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Bauxitabfall als Eisenerz
Max-Planck-Forscher wollen aus ätzenden Resten der Aluminiumindustrie »grünen« Stahl herstellen
Aluminium ist das häufigste Metall in der Erdkruste. Allerdings kommt das unedle Leichtmetall praktisch nur chemisch gebunden vor. Das ist ein Grund dafür, dass das Metall erst 1825 entdeckt wurde. Das wichtigste Ausgangsmineral für die Aluminiumproduktion ist Bauxit mit einem Anteil von rund 60 Prozent an Aluminiumverbindungen. Ende des 19. Jahrhunderts erfand man mit der sogenannten Schmelzflusselektrolyse ein wirtschaftliches Verfahren, aus sogenannter Tonerde (reines Aluminiumoxid Al2O3) Aluminium herzustellen. Diese Tonerde wird großtechnisch mithilfe von Natronlauge aus dem Bauxit hergestellt. Was dabei übrig bleibt – der sogenannte Rotschlamm – wird derzeit mehr oder weniger sicher deponiert, die Natronlauge zum Teil zurückgewonnen. Weil der Schlamm stark basisch ist, sind auch die Abdichtungen der Absetzbecken nicht ganz einfach. Beton etwa zersetzt sich da leicht. Zudem laufen die Deponien bei starken Niederschlägen nicht selten über und verseuchen ihre Umgebung (siehe Keller). Pro Tonne Al2O3 fallen eine bis anderthalb Tonnen Rotschlamm an. Der Rotschlamm verdankt seine namensgebende Farbe den Eisenverbindungen. Bis zu 60 Prozent Eisen(III)-Oxid und Eisen(III)-Hydroxid sind enthalten. Man könnte den Bauxitabfall also auch als eine Art Eisenerz ansehen.
Das jedenfalls haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung in Düsseldorf sich anscheinend auch gedacht. Sie haben unlängst im Fachjournal »Nature« ein Verfahren vorgestellt, das zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Zum einen macht es aus dem ätzenden Abfall der Bauxitaufbereitung Rohstahl, zum anderen werden die sonstigen mineralischen Reste zu nützlichem Baustoff. Und das Ganze kann auch noch zur klimaneutralen Umstellung der Stahlindustrie beitragen. Denn um das Eisenoxid im Rotschlamm zu Eisen zu reduzieren, soll das Verfahren sogenannten grünen Wasserstoff nutzen, also Wasserstoff, der mithilfe von überschüssigem erneuerbarem Strom produziert wird.
Derzeit wird der weit überwiegende Teil des Stahls in mehreren Schritten aus Eisenerz – Eisenoxid oder Eisenkarbonat – hergestellt. Die dabei verwendeten Verfahren sind zum Teil jahrhundertealt, wenn auch ständig perfektioniert. Um Eisen zu gewinnen, muss der Sauerstoff aus den Oxiden im Erz entfernt werden. In heutigen integrierten Stahlwerken passiert das im Hochofen. Dort wird den aufbereiteten Eisenoxiden mithilfe des Kohlenstoffs aus Steinkohlenkoks der Sauerstoff entzogen und das ganze Material bei Temperaturen über 1500 Grad Celsius geschmolzen. Der Koks dient dabei als Heizmaterial, das bei der Verbrennung entstehende Kohlenmonoxid als Reduktionsmittel. Doch wo Kohlenstoff verbrennt, wird das Treibhausgas CO2 frei, pro Tonne Rohstahl sind das bei Hochöfen etwa 1,8 Tonnen CO2. Weltweit wird deshalb mit Blick auf den Klimawandel an neuen Verfahren zur Rohstahlproduktion geforscht. Die Reduktion mit »grünem« Wasserstoff steht dabei im Zentrum. Im Rahmen von EU-geförderten Projekten arbeiten in Westeuropa derzeit mehrere Konzerne und Forschungseinrichtungen an Verfahren zur Direktreduktion mit Wasserstoff, der mithilfe von erneuerbaren Energien hergestellt werden soll.
