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Brüche in der Geschichte sollten sichtbar sein
Architekturprofessor Philipp Oswalt veröffentlicht seine Kritik an Berliner Schloss und Potsdamer Garnisonkirche in Buchform
In Frankfurt am Main fehlten im Jahr 2016 bereits 23 000 Wohnungen. Bis 2030 wird sich ein Fehlbedarf von weiteren 60 000 Wohnungen ergeben. Doch die Stadt verpulverte 140 Millionen Euro für 80 Luxus-Wohnungen in der Neuen Altstadt. Von 35 Häusern entstanden bei diesem Bauprojekt 15 nach alten Fotos äußerlich fast so, wie sie vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ausgesehen hatten. Die übrigen muten immerhin so an, als wären sie nicht erst kürzlich errichtet worden.
Für Architekturprofessor Philipp Oswalt ist das eine Ersatzhandlung dafür, was eigentlich zu tun wäre. Er spricht von einer symbolischen Geste und widmet diesem Fall ein Kapitel seines Buches »Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik«. Das Buch beruht überwiegend auf Texten, die er vorher einzeln schon anderswo publiziert hatte.
Sein Hauptaugenmerk richtet Oswalt auf das als Humboldt-Forum wiederaufgebaute Berliner Schloss und den fast vollendeten Nachbau des Turmes der Potsdamer Garnisonkirche – zwei besonders umstrittene Rekonstruktionsprojekte der Gegenwart. Anders als bei der Dresdner Frauenkirche habe die Bevölkerung nicht dahintergestanden, erinnert Oswalt. Eine Bürgerbeteiligung sei durch Spenden simuliert worden, die aber die Kosten nicht ansatzweise decken konnten.
Die halbherzigen Versuche, sich von rechtsextremen Spendern zu distanzieren, führten nicht dazu, dass diese sich komplett zurückgezogen hätten und den Wiederaufbau nicht mehr begrüßen würden. Warum auch? Sie erreichten ja, dass die Gebäude sich so präsentieren, als habe es die Schmerzen und von zwei Weltkriegen und die dabei verübten Verbrechen nicht gegeben.
Wetterfahne statt Nagelkreuz
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Erinnert sei an die Einschusslöcher am echten Berliner Schloss. Während der Novemberrevolution 1918 war die Volksmarinedivision dort einquartiert. Und auf den Turm der Garnisonkirche kommt die historische Wetterfahne und nicht ein Nagelkreuz wie auf die Kathedrale im englischen Coventry. Die Stadt wurde einst von der Luftwaffe der Nazis zerstört. Von der Nagelkreuz-Idee verabschiedete sich die evangelische Kirche auf Druck der inzwischen aufgelösten Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel.
Ab 1984 erklang in einer Fallschirmjägerkaserne im nordrhein-westfälischen Iserlohn ein Nachbau des Glockenspiels der Potsdamer Garnisonkirche, der stufenweise um weitere Glocken ergänzt wurde. Die Initiative war von Kommandeur Max Klaar ausgegangen. Oswalt zeigt, dass es damals in Iserlohn nicht um die 1990 verwirklichte deutsche Einheit ging, sondern um ein Deutschland in den Grenzen von 1937. Anstelle der revanchistischen Töne trat in den 90er Jahren als Argument für den Wiederaufbau die Schönheit der barocken Kirche, deren verhängnisvolle Rolle in der Geschichte tunlichst ausgespart blieb. Selbst der Tag von Potsdam wurde als Missbrauch hingestellt, obwohl er eine innere Logik hatte: Am 21. März 1933 reichte Adolf Hitler dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg vor der Garnisonkirche die Hand und setzte so eine Allianz von Faschismus und preußischem Militarismus in Szene.
Oswalt verschweigt nicht, dass er kein unbeteiligter Beobachter ist. Er versuchte mit Studierenden, die Gestaltung der Garnisonkirche zu beeinflussen. Gemeinsam machten sie 2020 den Vorschlag, Nischen im Turm jenen Staaten zur künstlerischen Gestaltung zu überlassen, die Deutschland einst überfallen hatte. Für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses hatte Oswalt selbst Ideen eingereicht, wie er offenbart.
Wiederaufbau ja, aber wie?
Auch wenn Oswalt gute Gründe sieht, die Rekonstruktionen generell abzulehnen, persönlich ist er kein geschworener Feind davon. Nur sollen die Brüche in der Geschichte sichtbar bleiben – so wie beim Wiederaufbau von zwei Meisterhäusern der Dessauer Bauhausschule. Auch hier war Oswalt kein Unbeteiligter, sondern damals Direktor der Bauhausstiftung. In einem eigenen Kapitel erinnert er, dass es auch in Dessau die extremen Positionen gab: dass einerseits der Neubau eines einmal verlorenen Denkmals zu unterbleiben habe oder dass andererseits der Wiederaufbau möglichst bis ins kleinste Detail originalgetreu zu bewerkstelligen sei, was jedoch allein aufgrund moderner Brandschutzbestimmungen und anderer Anforderungen so gut wie ausgeschlossen ist.
Seine Thesen untermauert Oswalt mit einem Kapitel über die Pläne, die Paulskirche von Frankfurt am Main, in der 1848 die Nationalversammlung tagte, in den damaligen Zustand zurückzuversetzen. Dabei lasse sich die nüchterne Strenge der Räumlichkeiten nicht allein mit dem Mangel an Baumaterial erklären, wie Oswalt in seinem Buch ausführt. Von der Paulskirche war nach dem Zweiten Weltkrieg nur eine Ruine übrig geblieben. Über den 1946 bis 1948 erfolgten Wiederaufbau hat der leitende Architekt Paul Schwarze gesagt, die Ruine sei weitaus herrlicher gewesen als das frühere Bauwerk, »ein riesiges Rund aus nackten, ausgeglühten Steinen«. So schön sei die Kirche vorher niemals gewesen, »und wir erreichten, dass es so blieb«.
Oswalts Buch ist eine Streitschrift, die nicht zwanghaft den Streit sucht, sondern akzeptable Lösungen. Es ist ausgezeichnet geschrieben und liefert Denkanstöße, wo Gedankenlosigkeit herrscht.
Philipp Oswalt: Bauen am nationalen Haus. Verlag Berenberg, 238 S., br., 22 €.
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