Ausgeklebt: Nächstes Ziel Massenprotest

Die Letzte Generation verkündet einen Strategiewechsel, hin zu niedrigschwelligeren Aktionen. Das Festkleben am Asphalt habe viele abgeschreckt

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Letzte Generation verabschiedet sich von dem, was in den vergangenen zwei Jahren zum Alleinstellungsmerkmal der Klimagruppe wurde: dem Sekundenkleber. Hunderte von Straßenblockaden verlängerten die Aktivist*innen, indem sie ihre Hände am Asphalt festklebten, sodass sie von der Polizei aufwendig abgelöst werden mussten. »Die Strategie hat ihren Zweck erfüllt«, sagt Theo Schnarr, Sprecher der Gruppe, zu »nd«.

Obwohl oder gerade weil die Regierenden sich gegen »eine menschengerechte Politik« entschieden hätten und lieber dafür, diejenigen zu kriminalisieren, die für Klimaschutz protestierten. Die Letzte Generation habe derweil immer mehr Unterstützer*innen bekommen, deutschlandweit liege die Anzahl nun im mittleren vierstelligen Bereich, schätzt Schnarr. Es gebe jedoch viele Menschen, die das Anliegen zwar gut fänden, sich aber selbst nicht vorstellen könnten, auf der Straße zu kleben. Die wolle man nun mit einer neuen Strategie zum Mitmachen bewegen, sie gemeinsam als eine »kritische Masse«, die für politische Veränderungen notwendig sei, auf die Straße bringen.

Anstelle der Klebe-Blockaden in Kleingruppen soll es ab März deutschlandweit ungehorsame Massenproteste geben, nach dem Vorbild von Extinction Rebellion (XR) in den Niederlanden: Mit einer wochenlangen Autobahnbesetzung gelang es den Aktivist*innen dort, ihre Forderung nach dem Ausstieg aus fossilen Subventionen ins niederländische Parlament zu bringen. Ähnliches hat die Letzte Generation bereits mit einer großen Blockade der Straße des 17. Juni in Berlin versucht. Es sei »eine neue Ära unseres friedlichen, zivilen Widerstandes«, erklärt die Gruppe.

Noch ein Vorteil, den Massenproteste gegenüber den bisherigen Straßenblockaden haben: Es sind keine vergleichbaren rechtlichen Konsequenzen zu erwarten. Fürs Festkleben sind Aktivist*innen bereits zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt worden – auch das dürfte Sympathisant*innen abgeschreckt haben. Schnarr ärgert es, dass die jüngsten Blockaden durch Landwirt*innen auf so viel Zustimmung stießen, während er und seine Mitstreiter*innen immer wieder als Terrorist*innen bezeichnet und verurteilt wurden. Das könnte sich nun ändern.

Neben der neuen Hauptprotestform wird noch eine weitere angekündigt, die an die US-amerikanische Gruppe Climate Defiance angelehnt ist: Diese hat immer wieder öffentliche Auftritte von Politiker*innen oder Konzernchef*innen unterbrochen – ähnlich wie es die Letzte Generation vergangene Woche bei einem Vortrag von CDU-Chef Friedrich Merz auf der Grünen Woche mit Bannern und lauten Rufen getan hat. Der Protest von Climate Defiance habe mit dazu geführt, dass US-Präsident Joe Biden keine weiteren Terminals für Flüssigerdgas (LNG) genehmigte, sagt Schnarr. »Warum also nicht versuchen, was anderswo funktioniert?«

Weiterverfolgt werden soll zudem der Protest an »Orten der fossilen Zerstörung«, wie zum Beispiel an Erdgas-Pipelines oder Flughäfen. Verbunden werde mit den Aktionen ein Appell an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), »öffentlich und ehrlich über die Klimazerstörung und das notwendige Umsteuern zu sprechen«, heißt es in einer Mitteilung der Letzten Generation. Steinmeier sei hoch angesehen und als »neutrale Instanz der richtige Adressat für so einen Appell der Ehrlichkeit«. Die Details dieses Appells sollen in den kommenden Monaten in Form eines Briefes ausgearbeitet werden.

Die Letzte Generation beschreibt die Lage der Gesellschaft als »so dramatisch wie schon seit langem nicht mehr«. Nicht nur aufgrund der fortwährenden »Zerstörung unserer Lebensgrundlagen«, sondern auch wegen »menschenfeindlicher und faschistischer Kräfte«. Deshalb beteiligt sich die Gruppe am Samstag am Aktionstag gegen rechts des Bündnisses »Hand in Hand« in Berlin. Dafür muss zwar der ursprünglich geplante Massenprotest ausfallen, doch die Kämpfe für Klimagerechtigkeit und Demokratie seien keine zwei Optionen, beides gehöre zusammen, erklärt Schnarr. »Am Ende geht es um Gerechtigkeit.«

In den vergangenen Monaten hatte das Ausscheiden von zwei Gründungsmitgliedern der Letzten Generation aus dem Führungsteam der Gruppe für Aufsehen gesorgt. Henning Jeschke wolle im internationalen Bündnis weiterarbeiten, Lea Bonasera habe die Bewegung verlassen, bedauert Schnarr. Aber es seien andere Leute nachgerückt und Fluktuation in einer Bewegung nicht unüblich. Es komme darauf an, dass jeder Mensch seiner Verantwortung für gesellschaftlichen Wandel nachkomme.

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