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Berlin: Wenig Bewegung bei Radwegen
Zwei Tote in drei Jahren: Die Kantstraße ist für Radfahrer ein gefährliches Pflaster
Am Abend des 7. Februar 2020 ergriff ein Auto auf der Kantstraße in Charlottenburg einen Radfahrer. Der Radfahrer, ein 64-jähriger Architekt, hatte an einer roten Ampel gewartet, der BMW näherte sich mit 74 Kilometer pro Stunde – erlaubt wären 30 gewesen. Der 34-jährige Raser musste einem vor ihm fahrenden Transporter ausweichen und fuhr auf die Radspur. Mit voller Geschwindigkeit traf er das Fahrrad, der Radfahrer wurde 37 Meter durch die Luft geschleudert. Er brach sich das Genick und starb noch am selben Tag im Krankenhaus.
Ins Gefängnis muss der Raser dafür nicht. Wie die Staatsanwaltschaft gegenüber »nd« mitteilte, wurde gegen ihn ein Strafbefehl erlassen: ein Jahr auf Bewährung, dazu ein Jahr und drei Monate Führerscheinentzug. Im Jahr 2025 dürfte er also wieder auf die Straße zurückkehren. Der Anklagepunkt der Straßenverkehrsgefährdung wurde fallengelassen. Eine öffentliche Verhandlung war zuvor insgesamt viermal gescheitert, unter anderem weil der Angeklagte sich mehrmals krank meldete.
»Manchmal kommt es einem vor, als würden solche Taten als Kavaliersdelikt behandelt werden«, sagt Karl Grünberg, Pressesprecher des Berliner Landesverbands des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Er beobachte immer wieder, dass das Strafmaß bei Unfällen, bei denen Radfahrer zu Schaden kommen, kaum genutzt wird. Die Angehörigen des verstorbenen Radfahrers, zu denen der ADFC Kontakt hält, ärgere besonders, dass dem Angeklagten ein öffentlicher Prozess erspart bleibt. »Die Witwe hätte sich gewünscht, dass sich der Angeklagte zumindest für seine Tat einmal öffentlich erklären muss«, so Grünberg.
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Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft erklärt gegenüber »nd«, dass ein Strafbefehl häufig verfahrensökonomischer sei als ein öffentlicher Prozess. Die Strafe sei das Höchstmaß dessen, was mit einem Strafbefehl verhängt werden könne. »Dass der Angeklagte bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, wird bei der Strafbemessung sicherlich eine Rolle gespielt haben«, heißt es weiter.
Der tödliche Unfall blieb nicht der einzige auf der stark befahrenen Kantstraße, die parallel zum Kurfürstendamm verläuft. Im Februar vergangenen Jahres starb ein weiterer Radfahrer, nachdem er mit einer plötzlich geöffneten Autotür kollidierte.
»Die Kantstraße ist für das dortige Verkehrsaukommen extrem eng«, sagt Grünberg. Zudem sei sie ein Hotspot der sogenannten Poserszene – also sendungsbewusster junger Autofahrer, die durch die Straßen jagen. Für Radfahrer sei sie deswegen ein gefährliches Pflaster.
Dabei existiert auf der Kantstraße bereits ein Radweg: Zwischen Budapester Straße und Wilmersdorfer Straße verläuft eine durch eine Reihe Parkplätze von der Autospur getrennte Radspur. Auf dem hinteren Streckenabschnitt richtete der Senat 2020 einen sogenannten Pop-up-Radweg ein. Im Sommer 2023 entschied die Verkehrsverwaltung unter Senatorin Manja Schreiner (CDU) allerdings, den Radverkehr künftig gemeinsam mit dem Busverkehr auf einer Straße zu führen – vorübergehend, wie es zunächst hieß. Für die Dauer der Bauarbeiten auf dem benachbarten Kaiserdamm sollten die auf die Kantstraße umgeleiteten Busse auch die Fahrradspur nutzen dürfen. Parallel wollte die Verkehrsverwaltung ein dauerhaftes Verkehrskonzept für die Straße entwickeln.
Passiert ist seitdem wenig. ADFC-Sprecher Grünberg stört nicht nur, dass die Radspur von Bussen belegt wird. Parallel zu der Radspur verläuft eine Reihe von Parkplätzen. »Es gibt permanent die Situation, dass Radfahrer schräg einparkenden Autos ausweichen müssen«, sagt Grünberg. Er fordert daher, die Parkplätze zu streichen und den Radweg mit Pollern abzugrenzen. »Die Straße ist schon so eng, müssen da dann auch noch Parkplätze sein?«, fragt er. Im Gedenken an die verstorbenen Radfahrer soll es am Mittwoch eine Fahrraddemo geben.
Gegenüber »nd« erklärt ein Sprecher der Senatsverkehrsverwaltung, dass die gemeinsame Rad- und Busspur noch bis April bestehen soll. »Hinsichtlich der grundsätzlichen dauerhaften Anordnung der Radverkehrsanlage ist unsere Verwaltung noch in der Klärung mit dem Bezirksamt und weiteren Beteiligten, insbesondere der Feuerwehr«, sagt er weiter. Eine finale Klärung gebe es aktuell noch nicht. Bei dem Unfall, bei dem ein Radfahrer mit einer Autotür kollidierte, handele es sich »um ein individuelles Fehlverhalten eines Verkehrsteilnehmenden, das mit keiner Maßnahme zur Verkehrssicherheit zu verhindern war«.
Auch an anderer Stelle gibt es wenig Fortschritte beim Ausbau des Fahrradnetzes. Gegenüber dem »Tagesspiegel« erklärte Verkehrssenatorin Schreiner am Montag, dass sie das Ziel von 100 Kilometern neuer Radwege, die die Radverkehrsplanung für das laufende Jahr vorsieht, für unrealistisch hält. »Diese starren Vorgaben nützen uns überhaupt nichts. Wir müssen uns ehrlich machen, das kriegen wir nicht hin«, sagte sie. Schreiner begründete, dass die Behörden zunächst eine verlässliche Datengrundlage bräuchten. Daher wolle sie auch keine Angaben dazu machen, wie viele Kilometer neuer Radwege für das laufende Jahr geplant seien.
»Wir fordern weiterhin 100 Kilometer für das laufende Jahr«, sagt ADFC-Sprecher Karl Grünberg. Bei vielen geplanten Radwegen stehe noch kein Baubeginn fest. »Wir hören da zu viele schwammige Aussagen und sehen zu wenige konkrete Taten«, so Grünberg.
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