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Türkische Wirtschaft auf schwankendem Boden
Die Türkei kämpft mit anderen ökonomischen Problemen als den Folgen des verheerenden Erdbebens
Ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben steht die Wirtschaft der Türkei weiterhin auf schwankendem Boden. Arbeitslosigkeit und Inflation sind hoch, die schwächelnde heimische Lira ist mittlerweile nur noch wenige Cent wert.
Nach dem verheerenden Erdbeben im Südosten des Landes und im Norden Syriens schätzten UN-Organisationen die Schäden allein in der Türkei auf bis zu 100 Milliarden Dollar. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan reagierte zunächst mit modernistisch anmutenden Aufbauplänen, vom Solarpark bis zum Neubau der historischen Altstadt von Antakya. Bislang lebte man in der Provinz Hatay, dem Epizentrum des Bebens, allerdings eher traditionell von Landwirtschaft, Schuh- und Möbelindustrie sowie dem Tourismus. Da die meisten Betriebsgebäude zerstört wurden und viele Menschen, die es sich leisten konnten, die Region verlassen haben, ruht ein Großteil der wirtschaftlichen Aktivitäten. Fast ein Drittel aller Arbeitsplätze soll nach Medienberichten verloren gegangen sein. Daran ändern auch die rund zwölf Milliarden Euro nichts, die bisher in den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur gesteckt wurden.
Anfänglich gingen Prognosen durch die Zerstörungen von einem Wachstumsknick um 2,5 Prozentpunkte des türkischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus. Dieser wurde indes rund um den Wahlkampf durch staatliche Ausgaben für Renten und billige Kredite abgeschwächt. So hat das Erdbeben vom Februar 2023 zwar »Wachstum gekostet«, wie die Wirtschaftskammer Österreich in einer aktuellen Türkei-Analyse schreibt. Letztlich blieben die Auswirkungen für die Volkswirtschaft aber überschaubar.
Nach der Präsidentschafts- und Parlamentswahl im vergangenen Mai vollzog die Regierung dann einen überraschenden Kurswechsel. Bis dahin hatte Staatschef Recep Tayyip Erdoğan trotz horrender Inflation auf eine Niedrigzinspolitik gesetzt, was der Volkswirtschaftslehre ebenso widersprach wie den Erfahrungen etwa im Euroraum. Erdoğan befeuerte mit seiner unorthodoxen Geldpolitik kurzfristig die Exporte und den Konsum, aber auch die Inflation, den Abwertungsdruck auf die Lira und die Abhängigkeit von ausländischen Finanzhilfen beispielsweise durch die Weltbank. Nach seiner Wiederwahl berief Erdoğan hingegen Vertreter einer orthodoxen Finanz- und Wirtschaftspolitik an die Spitze der Notenbank und des Finanzministeriums. Die Leitzinsen wurden von 8,5 auf 45 Prozent hochgesetzt, aber ein Ende der Hyperinflation, die vor allem ärmeren Bevölkerungsschichten und Firmen ohne Zugang zu Euro oder Dollar belastet, blieb bisher aus. Die Zentralbank erwartet, dass die Inflationsrate mit 75 Prozent in der ersten Jahreshälfte ihren Höhepunkt erreicht und dann zurückgehen wird.
Das Wirtschaftswachstum könnte sich 2024 infolge der strafferen Geldpolitik laut Internationalem Währungsfonds auf real drei Prozent abschwächen (2023: vier Prozent). Dass die Wirtschaft trotz der verheerenden Inflation wächst, hängt auch mit den »Nearshoring-Bestrebungen« westeuropäischer Unternehmen zusammen, wie es die deutsche Außenhandelsorganisation GTAI ausdrückt: Für Werften, Autohersteller und Chemieindustrie in Deutschland, Frankreich oder Italien bilden türkische Konzerne eine verlängerte Werkbank. Die Bedeutung der Türkei nimmt noch zu, seit sich die EU von Lieferungen aus China unabhängiger machen will.
Für die Denkfabrik Tepav in Ankara ist die türkische Wirtschaft daher wie ein Segelschiff, »das dorthin treibt, wo der Wind es hinweht«. Die offizielle Arbeitslosigkeit ist mit 9,9 Prozent weiterhin hoch. Ein Konjunkturrückgang in bedeutenden Absatzmärkten – wichtigster Abnehmer ist die Bundesrepublik – dämpfen die türkischen Ausfuhren. Aufgrund der schwachen Lira ist der Einkauf von Vorprodukten für die Industrie teuer. Die Provinz Hatay ist allerdings ein Jahr nach dem Beben selbst von so einer Realität noch weit entfernt.
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