Maroder U-Bahn-Tunnel am Alexanderplatz in Berlin

Seit Jahren ist die U5 vom Restnetz isoliert – das stellt die BVG vor große Probleme

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
Nur noch mit Stahlträgern stabil: Der Waisentunnel unter der Spree
Nur noch mit Stahlträgern stabil: Der Waisentunnel unter der Spree

»Der Waisentunnel ist von existenzieller Bedeutung für die Berliner U-Bahn«, heißt es von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) auf nd-Anfrage. Der Tunnel wird nicht im Fahrgastbetrieb befahren, ist aber die einzige Gleisverbindung der U5 mit dem restlichen Gleisnetz des sogenannten Großprofils, zu denen auch U6 bis U9 gehören. Er zweigt bei der Jannowitzbrücke von der U8 ab und trifft zwischen Alexanderplatz und Rotes Rathaus auf die U5. Seit 2018 ist er gesperrt. Er ist im Bereich der rund 200 Meter langen Flussquerung so marode, dass ein Durchbruch der Spree droht.

Die Strecke ist ein Relikt der ursprünglich angedachten Führung der U8, gebaut worden ist er während des Ersten Weltkriegs, bevor das damals vom Elektrokonzern AEG vorangetriebene Projekt abgebrochen worden ist. Ganz dicht war der in Notzeiten gebaute Tunnel nie, sämtliche Sanierungsversuche blieben letztlich erfolglos.

Für die BVG ist die fehlende Verbindung ein ernsthaftes Problem. Denn mit der U5 ist auch deren Betriebswerkstatt Friedrichsfelde vom Restnetz abgeschnitten. Bis zur Sperrung war sie auch für die Züge von U8 und U9 zuständig – rund die Hälfte des Großprofilnetzes. Die tägliche Wartung für U6 und U7 wurde in der Betriebswerkstatt Britz erledigt.

Seit vielen Jahren erstickt man in Britz, das nun für 82 Prozent des Wagenparks verantwortlich ist, in Arbeit, während die Hallen in Friedrichsfelde halbleer sind. Überführungen zwischen den einzelnen Netzteilen müssen aufwendig mit vier Wochen Vorlaufzeit per Tieflader über die Straße erfolgen. Das bekamen auch immer wieder Fahrgäste zu spüren. Beispielsweise 2022, als wegen eines Serienschadens der ausschließlich auf der U5 eingesetzten Baureihe IK17 von einem Tag auf den anderen elf Züge abgestellt werden mussten. Über Wochen gab es einen massiven Fahrzeugmangel auf der Linie, auch weil eine schnelle Überführung von anderen Linien unmöglich ist.

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Auch die Senatsmobilitätsverwaltung bestätigt in einem aktuellen Bericht an den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses, dass ein Ersatzneubau »alternativlos erforderlich« sei. Nach langem Zögern hatte der BVG-Aufsichtsrat im Juni 2022 die Genehmigung zur Umsetzung erteilt. Derzeit läuft das Planfeststellungsverfahren. Ein halbes Jahr nach Planfeststellungsbeschluss könnten die Bauarbeiten starten, heißt es von der BVG. Vier Jahre würden Abriss und Neubau dauern, schätzt man. Mit Stand 2021 schätzt die BVG die Baukosten auf 55,5 Millionen Euro. Doch es gibt erhebliche Hürden.

Einerseits hat das zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Spree-Havel offenbar erhebliche Bedenken. Es seien in der Folge »zahlreiche vertiefende Berechnungen hinsichtlich Schiffbarkeit und Hydraulik«, insbesondere für den Fall eines hundertjährigen Hochwassers durchgeführt, heißt es in der Ausschussunterlage. Doch bis heute seien die »Konflikte zwischen den Verfahrensbeteiligten noch nicht behoben«.

Außerdem gibt es ein politisches Problem. »Mich überzeugt ein automatischer Neubau des Waisentunnels unter der Spree noch nicht. Alternativen wurden meines Erachtens unzureichend geprüft«, sagt SPD-Haushaltspolitiker Sven Heinemann zu »nd«. Er halte die bisher genannten Kosten für »Augenwischerei«. Außerdem kämen noch langfristig »hohe Instandhaltungskosten« bei einem Tunnel unter der Spree hinzu.

Als Alternativen schweben Heinemann zum Beispiel eine Verlängerung der U5 vom Hauptbahnhof zum Bahnhof Turmstraße der U9 mit dortiger Gleisverbindung vor oder eine Anbindung der Werkstatt Britz durch eine kurze Verlängerung eines Eisenbahn-Gütergleises. Die U5 hat bereits in Wuhletal eine direkte Bahnanbindung.

Doch bereits Anfang 2022 hieß es in der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage des Linke-Verkehrspolitikers Kristian Ronneburg zu diesen und weiteren Überlegungen, es seien »keine weiteren Alternativen für eine neue Anbindung der U5 an das U-Bahnnetz ersichtlich, die sich gegenüber dem Waisentunnel aus bautechnischen und wirtschaftlichen Gründen vorteilhaft erweisen könnten«.

»Wenn Abriss und Neubau nun politisch aus Kostengründen nicht erwünscht sind, sollten CDU und SPD schleunigst Klarheit darüber herstellen, wie sie das Problem lösen möchten«, sagt Kristian Ronneburg. »Das Thema immer wieder aufzuwärmen macht so keinen Sinn. Je länger es dauert, desto teurer wird es«, so der Linke-Politiker weiter.

Der Waisentunnel spielt in den Planungen für die U-Bahn-Zukunft eine wichtige Rolle. Denn U5 und U8 sollen als erste Linien in den nächsten Jahren auf das zeitgemäße Signalsystem CBTC umgestellt werden, bei dem Zug und Streckenausrüstung permanent Daten austauschen. Um eine teure Doppelausrüstung mit Alttechnik zu vermeiden, müssten die entsprechenden Züge alle in Friedrichsfelde stationiert werden.

Die neue Signaltechnik kann nur eingeführt werden, weil die historisch größte Bestellung neuer Züge für die U-Bahn im Lauf der nächsten Jahre ausgeliefert werden soll. Dafür müssen die Werkstätten modernisiert und erweitert werden. Die bisher dafür ausgearbeiteten Pläne wären ohne Waisentunnel ebenfalls Makulatur. Eines hängt im U-Bahnnetz am anderen.

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