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Valentinstag: Den Heteros geht's nicht gut
Trotz romantischer Gesten am Valentinstag ist es um das Geschlechterverhältnis schlecht bestellt. Eine andere Organisation von Arbeit könnte helfen
Was tut man, wenn man als Frau Männer begehrt, sie aber gleichzeitig unangenehm findet? Dem daraus resultierenden Unbehagen verlieh Asa Seresin in einem Aufsatz für das Online-Magazin »The New Inquiry« 2019 den Ausdruck »Heteropessimismus«. In feministischen Kreisen schlug seitdem auch die etwas abgewandelte Form »Heterofatalismus« Wellen. Beide Begriffe beschreiben vor allem die Scham von heterosexuellen Frauen über ihre eigene Sexualität und ihren Wunsch nach romantischer Intimität mit Männern. Scham, weil das Begehren trotz einer Reihe von unbefriedigenden oder übergriffigen Erlebnissen in heterosexuellen Partnerschaften fortbesteht. Griffige Slogans wie »It’s not you, it’s men« (Es liegt nicht an dir, sondern an den Männern) oder »How to date men when you hate men« (Wie man Männer datet, auch wenn man sie hasst), die durch das Internet geistern, sind weitere Indizien für dasselbe Phänomen. Sie geben die Richtung vor, wo die Quelle des Problems zu suchen sein könnte: im mangelhaften männlichen Beziehungs- und Liebesverhalten.
Die spöttische Frage »Are the straights okay?« (Ist mit den Heteros alles in Ordnung?), ebenfalls derzeit oft online zu lesen, lässt sich klar verneinen. Sie spielt auf den desolaten Zustand des heterosexuellen Liebeslebens an, von dem sich nicht wenige ernüchterte Frauen genauso wie von ihrem eigenen Begehren am liebsten verabschieden würden. Wie wäre es also, wenn Männer, besonders cis-Männer, sich einmal ernsthaft die Frage stellten, was sie mit dieser Situation zu tun haben könnten und den Hinweisen der Feministinnen dazu nachspürten? Mit roten Rosen, Schokolade und schmalzigen Liebesbekundungen, die einmal im Jahr am Valentinstag verteilt werden, ist das Problem nämlich nicht vom Tisch. Stattdessen tragen diese eher zu einer simplifizierten Vorstellung von Liebe bei, die unter patriarchalen und kapitalistischen Bedingungen eine Lüge sein muss.
Die im Begriff »Heterofatalismus« enthaltene grundlegende Skepsis von Frauen gegenüber Männern ist eine mehr als verständliche Reaktion auf die von Männern ausgeübte patriarchale Gewalt. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: An jedem dritten Tag etwa kommt es zu einem Femizid, überwiegend werden die Frauen von Männern aus ihrem nahen Beziehungsumfeld ermordet. Täter sind Ehemänner, Ex-Partner, Söhne, Brüder, Väter oder Freunde. Heterosexualität, die nicht von männlicher Gewalt durchdrungen ist, scheint vor diesem Hintergrund beinahe undenkbar. Dies ist das Dilemma, auf das auch Asa Seresin in ihrem Text hingewiesen hat: Wenn Heterosexualität so oft und scheinbar untrennbar mit Misogynie und Gewalt verbunden ist, wird es schwer, sich eine andere Form des gegenseitigen Begehrens überhaupt vorzustellen.
Welchen Ausweg könnte es geben? Die US-amerikanische Feministin bell hooks (1952–2021) spricht sich in ihrem Buch »The will to change: men, masculinity, and love« (2004) gegen einen Feminismus aus, der Männer einseitig zum Feindbild erklärt. Stattdessen ist sie davon überzeugt, dass das Patriarchat in letzter Konsequenz nur unter Mithilfe der Männer herausgefordert werden kann. Hooks greift die im Konzept des Heterofatalismus formulierte Problematik auf, begnügt sich aber nicht mit der Feststellung männlicher Unzulänglichkeit, sondern entwickelt eine radikale politische Forderung: Sie besteht auf der Realität des weiblichen Begehrens nach männlicher Liebe und verbindet dies mit einem Appell an die Männer, diesem Verlangen endlich gerecht zu werden und das Lieben zu erlernen.
Mit dem Liebenlernen ist freilich kein rein spiritueller oder individueller Prozess gemeint, auch wenn die Bereitschaft dazu bei jedem einzelnen Mann vorhanden sein muss. Hingegen ist die gegenwärtige Unfähigkeit der Männer zu lieben eng verknüpft mit der gesellschaftlichen Ungleichverteilung von tendenziell männlicher Lohn- und tendenziell weiblicher Care-Arbeit. Um lieben zu lernen, müssten Männer aus allen Teilen der Gesellschaft vermehrt die Chance erhalten (und wahrnehmen), unbezahlte Sorgearbeit wie Kinderbetreuung und Hausarbeit zu übernehmen oder bezahlte Sorgearbeit, etwa im Pflegesektor, auszuüben, wobei sie Zärtlichkeit, Geduld und Empathie ausbilden könnten. Das Problem zwischen den Geschlechtern ist also auch – darauf haben schon zahlreiche Feministinnen hingewiesen – ein ökonomisches Problem.
Nicht nur Frauen leiden unter dem Patriarchat, sondern auch Männer. Mit dieser durchaus richtigen Feststellung wird oft versucht, Männer für die feministische Sache zu gewinnen. Dabei wird jedoch unterschlagen, dass Männer trotz ihres möglichen (Mit-)Leidens massiv von der Aufrechterhaltung ihrer Hegemonie profitieren. Der Soziologe Rolf Pohl weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass die Konstruktion heterosexueller Männlichkeit per se auf der Abwehr von Weiblichkeit beruht.
Auch Männer, die nicht gewalttätig sind, profitieren, gewollt oder ungewollt, von der allgemeinen gesellschaftlichen Tendenz der Unterdrückung, Bedrohung und Abwertung von Frauen. Diesen Zusammenhang gilt es für Männer zuallererst zu erkennen und reflektieren, um ihre Komplizenschaft mit diesem System zu lösen – das wäre die erste Bedingung zum Liebenlernen. Als radikale politische Forderung verstanden hieße Liebenlernen für Männer auch, zugunsten einer gleichberechtigten Verteilung von Sorgearbeit auf ökonomische, soziale und kulturelle Privilegien zu verzichten. Oder dabei mitzuhelfen, dass sich dieses System von Grund auf wandelt.
»All You Need Is Love«, wussten schon die Beatles – Männer, es ist höchste Zeit, damit ernst zu machen.
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