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Bundeswehr in Afghanistan: Schluss mit der Schönfärberei
Thomas Ruttig über die Bilanz der Enquete-Kommission
Nach Jahren systematischer Schönfärberei durch wechselnde Bundesregierungen hat eine Enquete-Kommission des Bundestags eine schonungslose Bilanz des »deutschen Handelns« im Afghanistan-Einsatz 2001 bis 2021 vorgelegt. »Gemeinsam mit seinen internationalen Partnern« sei man »strategisch gescheitert«, stellt das zuletzt aus elf Abgeordneten – Die Linke schied Ende des vergangenen Jahres aus – und zwölf Sachverständigen bestehende Gremium in seinem am Montag vorgelegten Zwischenbericht fest.
»Gesamtstaatliche Strategiebildung« und »ressortübergreifende Planung« seien nicht erkennbar gewesen. Eine »fortlaufende, selbstkritische Bestandsaufnahme« des Einsatzverlaufs habe »nicht ausreichend stattgefunden«. Es habe an »Landeskenntnis und Konfliktverständnis« gemangelt, obwohl das in der »universitären und außeruniversitären Forschungslandschaft durchaus vorhanden« gewesen sei. Das ist ein Hinweis darauf, dass sich Politik und Ministerialbürokratie nicht von außen hineinreden lassen wollten. In der Demokratieförderung habe es an »Konsistenz im Handeln« gemangelt. Zu geringes Augenmerk genoss insgesamt der zivile Wiederaufbau und blieb mit 5 bis 15 Prozent »im Gesamtverlauf« unterfinanziert.
Thomas Ruttig arbeitete von 2000 bis 2006 in offizieller Funktion in Afghanistan, u.a. für die Uno, und wurde 2022 als Zeuge in der Enquete-Kommission angehört.
Vernichtend durfte das Urteil aber nicht ausfallen. Schon kurz vor Einsetzung der Kommission im Sommer 2022 hatte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei einer Konferenz der afghanischen Diaspora in Berlin im Grunde ein Ergebnis vorgegeben: Diese Untersuchung könne »das gemeinsame Credo« bekräftigen, dass »dieser Einsatz nicht vergebens« gewesen sei.
Vor allem gesteht der Bericht der Bundesregierung »Teilerfolge« wie die zumindest zeitweilige »Verbesserung der Lebensverhältnisse« in Afghanistan zu, relativiert aber an anderer Stelle, »die Zunahme der Armut« habe »nicht nachhaltig begrenzt werden« können. Es gab nur punktuell wichtige diplomatische Beiträge: 2010 trug Berlin zur Aufnahme politischer Gespräche mit den Taliban bei und organisierte ab 2018 mit Katar einen innerafghanischen Dialog, um die afghanische Regierung in eine angestrebte Machtteilung zu integrieren – allerdings ohne Erfolg. Vor allem habe man sich »in seinem Verantwortungsbereich«, den Bundeswehr-Stationierungsorten in Nord-Afghanistan, als »guter Verbündeter« der USA gezeigt. Die kritisierten allerdings jahrelang, dass die Bundeswehr nicht energisch genug gegen die Taliban vorgehe.
Als roter Faden scheint im Bericht durch, dass die Bundesregierung eigene Spielräume nicht ausnutzte, auch nicht in europäischer Kooperation. Sie folgte lieber dem militärisch eskalierenden und schließlich zur erneuten Machtübernahme der Taliban führenden US-Politik. So blieb man – mit großem Abstand – der größte unter den kleinen, letztlich nicht ausschlaggebenden Akteuren in Afghanistan. Im Bericht heißt es deshalb, man sei auch hinter den »Erwartungen der afghanischen Partner«, insbesondere der Bevölkerung, zurückgeblieben.
An diesem Freitag debattiert der Bundestag den Bericht. Die Kommission will dort beantragen, ihre Arbeit um ein halbes Jahr bis ins nächste Frühjahr zu verlängern.
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