Fluchthelfer in Gefahr

Die EU will neue Gesetze gegen »Schleuserkriminalität« beschließen

Im Dezember haben die EU-Staaten und das Parlament den »Asyl- und Migrationspakt« beschlossen, damit wird das Asylrecht in weiten Teilen eingeschränkt. Nun sollen auch die Helfer von Flüchtenden stärker verfolgt werden. Hierzu hat die EU-Kommission am 28. November ein Gesetzespaket zur »Bekämpfung des Menschenschmuggels« vorgelegt, das aus zwei Teilen besteht.

Mit einer neuen Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die Arbeit von Schleusern mit »speziellen Ermittlungsinstrumenten« zu überwachen. Außerdem soll der Strafrahmen in den EU-Staaten einheitlich hoch werden. Eine zusätzliche neue Verordnung soll Europol mehr operative und strategische Kompetenzen zur Verfolgung von »Schleusern« geben. Die EU-Polizeiagentur würde dann enger mit den 27 Mitgliedstaaten zusammenarbeiten. Besonders im Fokus der Behörde mit Sitz in Den Haag steht »in allen Phasen der Schleusung« die Nutzung digitaler Hilfsmittel, darunter auch Soziale Netzwerke zur Anbahnung von Diensten. Auch die verstärkte Kooperation mit Frontex ist vorgesehen, hierzu soll die Grenzagentur Stellen an Europol abgeben.

Die Kommission definiert die kriminelle Fluchthilfe als »Handlung, die im Streben nach Profit das menschliche Leben missachtet und Menschen ihrer Würde beraubt, dabei Grundrechte verletzt und die Ziele der EU im Bereich des Migrationsmanagements untergräbt«. Beschrieben ist damit ein Wirtschaftszweig, der durch die europäische Migrationspolitik überhaupt erst entstanden ist: Ohne hochgerüstete Grenzen müssten Geflüchtete keine Dritten dafür bezahlen, in die EU zu gelangen, um dort Schutz beantragen zu können.

Europawahl 2024

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Viele Menschen sterben bei dem Versuch, die EU-Außengrenzen zu überwinden. In ihrem Entwurf lastet die Kommission auch dies den Fluchthelfern an. »Aktivitäten skrupelloser Schleuser, insbesondere auf See« hätten seit 2014 »zum Tod von sage und schreibe über 28 000 Menschen geführt haben«, heißt es darin.

Dass Fluchthelfer mitunter brutal vorgehen und sich ihre Dienste oft teuer bezahlen lassen, kann nicht bestritten werden. Weltweit sollen sich ihre jährlichen Gewinne auf bis zu sechs Milliarden Euro belaufen, schreibt die Kommission. Die EU-Grenzagentur Frontex habe im Jahr 2022 Daten zu insgesamt 15 000 »Schleusern« gesammelt, heißt es im Begründungstext der beiden Dossiers. Ob es aber wie von der Kommission behauptet stimmt, dass diese »alles daransetzen, ihren eigenen Profit zu maximieren«, darf bezweifelt werden. Denn die Motivation, Menschen auf der Flucht zu helfen, ist vielfältig. Viele der Strafverfolgten sind selbst auf der Flucht und erhalten von ihren Helfern Vergünstigungen, etwa wenn sie auf einer Bootsfahrt den Motor bedienen.

Andere helfen auf See oder an Land Menschen in Not, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen. Auch diese Freiwilligen könnten mit den neuen EU-Gesetzen kriminalisiert werden: Laut der Richtlinie soll die Tat auch dann strafbar sein, wenn ein »schwerer Schaden« für die Geschleusten entsteht. Bestraft würde auch, wer »öffentlich, beispielsweise über das Internet« dazu »anstiftet«, ohne Genehmigung in die Union einzureisen, durchzureisen oder sich dort aufzuhalten. Eine solche »Anstiftung« wird schon jetzt vielen Hilfsorganisationen in Südeuropa und an der Grenze zu Belarus vorgeworfen.

Am Dienstag vergangener Woche hat die Kommission die beiden Vorschläge im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) vorgestellt. Viele Abgeordnete haben dabei Zweifel geäußert. So fordert etwa die Berichterstatterin Birgit Sippel, dass humanitäre Hilfe aus der Richtlinie ausgeklammert wird. Das neue Gesetz stellt sie aber nicht grundsätzlich infrage. »Wir wollen dem Menschenhandel und der Schleuserkriminalität ein Ende setzen und stattdessen sichere und legale Fluchtwege und mehr Möglichkeiten für legale Arbeitsmigration nach Europa schaffen«, sagte die Sozialdemokratin dem »nd«.

Auch der Grüne Erik Marquardt steht dem Paket nicht nur ablehnend gegenüber, kritisiert aber, dass Flucht und humanitäre Hilfe zunehmend kriminalisiert werden. Vor allem Rechte versuchten seit Jahren, freiwillige Helfer als Teil einer »Schleppermafia« zu diskreditieren. »Verwunderlich ist, dass auch viele demokratische Parteien diese Lesart zunehmend übernehmen«, antwortet Marquardt den »nd«.

»Die Kommission verfehlt in ihrem Vorschlag völlig die Komplexität irregulärer Migration«, sagt dazu die Linke-Europaabgeordnete Cornelia Ernst. Beide Dossiers hätten »direkte und indirekte Auswirkungen auf die Sicherheit und die Rechte von Menschen auf der Flucht«. Schon jetzt müssten viele Schutzsuchende, obwohl ihre Handlungen in den meisten Fällen ohne kriminelle Absicht oder unter Zwang ausgeführt würden, mit langer Untersuchungshaft und harten Strafverfahren rechnen. Derartige Strafverfahren, auch wenn sie nicht zu einer Verurteilung führten, könnten sich auch nachteilig auf Anträge auf Asyl oder einen anderen Aufenthaltstitel auswirken, erklärt Ernst dem »nd«.

Die angefragten Abgeordneten der Europäischen Volkspartei wollten die beiden vorgeschlagenen Dossiers gegenüber dem »nd« nicht kommentieren. Kritik aus der Perspektive von Menschenrechten ist von ihnen auch kaum zu erwarten. Im LIBE-Ausschuss hatte die Konservative Lena Dupont etwa verlangt, dass auch »Gewalt gegen Grenzschützer« in die Richtlinie aufgenommen werden müsse und mehr Verfolgung von »Schleppern« außerhalb der EU angemahnt. Ihr Parteikollege Jeroen Lenaers fordert mehr Personal und Ausrüstung für Europol und die Polizeien in den Mitgliedstaaten.

Die parlamentarische Arbeit in Brüssel und Straßburg wird bis zur Europawahl im Juni heruntergefahren, eine offizielle Befassung mit den beiden Dossiers ist also frühestens im Herbst zu erwarten. Schon im Juni wollen aber die Mitgliedstaaten ihre Verhandlungsposition festgezurrt haben. Die Verfolgung jeder Fluchthilfe könnte dann einer der ersten Rechtsakte werden, dem das neugewählte Parlament zustimmt. Dass die humanitäre Hilfe explizit ausgeklammert wird, ist beim derzeitigen Rechtsrutsch auch auf EU-Ebene kaum zu erwarten.

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