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Gekonnt geködert: Die WM im Kabeljauangeln vor Norwegens Küste
Lofoten: Die Fischer folgen dem Kabeljau, die Touristen den Fischern. Bald feiert die Weltmeisterschaft im Kabeljauangeln ihr 30-jähriges Bestehen
Manchmal darf das Glück kalt und glitschig sein – allerdings nur, wenn es an einem Haken hängt. Denn dann hat es einen vielleicht zum Weltmeister im Kabeljauangeln gemacht. Alljährlich Ende März pilgern Petrijünger aus der ganzen Welt nach Svolvaer auf die Lofoten, um ausgerüstet mit Titanrollen, Carbonruten und viel Aquavit den größten Kabeljau zu ködern.
Norwegen taut zu dieser Zeit gerade langsam auf. Die Bäume stehen überall bis zur Hüfte im Schnee, und die Menschen tragen noch ihre Wintergesichter. Am Tag der WM stecken sie in dick wattierten Schnee-Overalls wie Raupen im Kokon, lassen sich an der Reling die Wangen windrosa wehen und wippen mit ihren Angeln im Takt der Wellen. Plötzlich ruckt es zwei-, dreimal so gewaltig an der Leine, dass die Angelrute heftig gegen das Boot schlägt. Beim Hochpumpen krümmt sie sich zu einem Bogen. Angespannte Gesichter bei allen Anglern an Bord: Hält die Schnur, löst sich der Haken oder ein Knoten? Dann endlich liegt der Fang im Boot: ein Riese von einem Fisch und ein hübscher noch dazu, mit schickem Leopardenmuster und kräftigem Bartfaden. Er ist der Lohn für Stunden des Wartens.
Die 30. Ausgabe des Angelwettbewerbs wird vom 14. bis 17. März 2024 ausgetragen. https://vmiskreifiske.no/
»Hastverk er lastverk«, weiß auch der Norweger: Gut Ding will Weile haben. An das Warten ist er schließlich gewöhnt, wenn in langen Wintern die Temperaturen bis auf 30 Grad unter null sinken, alles unter einer Schneedecke verschwindet und Nächte 24 Stunden dauern. Warten auf das Ende der Kälte, die Rückkehr des Lichts und auf die Ankunft der Fischzüge.
Auf den Kabeljau ist Verlass. Zwischen Januar und März ziehen große Schwärme mit dem Golfstrom von der eisigen Barentssee nach Süden. Es ist Paarungszeit und der Hochzeitszug findet vor allem auf den Lofoten, im Vestfjord, ein ideales Gebiet zum Laichen. Für viele Fische enden die kurzen Flitterwochen aber auf den bereitstehenden Fangkuttern. Donnergott Thor höchstpersönlich soll mit seinem Hammer eine Schneise in die Berge geschlagen haben, um das Spektakel um den Lofot-Fischfang von oben besser beobachten zu können. Die göttliche Anteilnahme war durchaus angebracht, denn Fisch stellte schon immer die wichtigste Lebensgrundlage der Lofoter dar. Eine altnordische Saga berichtet von norwegischen Fischern, die bereits im 9. Jahrhundert mit ihren Booten den westlichsten Archipel im Nordmeer ansteuerten, um dort im Winter den Hochseekabeljau zu fangen. Noch heute verdienen die Lofot-Fischer während der nur dreimonatigen Fangzeit einen Großteil ihres Jahreseinkommens, doch das »Gold der Lofoten« ist der Kabeljau längst nicht mehr. Obwohl der nordost-arktische Kabeljaubestand um Norwegen noch nicht überfischt ist, machen es Fangquoten und ausländische Fabrikschiffe immer schwieriger, den Lebensunterhalt mit Fischen zu verdienen.
