El Salvador: »Bukele hat alle Spielregeln geändert«

Sicherheitsexpertin Verónica Reyna über die Wahlen in El Salvador im Zeichen der Militarisierung

  • Lya Cuéllar
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl ist eine klar erhöhte Militärpräsenz zu spüren. Die Regierung hat bisher keine klare Erklärung dafür geliefert. Was soll dieser Einsatz erreichen?

In dieser Woche vor den Wahlen berichten die Menschen von einer verstärkten Präsenz von Soldaten. Das letzte Mal, dass so viel Militär auf den Straßen zu sehen war, war am 9. Februar 2020, als Nayib Bukele den Kongress besetzte. Die Verhaftungen haben zugenommen, die Sicherheitskräfte werden unter Druck gesetzt, mehr Menschen festzunehmen. Dies könnte ein Versuch sein, das Image der Erfolge im Kampf gegen die Banden weiter aufzupolieren. Es kann auch mit der Notwendigkeit zu tun haben, die Kontrolle über das Territorium für Einschüchterung und Überwachung zu haben.

Nayib Bukele liegt in allen Umfragen weit vorn. Glauben Sie, dass es eine Überraschung geben könnte?

Ich denke, er wird einen Erdrutschsieg erringen. Meine Hoffnung ist aber, dass viele Menschen ihre Unzufriedenheit trotzdem zeigen, indem sie entweder eine andere Partei wählen oder eine ungültige Stimme abgeben. Aber ich bin besorgt über das Ausmaß des Wahlbetrugs, der begangen werden kann.

Welcher Nutzen hat ein Wahlbetrug für einen so populären Politiker wie Bukele?

Es kommt darauf an, wie man Betrug definiert. Dies sind die irregulärsten Wahlen, die El Salvador je erlebt hat, weil Bukele alle Spielregeln geändert hat. Es wurden eine Reihe von Reformen am Wahlsystem vorgenommen, die eindeutig die Regierungspartei Nuevas Ideas (Neue Ideen) begünstigen; die salvadorianische Botschaft in den Vereinigten Staaten ermutigt die Menschen zur Stimmabgabe für Bukele; Nuevas Ideas nutzt staatliche Mittel für den Wahlkampf … Und das Hauptproblem: Ein verfassungswidriger Kandidat, der gar nicht mehr hätte antreten dürfen, wird gewinnen. Hat er es nötig, Wahlbetrug zu begehen? Ich weiß es nicht. Sie werden alles tun, um nicht nur zu gewinnen, sondern um einen überwältigenden Wahlsieg einzufahren.

Was würde der Sieg von Nayib Bukele für El Salvador bedeuten?

Wenn er wirklich einen überwältigenden Wahlsieg im Kongress erringt und ein hegemoniales Parteiensystem etabliert, und wenn er es wirklich schafft, den Krieg gegen die Banden zu gewinnen, verliert er zwei Feinde: die Opposition und die Gangs. Aber sein Diskurs ist einer des Feindaufbaus, weil er ein Held bleiben muss. Also, wer wird der nächste Feind des Volkes? Mutmaßlich der unabhängige Journalismus und die Menschenrechtsorganisationen.

Die Popularität von Bukele ist vor allem auf den seit zwei Jahren herrschenden Ausnahmezustand zurückzuführen. Aber Repression als einzige Sicherheitspolitik ist nicht neu; sie wurde von früheren Regierungen auch angewendet. Wie unterscheidet sich das »Bukele-Modell« von diesen Versuchen?

Bukele hat alle Strategien der Vorgängerregierungen wieder aufgegriffen: Schaffung neuer Straftatbestände, Erhöhung der Strafen, willkürliche Massenverhaftungen, Militarisierung der Sicherheit. All dies, ohne zu versuchen, die Gewalt zu verstehen oder sich den Opfern zu widmen. Früher gab es jedoch die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle der Exzesse, jetzt ist die Justiz abhängig. Bevor Bukele diese Offensive gegen die Banden startete, gelang es ihm, die absolute Macht der Institutionen in seiner Exekutive zu konzentrieren. Heute gibt es also keine unabhängige Generalstaatsanwaltschaft, keine unabhängigen Richter mehr. Ohne unabhängige Justiz gibt es keine Möglichkeit, ihm entgegenzuwirken. Wenn also aufgrund des Ausnahmezustands fast 76 000 Menschen im Gefängnis sitzen, dann nicht, weil die Regierung bei der Verbrechensbekämpfung effektiv war, sondern weil sie jeden festgenommen hat. Das, was von der Bevölkerung als Effektivität wahrgenommen wird, wird nur durch dieses Gefühl der ständigen Bedrohung erreicht.

Es sind »erst« 22 Jahre seit dem Friedensabkommen vergangen. Viele Menschen, die Bukele wählen, haben Militärdiktaturen erlebt. Warum ist die salvadorianische Gesellschaft trotzdem bereit, ihre junge Demokratie zu opfern und einen Staatsschef wie Bukele zu akzeptieren?

Der Präsident ist eine Karikatur, die den Erwartungen der Bevölkerung entspricht: der starke, beschützende Anführer, der Problemlöser. Kulturell entspricht er dem patriarchalischen System, der Logik des Alpha-Männchens. Es handelt sich um einen Führungsstil, der nicht argumentiert, sondern zu befehlen weiß. Für viele Salvadorianer*innen bedeutet eine funktionierende Demokratie einfach, dass die unmittelbaren Probleme gefühlt effektiv gelöst werden, ohne dass sich jemand in den Weg stellt. Ich kann es nachvollziehen: Wir unterhalten uns gerade über Demokratie nur, weil wir das Privileg und die Zeit haben, um über das Konzept überhaupt zu diskutieren. Aber die Mehrheit des Landes muss erst einmal überleben, und Nayib Bukele scheint ihnen sofortige Lösungen anzubieten. Ich kritisiere nicht sie, sondern denjenigen, der ihre Not und Schmerz ausnutzt, um an die Macht zu kommen und zu bleiben.

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