- Politik
- Aserbaidschan
Alijew zum Fünften
Aserbaidschans Präsident lässt vorzeitig wählen
Einen Tag, bevor Ilham Alijew am 7. Dezember 2023 überraschend Neuwahlen ankündigte, empfing der aserbaidschanische Präsident den stellvertretenden Sekretär des US-Außenministeriums James O’Brien. Offiziell ein Routinetreffen. Allerdings, so lassen es Leaks vermuten, war das Gespräch ziemlich heftig. Der Vertreter des Weißen Hauses drängte den Gastgeber, so bald wie möglich ein Friedensabkommen mit Armenien zu unterzeichnen.
Während des gesamten Jahres 2023 hatte Washington beispiellose Anstrengungen unternommen, um ein Abkommen zwischen Baku und Jerewan zu erreichen. So hielten die Außenminister im Mai in der US-amerikanischen Hauptstadt einen regelrechten Verhandlungsmarathon ab, der vier Tage dauerte – zum ersten Mal in 30 Jahren Konflikt. Aber alles ohne Erfolg.
Im September übernahm die aserbaidschanische Armee schließlich über Nacht die vollständige Kontrolle über Bergkarabach. Kurz darauf kündigte die nicht anerkannte separatistische Republik ihre Selbstauflösung an.
Alijew hat keine Eile beim Friedensvertrag
Eigentlich hätte Aserbaidschan nun aus der Position des Siegers heraus ein Friedensabkommen unterzeichnen und die Normalisierung der Beziehungen zu Armenien einleiten müssen. Doch Alijew hat es damit nicht eilig, obwohl die armenische Regierung bereit ist, das Dokument zu unterzeichnen.
Die sture Haltung des aserbaidschanischen Autokraten hängt damit zusammen, dass er den Kremlchef Wladimir Putin nicht verärgern will. Obwohl Moskau durch den Krieg in der Ukraine geschwächt ist, spielt es im Südkaukasus immer noch eine wichtige Rolle.
Lange Zeit profitierte Russland von dem eingefrorenen Konflikt um Karabach. Nach dem Krieg von 2020, als Aserbaidschan mit Unterstützung der Türkei die meisten Gebiete in der abtrünnigen Region zurückeroberte, konnte Moskau seine militärische Präsenz im Südkaukasus verstärken. Offiziell sollen die russischen Friedenstruppen die armenische Bevölkerung in Bergkarabach schützen. Moskau hat jedoch die militärischen Aktionen Bakus faktisch ignoriert und in keiner Weise auf den Exodus von mehr als 100 000 Armeniern aus Bergkarabach reagiert.
Aserbaidschan ersetzt Armenien als russischen Vorposten
Mit der Zuspitzung der Beziehungen zwischen Moskau und Jerewan hat Armenien die Rolle als Russlands Vorposten im Südkaukasus verloren, diese übernimmt nun schrittweise Aserbaidschan. Noch immer befinden sich etwa 2000 russische Soldaten auf aserbaidschanischem Gebiet. Ein Friedensvertrag, insbesondere unter Vermittlung Washingtons, ist in den Plänen des Kremls nicht vorgesehen.
Die vorgezogene Wahl gab Alijew eine Art Aufschub und einen rechtlichen Grund, sich nicht an Verhandlungen mit dem armenischen Gegenüber zu beteiligen, die vom Westen vermittelt wurden. Und mit der näher rückenden US-Präsidentschaftswahl wird Washington immer weniger Interesse am Südkaukasus zeigen.
Das Jahr 2024 verspricht, ein sehr schwieriges zu werden. Im März stehen auch in Russland Präsidentschaftswahlen an, aus denen Putin vorhersehbar als Sieger hervorgehen wird. Parallel dazu ist die Lage im Krieg in der Ukraine nach wie vor sehr ungewiss. Alijew muss ein schwieriges Gleichgewicht halten. Einerseits unterhält er herzliche Beziehungen zum Kreml. Andererseits ist er der einzige Präsident im postsowjetischen Raum (mit Ausnahme des Baltikums), der sich mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj trifft und ihm die Hand reicht. Außerdem liefert Baku Generatoren an Kiew, was Moskau regelmäßig verärgert.
Alijews Macht ist ungefährdet
Alijew kann sich durch vorgezogene Wahlen rückversichern und auf weltpolitische Turbulenzen im Jahr 2024 vorbereiten. In den vergangenen 20 Jahren hat der Präsident seine eigene Macht gefestigt, unter anderem durch eine Verfassungsänderung. 2016 verlängerte er per Referendum seine Amstzeit auf sieben Jahre, 2009 gab ihm ein Referendum das Recht, lebenslang an der Macht zu bleiben.
Neben Alijew treten bei dieser Wahl sechs weitere Kandidaten an, deren Namen kaum jemand im Land kennt. Keiner der Konkurrenten ist ein Kritiker Alijews. Im Gegenteil, sie sind allesamt seine Anhänger.
Nach außen hin ist der amtierende autokratische Präsident durch nichts und niemanden wirklich bedroht. Die wirtschaftliche Lage im Land ist recht stabil. Im vergangenen Jahr betrug das Wirtschaftswachstum 2,2 Prozent, die Inflation sank 14 auf neun Prozent.
Innenpolitische Probleme verschwinden nicht
Doch trotz des Triumphs in Bergkarabach tritt Alijew nun in die schwierigste Phase seiner politischen Karriere ein. Konnte er früher mit dem ungelösten Konflikt zahlreichen Probleme im Lande rechtfertigen, geht das jetzt nicht mehr.
So bleibt eines der Hauptprobleme die weit verbreitete Korruption. Laut dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International liegt das Land auf Platz 154 von 180. Und die immer noch hohe Abhängigkeit von den Ölpreisen kann jederzeit zu einer Wirtschaftskrise führen.
Dies ist auch einer Gründe, warum Alijew es nicht eilig haben wird, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen. Die Krise an der Grenze, die immer noch nicht abgesteckt ist, wird weiter als Herrschaftslegitimation dienen. Gelegentlich wird sogar von einem möglichen Einmarsch in Armenien gesprochen. Als Verfechter des Völkerrechts aber wird Alijew einen solchen Schritt wohl kaum wagen.
Repressionen werden zunehmen
Innenpolitisch bereitet dem 62- Jährigen seine Nachfolge zunehmend Kopfschmerzen. Da seine drei Kinder aktuell nicht in Frage kommen, wird dem aserbaidschanischen Präsidenten nichts anderes übrig bleiben, als die Schrauben anzuziehen und die Repression zu verschärfen. Bereits nach der Ankündigung der vorgezogenen Wahlen wurde das Land von einer Verhaftungswelle gegen oppositionelle Journalisten überrollt. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten sitzen in den Gefängnissen inzwischen mehr als 250 politische Gefangene. Im Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt das Land auf Platz 151 von 180.
Der Triumph in Bergkarabach Karabach erlaubt es Alijew im Moment, sich mit seiner grenzenlosen Macht zu begnügen und von ihr zu profitieren. Für die fünfte Präsidentschaftswahl in seiner politischen Laufbahn hat er sich den Slogan »Führer-Sieger des Siegervolkes« auf die Fahnen geschrieben. Doch beim nächsten Mal wird er neue Siege brauchen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.