bis zu fünf GDL-Mitglieder einen Fairness-Preis zu verleihen, für gutes Verhalten in der Arbeit wie in ehrenamtlichen Tätigkeiten. Däubler ist einer der Schirmherren, die die Preisträger aussuchen. Nun habe die Bahn der gemeinsamen Einrichtung per Gerichtsbeschluss untersagen lassen, dass GDL-Mitglieder den Preis bekommen können, die in einem EVG-dominierten Betrieb tätig sind. Denn für sie gelten ja die GDL-Tarifverträge nicht. »Das ist nichts anderes als schlichte Schikane«, urteilt Däubler, da solle der GDL jede Handlungsmöglichkeit genommen werden.

Eine größere Auseinandersetzung steht noch bevor: Die GDL hat die Genossenschaft Fair Train gegründet, die Lokführer als Zeitarbeiter an Bahnunternehmen ausleihen will. Die Deutsche Bahn geht nun davon aus, dass die Gewerkschaft durch die Genossenschaftsgründung ihre Tariffähigkeit verloren hat. Beim hessischen Landesarbeitsgericht hat sie im Januar deshalb eine Feststellungsklage eingereicht. »Wird die Auffassung der DB vom Gericht bestätigt, dann kann die GDL keine wirksamen Tarifverträge mehr schließen«, heißt es in einer DB-Mitteilung. Die GDL dürfe dann auch nicht mehr streiken, weil das legitime Streikziel, nämlich der Abschluss eines Tarifvertrags, nicht umsetzbar wäre. Die Bahn begründet ihre Position unter anderem damit, dass die Gewerkschaft nun gleichzeitig als Arbeitgeber auftrete.

Leiharbeiter-Genossenschaft: »eine interessante Idee«

Für den Arbeitsrechtler Däubler ist es hingegen »völlig eindeutig, dass die Genossenschaft die Tariffähigkeit der GDL und damit ihr Streikrecht nicht gefährdet«. Auch andere Gewerkschaften hätten Unternehmen gegründet, früher habe es den großen gemeinwirtschaftlichen Sektor gegeben und »kein Mensch sagte, dass sie deswegen nicht mehr tariffähig sind«, betont Däubler, der häufig Gewerkschaften juristisch berät. Auch sei die Genossenschaft so konstruiert, dass sie ihrerseits einen eigenen Willen bilde und deshalb nicht von der GDL abhängig sei. Sie könne also mit dieser auch Tarifverträge schließen.

Generell sei die Genossenschafts-Idee sehr interessant. »Das ist ein Weg, wie die GDL bessere Arbeitsbedingungen für Lokführer erreichen kann.« Vor allem für jüngere Beschäftigte, die noch keine großen sozialen Absicherungen bei der Bahn haben, sei die Geno eine gute Alternative, so Däubler.

Das Vorhaben knüpfe an eine uralte Idee an, die aus Mexiko stammt: »Verkauft wird die Arbeitskraft eines Kollektivs. Man kann zum Beispiel von Bahn-Unternehmen für 100 Lokführer einen bestimmten Gesamtbetrag und bestimmte Arbeitsbedingungen wie zum Beispiel eine wöchentliche Freizeit von 48 Stunden verlangen. Mit dem Betrag werden die Löhne bezahlt, und das genossenschaftliche Kollektiv bestimmt, wie die verbleibenden Gewinne verteilt werden.«

Romano Geppert schildert hier seinen Arbeitsalltag als Lokführer

Und wie schätzt Däubler die Forderungen ein, das Streikrecht einzuschränken? »Ich kann mir schwer vorstellen, dass es dazu kommt. Nicht zuletzt, weil die Regierungskoalition derzeit wenig handlungsfähig ist«, sagt er. »Auch taucht diese Forderung bei jedem Eisenbahnerstreik auf, doch sind wir auch ohne gesetzliche Regelung immer ganz gut zu einem Ergebnis gekommen« meint Däubler. Im Grunde wolle man nur das Streikrecht runtermachen – es solle kein wirkliches Grundrecht mehr sein, sondern eine lästige Störung.

Doppelte Schlappe für die Bahn?

Bleibt festzuhalten: Das Tarifeinheits-Gesetz wirkt nicht wie gewünscht. Wenn Däubler mit seiner Einschätzung Recht behält, könnte nun noch eine doppelte Schlappe auf die Bahn zukommen: Beim Arbeitskampf und bei den Arbeitsbedingungen, die die Genossenschaft verlangt. Statt Boni zu kassieren, hätten sich die Bahn-Oberen Gedanken machen müssen, wie man zu einem vernünftigen Verhältnis mit der GDL kommt, meint er. »Nun könnten am Ende sogar Vorstandsstühle wackeln.«

GDL-Forderungen und Abschlüsse

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat bereits im Juni 2023 ihre Tarifforderungen für Bahn-Beschäftigte bekanntgegeben, und zwar nicht nur fürs Zugpersonal, sondern auch für Beschäftigte beim Netzbetrieb, der Netzinstandhaltung und der Fahrzeuginstandhaltung. Ihre zentralen Forderungen:

Die Entgelte sollen um 555 Euro pro Monat steigen. Auszubildende sollen eine höhere Vergütung erhalten und Zulagen für Schichtarbeiter steigen. Außerdem sollen Beschäftigte eine Einmalzahlung (steuerfreie Inflationsausgleichsprämie) von 3000 Euro erhalten.

Die Arbeitszeit für Schichtarbeiter soll von 38 auf 35 Stunden pro Woche sinken, ohne anteilige Lohnsenkung. Außerdem fordert die GDL eine Fünf-Schichten-Woche.

Der Arbeitgeberanteil für die betriebliche Altersvorsorge soll fünf Prozent betragen.

Der Tarifvertrag soll über zwölf Monate laufen.

Mit 18 Unternehmen hat die GDL nach eigenen Angaben bis 19. Januar Tarifverträge abgeschlossen, zum Beispiel mit Netinera. Die Vereinbarung sieht vor, dass die Arbeitszeit bis Januar 2028 schrittweise von derzeit 38 auf 35 Wochenstunden reduziert wird, und zwar für Beschäftigte, die in Schicht arbeiten. Die Entgelte sollen im März und Dezember dieses Jahres jeweils um 210 Euro steigen, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. Außerdem ist eine Einmalzahlung (Inflationsausgleichsprämie) in Höhe von 3000 Euro vorgesehen. Die Ostdeutsche Eisenbahn (Odeg) gehört zu 50 Prozent zu Netinera.

Der Konflikt mit der Deutschen Bahn dauert indes an. Seit Dienstagabend streiken dort Lokführer im Güterverkehr, seit Mittwochfrüh im Personenverkehr. Der Ausstand ist bis Montagabend geplant.

Ein »Nachverhandlungsrecht« wurde laut GDL vor rund zehn Jahren in Tarifverträgen bei »Wettbewerbsbahnen« vereinbart. Ein Sprecher erläutert die Klausel so: Sollte die GDL bei einem anderen Unternehmen in der Tarifrunde 2023/24 nicht die gleichen Absenkungsschritte wie bei Netinera oder Go-Ahead durchsetzen, müsse die GDL Netinera und Go-Ahead darüber informieren und anbieten, über die Absenkung der Arbeitszeit neu zu verhandeln. rt

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