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Aserbaidschan: Fossile Autokratie
Das System von Ilham Alijew wird auch durch steigende Gas-Exporte nach Europa gestützt
Wir riesige Seeungeheuer aus Stahl und Beton ragen die Bohrinseln vor der Küste der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku aus dem Wasser, mehr als 100 Meter hoch. Verschiedene westliche Konzerne haben gemeinsam mit dem einheimischen Energieriesen SOCAR laut Angaben der aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Azertag allein aus Schah Denis, dem größten Erdgasfeld des Landes, schon rund 200 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert. Nur ein Bruchteil des Gases, das unter dem Meeresboden des Kaspischen Meeres seit Millionen von Jahren schlummert.
Öl- und Gasmilliarden landen in den Taschen der Herrscher
Die Milliarden, in die es sich umsetzen lässt, sind für viele Menschen in der Region kein Segen, sondern eine Last. Kein Segen, weil das Geld nicht bei ihnen ankommt, sondern in den Taschen der fossilen Konzerne und ihrer Aktionäre landet. Und eine Last, weil das Seeungeheuer eng verbandelt mit einem Mann ist, der Aserbaidschan mit harter Hand regiert: Ilham Alijew, Nachfolger seines Vaters Heidar Alijew, der nach dem Zerfall der Sowjetunion die Macht in Aserbaidschan übernahm.
Nun regiert sein Sohn das Land bereits seit 20 Jahren. Und nach der Wahl am Mittwoch werden es wohl noch mehr werden. Kritiker*innen werfen Ilham Alijew Defizite bei der Gewaltenteilung und mangelnde Meinungsfreiheit vor. Und dann ist da noch die Vertreibung von rund 120 000 Armenier*innen aus der Region Arzach (Bergkarabach), die von Expert*innen als ethnische Säuberung bezeichnet wird. Konsequenzen geschweige denn Sanktionen gibt es aber nicht – im Gegenteil: Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Aserbaidschan und EU florieren, was der Herrschaft Alijews den Rücken stärkt, wie Kritiker*innen monieren.
Aserbaidschan ersetzt Russland als Energielieferant
Einer dieser Kritiker ist der Jurist Hovhannes Gevorkian. Gevorkian ist in Armenien aufgewachsen und lebt heute in Berlin. Die EU und Deutschland hätten sich de facto mit der ethnischen Vertreibung der Armenier*innen aus Arzach einverstanden erklärt, sagt Gevorkian. Die EU und Deutschland seien »mit dem Baku-Regime verbündet, da sie auf die fossilen Rohstoffe aus dem Kaspischen Meer angewiesen sind«, sagt Gevorkian, nach der Ursache für die Unterstützung die Alijew aus dem Westen erhält gefragt.
Stand bei den Energie-Exporten Aserbaidschans, die vier Fünftel der Export-Einnahmen ausmachen, lange Öl im Vordergrund, ist es seit dem Versuch der EU, sich von Russlands Energiemonopolisten Gasprom unabhängig zu machen, vor allem Gas, das Alijews Regime zu einem »zuverlässigen Partner« macht, wie es die EU-Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bei ihrem Besuch in Baku kurz nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine bezeichnete. Von der Leyen und Alijew unterschrieben eine Absichtserklärung über steigende Gasimporte aus Aserbaidschan: Ab 2027 sollen sie sich auf jährlich 20 Milliarden Kubikmeter mehr als verdoppeln. Seither fließt mehr und mehr Gas aus Baku Richtung Europa.
EU will auch turkmenisches Gas
Dabei schielen Energieunternehmen und Politik auch auf das Land, das sich auf der anderen Seite des kaspischen Meers, also weiter östlich befindet: Turkmenistan. Auch dort stand in den letzten Jahrzehnten Öl im Vordergrund, aber auch in Turkmenistan, das ebenfalls autokratisch regiert wird, gibt es viel Gas. Ziemlich viel sogar, das Land verfügt über die viertgrößten Reserven gleich hinter Russland, Iran und Katar. Seit sich Aserbaidschan und Turkmenistan 2021 auf ein Kooperation geeinigt haben, ist auch Turkmenistan dem europäischen Gas-Markt ein Stück näher gerückt. So wie aus Aserbaidschan würde auch Gas aus Turkmenistan auf dem Weg nach Europa die Türkei passieren und damit nicht zuletzt auch die Position des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan weiter stärken.
Und als wäre das nicht genug, gibt es einen weiteren Kritikpunkt am Ausbau der Gas-Infrastruktur. Greenpeace und andere Nichtregierungsorganisationen haben nachgeweisen, dass bei der Förderung und dem Transport von Erdgas große Mengen unkontrolliert austreten und damit die Klimakrise weiter anheizen. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass Methan, aus dem Erdgas zu rund 90 Prozent besteht, in einem Vergleichszeitraum von 100 Jahren einen bis zu dreißig mal stärkeren, also negativeren Effekt auf das Klima hat als Kohlenstoffdioxid. Es reichen also schon geringe Mengen aus, um die Klimakrise weiter anzuheizen.
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