Neue Details zur Linke-Spitzelei in Halle

Linke-Politikerinnen kritisieren Kooperation mit Polizei

  • Lilli Neuhaus
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind schwere Vorwürfe, die vor zwei Wochen in Halle erhoben wurden. Mitglieder linker Hochschulgruppen sollen der Polizei als Zeugen Namen und persönliche Informationen von Personen aus der linken Szene gegeben haben. Die meisten der Aussagen stammen von ehemaligen oder aktiven Mitgliedern im Studierendenrat (StuRa) der Martin-Luther-Universität. Da vier von ihnen für die Linkspartei bei den diesjährigen Kommunalwahlen zum Stadtrat antreten, beschäftigt die Sache nun auch die Partei – auch über den Stadtverband hinaus.

Hintergrund der polizeilichen Ermittlungen war eine Auseinandersetzung zwischen dem StuRa und seinem mittlerweile aufgelösten Arbeitskreis Antifaschismus (AK Antifa; besser bekannt als »AG Antifa«), der schon länger in der Kritik steht. Im Sommer 2022 wollte der StuRa den AK formal auflösen, Mitglieder und Unterstützer*innen des AK blockierten aus Protest eine StuRa-Sitzung und zogen anschließend in einer Spontandemonstration durch die Stadt; dazu ermittelt der Staatsschutz unter anderem wegen Hausfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Eine Woche später warfen Unbekannte einen Stein durch das Fenster ins StuRa-Gebäude, verletzt wurde niemand. Trotzdem wird hierzu weiterhin wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung ermittelt, teilt die Staatsanwaltschaft Halle dem »nd« mit.

»Wir brauchen noch Zeit, um das aufzuklären«, sagt Jan Rötzschke, Stadtvorsitzender der Linken in Halle zu den Vorwürfen, mit der Polizei kooperiert zu haben. Die Stadtratskandidat*innen hätten in einem ersten Gespräch gesagt, dass nicht alles in einem Text auf »Indymedia«, wo die Vorwürfe zuerst veröffentlicht wurden, den Tatsachen entspreche. »Da wir keine Einsicht in die Ermittlungsakten haben, können wir das nicht überprüfen«, sagt Rötzschke.

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Das »nd« konnte diese Akten nun einsehen, sie bestätigen viele der Vorwürfe. Es ist die Rede von einem »Komplexverfahren«, offenbar sehen die Ermittler*innen einen Zusammenhang zwischen Blockade und Demonstration und dem Steinwurf. Um Letzteres geht es in den Zeugenbefragungen aber kaum. Die StuRa-Mitglieder identifizieren auf vorgelegten Bildern und Videos von der Blockade und der Demo rund zehn Personen.

Zwei Stadtratskandidat*innen der Linken bieten außerdem den Beamt*innen mehrfach Informationen an, nach denen diese nicht fragen. »Ich würde auch noch mehr Personen auf dem Foto wiedererkennen, wenn das für Sie von Interesse ist«, wird eine von ihnen in den Akten zitiert. Sie nennen Namen, Wohnort und politische Gruppenzugehörigkeit von Aktivist*innen, die auf Bildern vom Rande der Spontandemonstration zu sehen und nicht Mitglied oder Unterstützer*in der »AG Antifa« sind.

Auch haben Zeug*innen den Ermittler*innen tatsächlich selbst Bilder und ein Video gegeben, vom Tag der Blockade, einem Datingprofil und einer früheren Veranstaltung. Zwei Personen teilen ungefragt auch persönliche Infos über Menschen, etwa den Namen des Instagram-Accounts oder dass jemand rauche, außerdem wo jemand arbeitete.

Nicht alle Vorwürfe aus dem »Indymedia«-Text lassen sich aber halten. Darin steht, eine Person habe den Ermittlungsbehörden »Zugang zur Foto-Cloud der Uni verschafft«. Tatsächlich hat diese in der Vernehmung nur von der Cloud erzählt, den Zugang erfragte die Polizei dann offenbar vom Rektor der Universität.

»Ein absolutes No-Go«, ist es für Katharina König-Preuß, Landtagsabgeordnete der Linken in Thüringen, »dass Personen, die sich selbst als Teil linker Bewegungen verstehen, Sicherheitsbehörden Informationen über andere linke Personen geben«. Sie selbst habe ständig Auseinandersetzungen mit linken Gruppen wie Young Struggle oder der MLPD, würde dabei aber nie die Polizei hinzuziehen, sagt sie dem »nd«. Ähnlich hält es die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel. »Bei Drohungen oder Angriffen auf mein Büro aus linken Kontexten haben wir explizit auf Anzeigen oder Aussagen verzichtet.«

König-Preuß begründet ihre Haltung nicht zuletzt mit Erfahrungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss, die gezeigt hätten, dass polizeiliche Informationen bei der extremen Rechten oder gewaltbereiten Neonazis landen können. »Es gibt unterschiedliche Positionen unter Linken, aber ich finde, es gibt eine Grundhaltung, zu der die inhaltliche Auseinandersetzung mit rechten Strukturen in Sicherheitsbehörden gehört, gerade in diesen Zeiten.« Auch Henriette Quade, Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt, hat die Aussagen auf X kritisiert. »Als Antifaschistin und Innenpolitikerin kann ich mich davon nur distanzieren.«

Der Stadtverband der Linkspartei werde angesichts der Enthüllungen aber keine Änderung der Kommunalwahlliste vornehmen oder zum jetzigen Zeitpunkt diskutieren, teilt Stadtvorsitzender Rötzschke dem »nd« mit. Der Hallesche Stadtrat wird im Juni 2024 gewählt.

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