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Eine erste Anlage dieser Art ist im nordschwedischen Luleå geplant. Das Projekt HYBRIT (Hydrogen Breakthrough Ironmaking Technology) soll die schwedischen CO2-Emissionen um bis zu zehn Prozent reduzieren. Bis 2035 will man in Schweden den weltweit ersten industriellen Prozess zur fossilfreien Stahlherstellung aus Eisenerz etablieren. Der Vorteil in Schweden: Das Eisenerz liegt vor Ort, Wasserstoff kann mithilfe von Wasser- und Windkraft ebenfalls vor Ort produziert und ohne hohe Drücke transportiert und gespeichert werden. Das entstehende Eisen allerdings muss noch in elektrischen Lichtbogenöfen zu Stahl weiterverarbeitet werden.
Generell allerdings sind bei diesem Entwicklungsweg die Kosten für Wasserstoff aus der Elektrolyse ebenso ein Problem wie die erforderlichen Wasserstoffmengen. Während in Deutschland aktuell jährlich Wasserstoff mit einem Energiegehalt von 55 Terawattstunden (TWh) in stofflichen Anwendungen verbraucht wird, geht die deutsche Wasserstoffstrategie allein für die Umstellung der Stahlindustrie bis 2050 von einem Bedarf im Umfang von 80 TWh aus. Und dieser Wasserstoff müsste, anders als aktuell, komplett klimaneutral produziert werden. Doch derzeit laufen in Europa nach Angaben des Unternehmens Swiss Steel Elektrolyseure mit einer Leistung von gerade mal 200 MW.
In Österreich, wo ebenfalls an der Rohstahlproduktion mittels Wasserstoff gearbeitet wird, sucht man einen Weg, der mit weniger Wasserstoff auskommt und möglichst in einem Schritt vom Eisenerz zum Stahl kommt. So wurde dort an der Montanuniversität Leoben in Kooperation mit dem Stahlkonzern Voestalpine eine Versuchsanlage zur Schmelzreduktion von Erz mitttels eines Wasserstoffplasmas in Betrieb genommen. Dabei wird für die Reduktion des Eisenoxids weniger Wasserstoff benötigt, da ein Teil der Reduktionsenergie aus den Elektronen des Lichtbogens kommt. Das durch die hohen Temperaturen im Lichtbogen ionisierte Gas ist weitaus reaktionsfreudiger als molekularer Wasserstoff.
Und hier trifft sich die Forschung der Österreicher mit dem neuen Konzept zur Rotschlammverwertung aus Düsseldorf: Auch die arbeiten mit einem Lichtbogenofen mit einem Wasserstoffplasma. Allerdings ist bei der bisherigen Versuchsanlage der Max-Planck-Forscher im praktischen Aufbau einiges anders. Während in Leoben Eisenerz und Wasserstoff kontinuierlich über eine hohle Grafitelektrode in den Lichtbogenofen zugeführt werden, arbeitet man in Düsseldorf mit einer Wolframelektrode, die einzig der Erzeugung des Lichtbogens und damit auch des Wasserstoffplasmas dient. Der Wasserstoff wird in einer Mischung mit dem Edelgas Argon separat zugeführt. Der entscheidende Vorteil ist, dass eine aufwendige Vorbearbeitung des Rotschlamms entfallen kann. Im Lichtbogenofen wird aus dem Rotschlamm anfangs eine zähflüssige Schmelze, das Eisenoxid wird durch das Wasserstoffplasma reduziert und es bilden sich Eisentropfen, die sich wegen ihrer höheren Dichte von der Schlacke trennen lassen. Wie die Autoren um Matic Jovičević-Klug und Dierk Raabe in »Nature« schreiben, sind nach etwa zehn Minuten im Lichtbogenofen 70 Prozent des enthaltenen Eisens in Metall umgewandelt. Im Laborversuch ergab die Verarbeitung von 15 Gramm Rotschlamm 2,6 Gramm hochreines metallisches Eisen und neutrale Restschlacke, die als Baumaterial verwendbar ist. Der indische Metallurgieexperte Chenna Rao Borra meint in einem »Nature«-Kommentar zur Studie, dass die Wasserstoffplasma-Reduktion möglicherweise auch geeignet wäre für minderwertige Eisenerze und einige Abfälle der bisherigen Eisenerzverarbeitung. Ob das Verfahren aus Düsseldorf im industriellen Maßstab wirklich wirtschaftlich ist, lässt sich allerdings erst einschätzen, wenn es in einer Pilotanlage erprobt wurde.
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