Am Tag der WM ist in Svolvaer von solchen Sorgen nichts zu spüren. Schaulustige haben es sich unweit des Hafenbeckens in den Cafés am Kaiweg gemütlich gemacht. Bis zum frühen Nachmittag halten es die rund 600 Teilnehmer auf dem Wasser aus. Immer wieder bohrt die Sonne ihre bernsteinfarbenen Strahlen durch die Wolken und lässt das Aquarell des Meeres leuchten: Arktischblau, Kobaltblau, Indigo, Saphir und Kleckse von Türkis. Seeadler gleiten durch die Luft. Die scharfkantigen Berge der Lofoten stellen sich wie Bastionen vor den Horizont und werfen das Tuten eines Schiffshorns als Echo zurück. Am Ufer leuchten ochsenblutrote und ockerfarbene Hütten und von Holzgerüsten baumeln die ersten Kabeljaufänge des Jahres. Aufgeschlitzt bis zur Schwanzflosse, ausgeweidet und geköpft trocknen die Fischleiber dort in rund drei Monaten zu brettharten Fischmumien – dem Stockfisch.
Seit 30 Jahren teilen die Svolvaer ihr Jahr in eine Zeit vor der WM und eine Zeit danach, und auch die Nachbargemeinden freuen sich auf diesen eigenwilligen Mix aus Medienereignis, gesellschaftlichem Wiedersehen, sportlicher Fairness und tagelanger Partystimmung. Alte Damen in Pelzmänteln nippen im WM-Café am Bier aus Pappbechern und drücken den Anglern die Daumen. Deutsche Arbeiter, gerade im Einsatz auf einer norwegischen Werft, nutzen ihren freien Tag, um nach Svolvaer zu fahren und bei Labskaus und Fiskesuppe den Norwegern beim »Norwegischssein« zuschauen zu können, und Svolvaers Kinder warten auf Kabeljauköpfe. Es ist ihre Aufgabe, die Zungen herauszuschneiden und sich damit ein Taschengeld zu verdienen. Norwegen ist seit jeher eine Fischereination, und so sollen auch die Kinder schon früh an die Tradition des Fischfangs herangeführt und in die Arbeit eingebunden werden.
Besonders Fleißige haben es bei 40 Kronen für ein Kilogramm dieser Delikatesse schon zum »Zungenmillionär« und zu einem neuen Fahrrad gebracht. Der zwölfjährige Sander hat heute das erste Mal seinen kleinen Bruder Magnus dabei. Der schaut zwar noch etwas skeptisch dabei zu, wie die angelieferten Fische ausgeweidet werden und viel Gedärm und Blut vor ihm im Bottich landen, aber ekelig findet er das nicht. Er schüttelt bei der Frage den Kopf, und man sieht ihm an, wie er sich vorstellt, später die Zunge herauszusäbeln und sein Taschengeld zu kassieren. Sogar Lebertran trinkt er gern – glückliche norwegische Eltern.
Als die ersten Fische zum Wiegen gebracht werden, stimmt die Blaskapelle ausgerechnet »Die Vogelhochzeit« an. Beim Fang von Svein Idsøe zeigt die Waage 13,6 Kilo an – »Fiderallala, fiderallala, fiderallala«. Doch Hoffnung auf den Sieg macht der Norweger sich nicht. Schließlich brachte es der bisher mächtigste Fang in der Geschichte der WM auf 29,2 Kilo. Aber vielleicht reicht die gesamte Fangmenge seines Teams ja für den diesjährigen Mannschaftssieg. Svein ist Optimist – wie alle Norweger. Das muss ein Volk auch sein, das drei Monate in völliger Dunkelheit lebt. »Betrachte immer die helle Seite der Dinge!«, rät auch eine norwegische Weisheit. »Und wenn sie keine haben? Dann reibe die dunkle, bis sie glänzt.«
Wenn die Norweger ganz besonders lange reiben, explodiert der Himmel und lässt das Nordlicht flackern. Die Wikinger glaubten noch, dass die Walküren das flackernde Licht an den Himmel zaubern, indem sie das Mondlicht mit ihren Schilden reflektieren. Der moderne Mensch weiß, dass ein Strom elektrischer Teilchen von der Sonne aus mit hoher Geschwindigkeit in das Magnetfeld der Erde gerät und dort mit den Gasen der Atmosphäre kollidiert. Wie eine Leuchtstoffröhre glühen die Gase auf und sehen aus wie der Laserstrahl im Vorspann eines 20th-Century-Fox-Films. In farbigen Bögen, Vorhängen und Schleiern wabert das Nordlicht dann über den Himmel. Kalt und glitschig kann es sein, das Glück – und in norwegischen Nächten manchmal auch giftgrün und neongelb.
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